"Die AfD ist der geistige Wegbereiter der Tat von Hanau."

21. Februar 2020

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Kazim
Autor und ehemaliger Spiegel-Journalist Hasnain Kazim kann ein Liedchen von Hassmails singen (C)Peter Rigaud

Der Journalist Hasnain Kazim hat ein Buch darüber geschrieben, wie man Pöblern und Rechtspopulisten die Stirn bieten kann - er spricht aus Erfahrung. Über die Kunst des Streitens, Hass und die AfD.

Interview: Nada El-Azar

BIBER: Herr Kazim, in Hanau erschoss ein Rechtsextremer in Shishalokalen neun Menschen aus rassistischen Motiven. Wie sehen Sie die Zukunft Deutschlands im Umgang mit rechtem Hass?

Diese Tat, dieser Terror ist keine Überraschung. Sie ist kein unerwartetes Ereignis, nichts, von dem man behaupten könnte, man hätte es nicht wissen können. Sondern es ist genau das, was absehbar und erwartbar und von manchen Kreisen auch gewünscht war. Die AfD ist der geistige Wegbereiter der Tat von Hanau. Wir müssen dieser Art von hassvoller und menschenverachtender Sprache wieder und wieder entgegentreten, sonst sehe ich für Deutschland keine gute Zukunft.

Sie sind durch Ihre ganze Karriere immer wieder mit massiven Hassnachrichten und Morddrohungen konfrontiert gewesen. Gab es ein ausschlaggebendes Ereignis, das zum Schreiben des jüngsten Buches geführt hat? Eine ähnliche Thematik hatte ja schon Ihr Buch „Post von Karlheinz“.

Hasnain Kazim: „Post von Karlheinz“ ist eine Sammlung von Dialogen, die ich mit solchen Leuten geführt habe. Es ist sachlich und komisch zugleich – manchmal zynisch im Streit. Eigentlich wollte ich nicht der Typ sein, der ständig zum Thema Hassdialoge schreibt. Aber ich bekam Zuspruch von Leuten, die es toll fanden, endlich eine Vorlage dafür zu haben, wie man mit Hatern umgeht. Das sollte „Post von Karlheinz“ aber gar nicht sein, denn ich bin manchmal durchaus etwas böse. Deshalb habe ich das zum Anlass genommen, eine richtige Streitanleitung zu schreiben, und so ist „Auf sie mit Gebrüll“ entstanden.

 

Als Journalist ist man ja eine Person des öffentlichen Lebens und daher leicht eine Zielscheibe für Hassnachrichten – insbesondere wenn es um politische oder soziale Ansichten geht. Wie war das mit dem Hass, bevor Sie Journalist wurden?

Ich bin in einem kleinen norddeutschen 3.000-Einwohner-Dorf namens Hollern-Twielenfleth aufgewachsen. Während meiner Kindheit habe ich keinen Hass erfahren. Ein Spruch eines Mitschülers hat sich jedoch in meinen Kopf eingebrannt, und zwar „Du bist braun wie Scheiße“. Das hat mich einerseits verletzt, aber andererseits habe ich sogar als Kind verstanden, dass jeder für irgendein Merkmal aufgezogen wurde. Das konnte Übergewicht, Segelohren oder eben die Hautfarbe sein. Was ich aber schon gemerkt habe – das wurde mir wahrscheinlich unbewusst von meinen Eltern mitgegeben – war, dass wir 110 Prozent geben mussten. Ich befürchte, wir Nichtweißen müssen immer 110 Prozent oder mehr geben, um dieselbe Anerkennung zu bekommen wie Weiße. In der Schule habe ich mich daher immer angestrengt und war ein guter Schüler.

Wann erhielten Sie Ihre erste Drohung?

Das passierte erst, als ich als 17-Jähriger meinen ersten Artikel veröffentlichte. Diese Zeit, als in Deutschland Jagd auf Flüchtlinge gemacht wurde, als der Mordanschlag von Solingen verübt wurde und als Flüchtlingsheime brannten, hat mich stark geprägt. Ich schrieb einen Artikel, weil mich aufregte, dass ein Politiker trotz dieser Zwischenfälle vor einer „Überfremdung Deutschlands“ warnte. Das kann man natürlich kritisieren, aber nicht in dieser Situation, in der Menschen umgebracht werden, weil sie anders aussehen. Nachdem ich also als 17-Jähriger den Artikel in einer überregionalen Zeitung veröffentlicht hatte, bekam ich meine ersten Hassbriefe – damals natürlich anonym und per Post.

Das Buch „Auf sie mit Gebrüll!“ soll also eine Anleitung zum Streiten mit Rechtspopulisten sein. Welche Strategien beschreiben Sie?

