Hilfe! Arabischer Mann in Sicht!

29. Februar 2016

Ich bin total angepisst, als ich neulich in den Bus steige. Das Wetter ist nicht nach meinem Geschmack und mein Kopf ist voll. Vor meinem inneren Auge rattere ich dauernd die To-Do-Liste des Tages runter. Dazu kommt, dass ich mich längst mal wieder bei meinem Vater melden sollte, zu dem ich manchmal ein schwieriges Verhältnis habe. Und dann ist da noch die politische Situation, die mir gerade ziemlich zu schaffen macht.

Ich steige also in den Bus ein und biege gleich als einzige nach links ab, um mir im hinteren Teil ein Plätzchen zu suchen. Und da sitzt er. Würde er in einem Zeitungsbericht auftauchen, dann stünde da in etwa: Großer, stark gebauter, arabisch aussehender Mann um die 40. Sofort beginne ich innerlich eine Art Checkliste abzuarbeiten. Sind da noch andere Menschen in der Umgebung? – Fehlanzeige. Ist es klug, mich ganz allein zu diesem Mann in den hinteren Teil zu setzen? Wo gibt es einen Fluchtweg, falls er etwas tut? Was, wenn er mich nachher verfolgt?

Diese Gedanken sind nicht zuletzt deshalb so absurd, weil ich gerade auf dem Weg zur Arbeit bin. Arbeiten bedeutet in meinem Fall, dass ich den ganzen Nachmittag völlig allein in einem Raum mit arabischsprachigen Männern verbringen werde. Aber es wäre schlicht gelogen, zu behaupten, dass ich deshalb keine Vorurteile hätte, oder dass ich gänzlich unbeeinflusst von den Medien und den Vorfällen der letzten Monate wäre.

Natürlich gehe ich die Security-Checkliste in meinem Kopf nicht nur bei ausländisch aussehenden Männern durch. Ich tue das in vielen Situationen, die mir nicht geheuer sind. Aber gerade weil man von Haus aus ein vorsichtiger Mensch ist, setzen sich bestimmte Dinge eben in den Köpfen fest, auch wenn man sie da gar nicht haben will.

Bereits nach dem übernächsten Schritt schäme ich mich für all meine Gedanken. Denn hinter dem großen, mächtigen Mann taucht ein zierliches Mädchen auf, das sich eng an ihn kuschelt. Er hat seinen Arm schützend um das Mädchen gelegt. Zwischen ihnen hat gerade noch der kleine rosa Rucksack des Mädchens Platz, den er ebenso wie seinen Augapfel hütet. Der arabische Mann im Bus – ein liebender Vater.

Nach zwei Stationen betätigt er den Türstopper. In diesem Moment treffen sich ihre Blicke, und das Mädchen beginnt zu strahlen. Beide beginnen zu strahlen. In diesem Blick liegt unendlich viel Liebe, und noch mehr als das. Dieser Blick sagt: „Solange wir einander haben, kann uns nichts geschehen.“ Es ist schwer auszudrücken, was dieser Blick alles ausstrahlte. Ich glaube, es lässt sich am besten mit dem Wort „Frieden“ zusammenfassen. Und ohne dass die beiden etwas davon mitbekommen, lächle ich unwillkürlich mit.

Als sie ausgestiegen sind, schreibe ich als erstes meinem Vater eine SMS. Und auch sonst starte ich irgendwie viel ruhiger in den Tag. Ich weiß nicht, auf welchem Wege die beiden bis hierher in diesen Bus gekommen sind, aber der Frieden, den sie ausgestrahlt haben, hat mich angesteckt und ich bin um ein Kinderlachen reicher geworden. 

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