Haarige Angelegenheiten - Seiten auf Null trotz Corona

17. April 2020

„Für uns Kanaken ist unser teuerstes Gut unser Verlauf, also unsere Frisur und unser Bart“, erzählt mir ein arabischer Freund lachend am Telefon, als ich ihn darauf anspreche, wieso seine Seiten (für Unwissende: Damit sind die Haare auf den beiden Seiten des Kopfes gemeint) auch einen Monat nach Verhängen der Ausgangsbeschränkungen stets frisch rasiert sind. Er ist nicht der Einzige:  Auf Instagramstories oder bei Videochats hat vor allem die männlich-migrantische Fraktion meines Freundeskreises verdächtig gut aussehende Haare.  

 Normalerweise spazieren sie alle zwei bis drei Wochen zum Barbier ihres Vertrauens. Friseure aber haben offiziell seit 14. März geschlossen. Eine einfache Rechnung: Es muss Mittel und Wege geben, dieses „teuerste Gut“ aufrecht zu erhalten - wenn auch nicht immer ganz legal. Diese Mittel und Wege sind verschieden – aber am Ende wollen sie alle nur eines haben: Die Haare schön. Oder die Seiten auf Null. 

Mr. Britney-Youtube-Tutorial

Da gibt es zum einen die „Heimwerker“: Sie schauen Youtube-Tutorials von Profi-Friseuren und  versuchen dann, diese daheim mit der Vier-Winkel-Funktion nachzumachen. „Und man failt dabei extrem. Man will Seiten haben aber endet mit einer Glatze, und dann sagt man `Uh, das ist wegen Corona.’ Aber das ist nicht wegen Corona, sondern wegen Talentlosigkeit beim Haareschneiden“, erfahre ich. Wenn das passiert, kann man(n) sein DIY-Fail aber immer noch als Britney-Moment verpacken, ohne dabei das Gesicht zu verlieren. Das ist natürlich kostengünstig, könnte aber schirch ausgehen - in doppelter Hinsicht. 

Die illegalen Hinterhof-Friseure

Dann gibt es die, die trotz Corona und Ausgangsbeschränkungen nicht darauf verzichten wollen, einen Profi an ihr teuerstes Gut zu lassen – auch wenn das bedeutet, sich nicht an das Gesetz zu halten.  „Du verabredest dich mit deinem Friseur, in, sagen wir mal, einem Kulturverein. Du und deine drei Freunde, die alle Haare schneiden wollen, kommen mit – da ergibt sich dann auch ein halbwegs schöner Betrag für den Friseur. Und man geht raus und fühlt sich wieder super“, zwitschert mir eine männliche arabische Quelle. Das scheint die häufigste „Methode“ zu sein. 

So beklagt auch ein männliches Wesen albanischer Herkunft sein Seelenleid: „Mein Verlauf und mein Bart haben einfach schon wie irgendwas ausgeschaut. Ich hab meinen Friseur einfach angerufen und wir haben uns an einem Sonntag in seinen Salon geschlichen – da gibt es eine Art Hinterraum, den man von außen nicht sieht. Ich hab ihm dann auch bisschen was extra gezahlt, weil er nur wegen mir hingefahren ist. Aber ich hab mich danach endlich wieder gut gefühlt.“„Man kann das überall machen, wo halt eine Steckdose ist“, resümiert ein anderer. Dass das natürlich nicht legal ist, sollte allen bewusst sein. Da aber einige Friseure aufgrund Corona auch ihren Job verloren haben, wollen die Stammkunden sie nicht im Stich lassen – sagen sie zumindest.  Wer selbst knapp bei Kasse ist, setzt seinen Kopf aufs Spiel:  „Man geht eine extrem heftige Wette ein – mit einem schönen Gewinn. Und wenn du verlierst, musst du deine Haare abrasieren. Und du wirst verlieren“, sagt ein Betroffener mysteriös. „Und du denkst dir, Corona wird eh noch ein halbes Jahr gehen aber dann ist alles in einem Monat vorbei und du schaust immer noch behindert aus.“ 

Foto: Unsplash
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All-In und Risiko

Dann gibt es die, die nicht All-In gehen, aber trotzdem Risikobereitschaft in Kopfsachen zeigen:  „Du lässt dir die Haare einfach von deiner Frau, deiner Freundin oder deinem Mitbewohner schneiden. Oder machst es eben selbst. Wie das dann aber im Endeffekt ausschaut, weiß keiner. Du setzt da einfach auf das Zufallsprinzip.“ Bleibt nur zu hoffen, dass man danach nicht aussieht wie Mr. Britney-Youtube-Tutorial.

Jeder von uns muss in dieser Krise Abstriche machen. Egal, ob im Job, bei Sozialkontakten oder eben bei Haaren. Aber eine Lösung, die für die oben genannten Herren keine Option zu sein scheint, wäre, sich mit seiner neuen Haarpracht anzufreunden – Oder ganz fad zu warten, bis die Friseure wieder aufsperren. Lang ist's ja nicht mehr bis dahin.

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