„Fünf Mal schöner nur grindiger“

02. Mai 2017

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Tichy am Reumannplatz
Johanna Gudella

Der zehnte Wiener Gemeindebezirk ist seit jeher berühmt-berüchtigt. Das Leben hier ist etwas ganz Besonderes. Eine Ode an Favoriten, bevor es sich durch U-Bahn- Verlängerung und steigende Mieten noch mehr verändert.

Aufmerksame Social-Media- NutzerInnen werden feststellen: Einige Tweets der Polizei Wien hängen mittel- oder unmittelbar mit dem 10. Wiener Gemeindebezirk zusammen. Das mag gefährlich klingen, aber Favoriten hat viele Vorteile: Geht man im Zehnten abends mit knalligen Leggings und unvorteilhaften UGG-Boots vom Yogakurs nach Hause, wird man nicht misstrauisch beäugt, es werden viel mehr anerkennende Blicke der MitzehntlerInnen geerntet, die ausnahmslos genauso angezogen sind – ohne vorher beim Yoga gewesen zu sein. Man wird durch diese Blicke in ihrer Mitte aufgenommen, ein warmer, stiller Willkommensgruß, „yo, du gehörst zu uns.“ Ich gehöre gerne dazu.

Das Epizentrum Favoritens ist der Reumannplatz. Hier hält (noch) die letzte U-Bahn in den Zehnten, von hier schwärmen Favoritens Bewohner in alle Ecken des Bezirks aus. Hier ist der Tichy. Ab März ziehen wir nach unserem langen Winterschlaf in Scharen zum Reumannplatz, um das beste Eis zu genießen. Du bekommst Eismarillenknödel mittlerweile am Naschmarkt, aber du bekommst nicht das Gefühl, das du hast, wenn du mitten in den brutalen Schlangen an den Tichy-Theken stehst, weggeschubst wirst, nach kurzer Ohnmacht unter den schweren Stiefeln von dem sonst so netten Familienvater von nebenan aufwachst, dich aufrappelst, den Schritt nach vorne machst, endlich an der Reihe bist – dann schmeckt dein Eismarillenknödel, wie er schmecken soll.

Der Tichy ist wohl berühmt, aber der Zehnte hat noch so viel mehr zu bieten: Es gibt die hässlichsten Klamotten von ganz Wien auf der Favoritenstraße, die leckersten Baklava außerhalb der Türkei bei Seyidoğlu Baklavaları in der Nähe des Quellenplatzes – und analog dazu die besten Krapfen Wiens beim Groissböck – den wunderschönen Wienerberg, der es mit dem Volksgarten, der Donauinsel und dem Prater problemlos aufnehmen kann, Kultur in allen Formen und Farben. Ein Freund sagte mal zu mir: „Der zehnte Bezirk hat alles und ist fünf Mal schöner als die anderen Bezirke, nur ist er halt grindiger“ – Und das soll auch so bleiben. Trotz U-Bahn- Verlängerung, trotz steigender Mieten: Ich hoffe, dass ich auch weiterhin meinen ganz persönlichen Peggy Bundy-Style auf offener Straße ausleben kann und dass ich weiterhin meine Eismarillenknödel mit Blut und blauen Flecken bezahle.

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