"Es geht hier um viel mehr als Religion."

15. April 2019

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Tyma Kraitt, Sunniten, Schiiten
Foto: Michelle Alberti

Der Glaubenskrieg zwischen Sunniten und Schiiten scheint kein Ende zu nehmen. Tyma Kraitt behandelt in ihrem neuen Buch "Sunniten gegen Schiiten" den seit Jahrzehnten andauerden Religionskonflikt zwischen den zwei Glaubensrichtungen. Wir haben mit der Autorin über die erbittere Feindschaft geredet. 

biber: Wie viele Sunniten und Schiiten gibt es?

Tyma Kraitt: Wenn man vom Konflikt zwischen Sunniten und Schiiten hört, glaubt man oft, es handle sich um zwei gleich große Gruppen. Tatsächlich sind Schiiten aber nur eine kleine Minderheit. Das sind grob geschätzt 10-15% der Muslimen weltweit, von denen die meisten im Iran und Irak, aber auch in Ländern wie Libanon, Bahrein oder Aserbaidschan leben. 

Warum gibt es diese erbitterte Feindschaft?

Faszinierend ist ja, dass es vor einigen Jahrzehnten noch ganz anders zuging. Religion war wichtig, hat aber Politik und das Zusammenleben der Menschen nicht dramatisch beeinflusst. Das habe ich auch in meiner eigenen Familie erlebt. Meine Mutter ist Sunnitin aus dem Irak, mein Vater ein syrischer Christ. Dass die beiden im Bagdad der 80er Jahre heiraten konnten, wäre heute undenkbar. Das betrifft auch gemischt sunnitisch-schiitische Familien, die im Irak oft diskriminiert und bekämpft werden. Man muss sich fragen, warum das früher anders war und wieso es zu dieser Entwicklung gekommen ist. Ich denke, die immer größer werdene Macht von politisch-islamischen Gruppen – seien sie schiitisch oder sunnitisch - ist ein Grund. Denn wenn Religion zu einem bestimmenden Faktor in der Politik wird, können unterschiedliche Glaubensgruppen schnell mal gegeneinander ausgespielt werden. 

Was unterscheidet die beiden Strömungen?

Ausgangspunkt war der Streit um die Nachfolge des Propheten Muhammeds, der 632 n. Chr. verstorben war. Die Schiiten entwickelten sich aus einer Gruppe, die den vierten Kalifen Ali, einen Cousin des Propheten, unterstützte. Sie forderten, dass nur ein Verwandter Muhammeds sein Nachfolger werden darf. Es setzte sich aber auch eine andere Gruppe, die Sunniten, durch, die dafür eintrat, dass der neue Anführer kein direkter Nachkomme sein muss. Dieser Gruppe folgen bis heute die meisten Muslime. Aus diesem Gegensatz heraus haben sich dann unterschiedliche Glaubenslehren entwickelt.

Tyma Kraitt, Sunniten, Schiiten
Foto: Promedia Verlag

Ist der Konflikt rein religiös oder auch politisch?

Es geht hier um viel mehr als Religion. Die Feindseligkeiten werden durch einzelne Staaten und politische Bewegungen immer wieder aufs Neue geschürt. Ganz konkret: Es handelt sich um den Kampf zwischen dem wahhabitischen (sunnitischen) Saudi-Arabien und dem schiitischen Iran. Beiden geht es um die Vormachtstellung im Nahen und Mittleren Osten, um politischen und wirtschaftlichen Einfluss. Dabei tragen sie ihren Konkurrenzkampf seit einiger Zeit blutig in andere Länder hinein, wie aktuell in den Jemen. Religion spielt dabei eine wichtige Rolle im Aufbau von Feindbildern. Es wird sehr gern in die religionsgeschichtliche Mottenkiste gegriffen – etwa um Schiiten als Verräter oder gar Ungläubige darzustellen, oder Sunniten als unterdrückerisch und korrupt.

Gibt es in Österreich auch Stellvertreterkonflikte zwischen den beiden Religionsgruppen?

Nein, soweit würde ich nicht gehen. Allerdings herrscht innerhalb der türkischen Community immer wieder ein rauer Ton zwischen konservativen Sunniten, die sich politisch oft in der AKP von Präsident Erdogan beheimatet fühlen, und Aleviten, die Angehörige einer Glaubensrichtung mit schiitischen Einflüssen sind. Letztere stehen der AKP sehr kritisch gegenüber.

 

Das Buch "Sunniten gegen Schiiten" von Tyma Kraitt ist in jedem Buchhandel und online erhältlich: www.mediashop.at 

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Auch Sri Lanka spürt den Einfluss der Wahhabiten immer stärker.
Der lange Arm des Saudi-Riyal wirkt überall auf der Welt.
http://www.asiantribune.com/index.php?q=node/7156

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