Ich gebe Beispiele zu verschiedenen Themen, wie etwa der Frage nach Meinungsfreiheit. In Deutschland und in Österreich argumentieren manche, es gäbe keine Meinungsfreiheit, weil man bestimmte Dinge nicht sagen dürfe. Meinungsfreiheit bedeutet aber nicht, dass man alles folgenlos sagen kann. Streit braucht Regeln und Grenzen des Sagbaren – und diese Grenzen werden nicht erst durch das Strafrecht gesetzt – sondern schon davor. Aus guten Gründen bringen wir zum Beispiel unseren Kindern bei: „So etwas sagt man nicht!“. Manche Erwachsene müssten an diesen Satz erinnert werden. Eine Diskussion muss auf echten, nicht sogenannten alternativen Fakten beruhen. Streit darf aber auch Spaß machen. In meinem Buch „Post von Karlheinz“ bin ich humorvoll mit Hass umgegangen – dabei ist Humor keine Waffe, sondern eine Methode, mit diesem ganzen Müll umgehen zu können.

Kazim
Hasnain Kazim lebt seit 2016 in Wien. (C)Peter Rigaud

Zum Streiten muss man sich aber auch zunächst auf Augenhöhe begegnen können. Auf Twitter posteten Sie im Jahr 2017 nach den Bundestagswahlen in Deutschland folgendes: „Höre, ich solle Ostdeutsche ‚ernst nehmen‘. Ihr kamt 1990 mit nem Trabbi angeknattert und wählt heute AfD – wie soll ich euch ernst nehmen?“. Schert man damit Menschen nicht in unvorteilhafter Weise über einen Kamm?

Natürlich ist der Trabbi-Spruch sehr zugespitzt, und damit schere ich in der Tat Leute über einen Kamm. Aber bei der Kernaussage „Ich nehme AfD-Wähler nicht ernst“ bleibe ich natürlich. Ich lasse mir doch nicht die symbolische Pistole auf die Brust drücken und mich bedrohen, dass sie abdrücken, sprich: Rechtsextremisten wählen, wenn ich diese Leute nicht ernst nehme. Ich glaube nicht, dass alle AfD-Wähler Nazis sind. Einige wählen sie sicher aus Protest, aber es ist eine sehr dumme Art zu protestieren. Aber jeder dieser Wähler ebnet wissend Nazis den Weg an die Macht.

Sind also alle AfD-Wähler dumm? Gibt es nicht gerade bei den ostdeutschen Wählern die Enttäuschung über die bisherige Politik, die sie im Stich gelassen hat?

Die Enttäuschung verstehe ich. Es gab eine wunderbare Karikatur von Martin Perscheid, in der ein Mann und eine Frau am Esstisch sitzen. Die Frau hat Spaghetti gekocht und isst sie, der Mann hingegen hat einen Haufen Scheiße auf dem Teller und sagt: „Ich esse das, weil mir dein Essen nicht schmeckt!“. Das fand ich treffend: Natürlich kann man Scheiße fressen, wenn einem das Essen, das jemand gekocht hat, nicht schmeckt – aber es ist eine sehr dumme Form von Protest.

Sie leben seit 2016 in Wien und waren bis zu Ihrem Abschied vom Spiegel Österreichkorrespondent. Wie unterscheiden sich die deutschen Rechtspopulisten der AfD von denen der FPÖ?

Die AfD ist deutlich härter in der Sprache. Was beide Parteien eint, ist, dass sie unter dem Deckmantel der Demokratie daherkommen, aber viele demokratische Werte mit Füßen treten. Ich denke, dass man in Österreich Rechtsextreme normalisiert hat, indem man beispielsweise permanent Jörg Haider auf die Titelblätter gehoben hat, weil das mehr Auflage bringt.

Sie kritisierten jüngst Ihre ehemaligen Kollegen vom Spiegel dafür, Björn Höcke auf dem Titelblatt abgedruckt zu haben.

Ich mag den Spiegel sehr und bin zum Jahresende nur gegangen, um mich stärker auf das Bücherschreiben konzentrieren zu können. Aber ja, sowas muss man leider kritisieren. Höcke war zwar mit der nicht besonders positiven Schlagzeile „Der Dämokrat“ – also als Dämon – abgedruckt worden. Aber das ist genau, wie Höcke sich sehen will: als irgendwie demokratischen Dämon, der eine bedeutungsvolle Rolle in der deutschen Politik innehat. Das Wort Demokrat darin steht dafür, dass er zwar demokratisch an die Macht gekommen ist. Aber er tritt demokratische Werte wie Minderheitenrechte mit Füßen. Der heroisch-bedrohliche Blick in die Kamera dazu… Ich bin mir sicher, dass Höcke sich dieses Bild mit Freunde an die Wand nagelt. Die AfD jedenfalls hat gejubelt vor Freude über dieses Cover.

In der Vergangenheit war öfter auch Donald Trump auf der Titelseite – wie unterscheidet sich das?

Wenn man Höcke aufs Cover bringt, was man ja im Prinzip auch darf, dann bitte nicht so. Trump war auf den Titelseiten so stilisiert, dass er beispielsweise der Freiheitsstatue den Kopf absäbelt.  Das ist eine viel eindeutigere Botschaft.

 

 

Zur Person: Der Journalist und Autor Hasnain Kazim wurde 1974 als Sohn indisch-pakistanischer Einwanderer in Oldenburg geboren, schrieb von 2004 bis 2019 für den SPIEGEL und SPIEGEL ONLINE und war als Auslandskorrespondent u. a. in Islamabad, Istanbul und zuletzt in Wien stationiert.

"Auf sie mit Gebrüll" ist im Buchhandel erhältlich!

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