"Haben Sie nicht etwas Besseres zu tun?"

04. März 2021

Als Piefke, der nach Wien zog, fiel mir hier eine überzogene Polizeipräsenz auf. Aber ist mein Eindruck richtig, oder braucht Wien diese Polizisten wirklich? Ein Verständnisversuch.


 

Kurz nach meinem Umzug von Frankfurt nach Wien, wurde ich auf dem Fahrrad angehalten. Erst von einem Polizeiauto, dann kam noch eins und schließlich waren es drei Wagen und sechs Beamte, die sich um mich versammelten, um meinen Alkoholpegel auszumessen. Ich wurde stutzig, in Frankfurt habe ich so etwas nie erlebt, so ein Aufgebot für einen Radfahrer. „Haben Sie denn keine wichtigeren Fälle?“, fragte ich einen von ihnen, dessen Aufgabe es war, mich mit verschränkten Armen sehr ernst anzuschauen. „Haben wir nicht.“, sagte der und fügte ironisch hinzu: „Sagen Sie doch Bescheid, wenn sie was hören.“

Später erfuhr ich, dass diese Fahrradkontrolle so etwas wie ein Willkommensritus für Deutsche ist. Ein bisschen Rumfragen in meinem Freundeskreis ergab, dass ich nicht der einzige Idiot war, der eine schmerzliche Summe von 440 Euro bezahlen musste, für einen Promillewert von 0,9, der auf deutschem Bundesgebiet gar nicht verboten gewesen wäre, denn dort liegt die Toleranzgrenze bei 1,6. Seit diesem Erlebnis hielt ich also alles für möglich und noch so eine Strafe würde mein Konto nicht verkraften. Ich wurde jedes Mal nervös, wenn ich Polizei sah. Und das war sehr oft. Denn: In Wien gibt es viel Polizei.

Nun wäre das aber dreist, sich über zu hohe Polizeipräsenz zu beklagen, wo doch die Wünsche vieler Wiener gegenteilig und die Versprechen der regierenden Politiker immer wieder die Neuschaffung von Stellen sind. Das kann nicht richtig sein. In der Tat, die Aktionen sprechen erstmal gegen diesen Gedanken. So begann noch unter Schwarz-Blau und dem damaligen Innenminister Herbert Kickl 2019 ein Prozess, an dessen Ende bundesweit rund 4000 neue Beamte, 2000 davon für Wien vorgesehen, stehen sollten. Begründet wurde dies mit einer zu hohen Zahl an Überstunden bereits arbeitender Polizisten. Ist die Exekutive überlastet? Sie selbst sagt: Nein. Hier wurden bereits Gegenstimmen innerhalb der Polizei laut, da junge Polizisten diese Stunden zur Aufbesserung ihres Startgehaltes oft bewusst auf sich nehmen wollen. Außerdem wurden das Aufnahmeverfahren und die Ausbildung erleichtert, was auch von innerhalb kritisiert wurde. Grund für die, im Anbetracht der bis dahin existierenden 9000 Beamten in der Hauptstadt, doch erhebliche Verstärkung, ist also keine steigende Kriminalitätsrate. Im Gegenteil: Wien zählt seit Jahren zu den sichersten Städten weltweit. Nur vorsichtshalber, „um die zufriedenstellenden Zahlen zu halten“, erhöhte man die Polizeipräsenz um 25 Prozent.

Österreich liegt in der Kriminalitätsrate unter dem EU-Durchschnitt, während die Zahl der Polizisten pro 100.000 Einwohner mit 333 darüber liegt. Meine Heimatstadt Frankfurt gilt als kriminelle Hochburg Deutschlands. Vergleiche ich sie mit Wien, so ist die relative Zahl der registrierten Kriminalität, trotz niedrigerer Polizeipräsenz fast doppelt so hoch. Die Aufklärungsquote der angezeigten Verbrechen liegt in Frankfurt bei rund 70 %. In Wien werden mit 44 % nicht einmal die Hälfte aller Anzeigen tatsächlich aufgeklärt. Zusammengefasst lässt sich schlussfolgern: Die Stadt Wien hat mehr Beamte, die ineffizienter arbeiten als ihre Frankfurter Kollegen. Die Landespolizeidirektion Wien weist hier auf Unterschiede in der Statistikerfassung hin. In jedem Fall wird eine Aufstockung an der Sicherheit der Stadt nichts ändern. Einzelne „Hotspots“ wie der Praterstern könnten vielleicht mehr Streifenpolizei vertragen. Was aber ein Problem darstellen wird, ist, dass mehr Polizisten in der gesamten Stadt auch mehr Verbrechen finden und verfolgen müssen. Das bedeutet, es werden immer kleinere Vergehen bestraft werden, um die Wochenstatistik der einzelnen Beamten zu füllen. Schließlich kann man nahezu jeden bei irgendetwas auf frischer Tat ertappen.

Und ja, viel davon ist Gemütssache. In Frankfurt geht man über rote Ampeln und hier nicht. Damit kann ich leben, das finde ich sogar angenehm gemütlich. Aber wenn man einen Fußgänger für so etwas anhält und drei Beamte ihm einen Strafzettel schreiben, dann ist doch die Frage berechtigt: Brauchen wir dieses Personal nicht woanders?

 

 

 

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