Gastbeitrag: Pink oder Grün - Hauptsache Rot

29. Oktober 2020

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Ludwig, Wiederkehr, Koalition
HELMUT FOHRINGER / APA / Picturedesk.com

Wien ist eine Theaterstadt. Manchmal merkt man das auch in der Stadtpolitik. Die gekünstelte Aufregung in Zeiten politische Apathie hat vor allem eines an sich, nämlich operettenhaft zu sein.


Die SPÖ demonstriert ihre Macht und zwar nach dem Prinzip: Den Status Quo zerstören, um ihn wieder zu errichten. Was „neues“ muss her. Die Grünen sind abgeschmackt, lästig, wenngleich die politische Beurteilung des Lästigseins eher mager ausfällt. Zuvor hatte die Kurz-Blümel-Seilschaft, die Aspirationen des Bürgermeisters mit der alten ÖVP zu koalieren, um das Wien-Bashing zu stoppen, durchkreuzt. Wien ist ein zu gutes Feindbild.

Die NEOS haben nun das Potential schneller verbraucht zu sein, als die Jubilanten klatschen können. Die Grünen können in der Opposition nun zur Höchstform auflaufen. Denkt man ein bisschen um die Ecke, kann die SPÖ gezwungen sein auf Grünwähler zuzugehen, ökologische und soziale Verkehrspolitik zu machen. Die NEOS, die sich das Thema auch auf die Fahnen geheftet haben, wären gezwungen mehr als nur Placebos zu verteilen. Mit den Grünen in der Regierung hat die SPÖ auf Abgrenzung zum Umwelt-Thema gesetzt, aus Angst vor dem Autofahrer-Machismo der eigenen Bezirksfunktionäre. Die Grünen hingegen ereilte das altbekannte Schicksal derer, die symbolisch aufgeladen gegen „Stillstand“ antreten, schaumgebremst zu werden. Nach ein paar Leuchtturmprojekten war Schluss. Pop-Up-Projekte und Co. waren angesagt. Die „sozialökologische Erneuerung des Roten Wien“, vorgetragen von Parteivordenkern blieb in der Schublade, noch bevor Rot-Grün überhaupt begann.

Wer aber nun wegen SPÖ-NEOS den Tod des Roten Wien prophezeit, der war bereits zuvor schon verdrängt nekrophil. In Wien herrscht Restlverwaltung sozialer Errungenschaften. Es stimmt, die NEOS sind eine Ausgeburt des Marktradikalismus. Doch Faktum ist auch, die große Welle der wirtschaftlichen Liberalisierung ist schon unter SPÖ Ägide geschehen. Neuer Gemeindebau, der Mieten niedrig halten kann, entsteht nicht. Und allen anderen Phantasien wird die machtpolitische Realität entgegenstehen. Das offensichtlichste Beispiel dafür, dass ‚alles schlimmer wird‘, sind steigende Mieten, ohne dass die Löhne mitziehen. Ja, unter den Neos wird es für sozial Abgehängte noch ‚schlechter‘ werden, aber nicht weil jetzt marktradikale mitregieren, sondern weil sich die Politik der letzten Jahre fortsetzen wird. Wie kann man daher verübeln, dass es immer mehr Menschen verdammt egal ist, wer da oben regiert?  Und vor allem: Solange es niemanden gibt, der eine laustarke Lösung für ihre Alltagsprobleme hat.

Zum Autor: Cengiz Kulaç, ehemaliger Grüner, ist aktiver Beobachter der politischen Landschaft. 

 

 

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