Kole sana wento tayebin! Wie Wiener Kopten Weihnachten feiern
Mag sein, dass das koptische Weihnachten 2021 geringere Besucher*innenanzahlen im arabischen Haushalt bedeutet, gekocht wird deswegen aber nicht weniger!
Es ist 15 Uhr am Nachmittag und mein Magen knurrt vor Hunger. Essen werde ich jetzt aber trotzdem nicht, weil ich bis zur Weihnachtsmesse am Abend fasten möchte. Kommunion sollte man strikt nur auf leerem Magen zu sich nehmen. Gestresst und hungrig macht sich meine fünfköpfige Familie für unsere Weihnachtsmesse fertig. Statt Essen riecht man nur Shampoo und Haarspray. Auch heute, am 6. Jänner 2021, geht es in unsere Stammkirche – die St. Markus Kirche, in der Nähe von Kaisermühlen. Dort angekommen entgegnet mir bereits eine Wolke von Weihrauch, welche in mir sofort ein Gefühl von Geborgenheit auslöst. Meine ganze Kindheit habe ich diesen Duft Woche für Woche Sonntags einatmen dürfen. Wegen Corona wurde die üblicherweise drei Stunden dauernde Messe auf eine Stunde verkürzt, nur jede zweite Reihe besetzt und eine ganze Reihe für je eine Familie zur Verfügung gestellt. Während unserer einstündigen Messe tragen Frauen ein helles Kopftuch – locker über das Haar fallend und dekoriert mit heiligen Abbildungen (Ikonen). Festlich singen wir auf Arabisch, Deutsch und Koptisch, welche vom 3. bis zum 17. Jahrhundert die Erstsprache unseres Volkes war und mittlerweile nur mehr innerhalb kirchlicher Wände Verwendung findet.
So wie viele andere Austro-Kopt*innen der ersten Generation sind meine Eltern direkt nach ihrer Hochzeit nach Österreich geflogen. Einerseits mit dem Ziel, ein neues Leben zu beginnen und anderseits, um von der Verfolgung von koptisch-orthodoxen Christen in Ägypten zu flüchten. Als Zeitungsverkäufer*innen gestartet, ermöglichten sie meinen Geschwistern und mir Chancen, von denen sie als Kinder nur träumen konnten. Das Wunschziel war eigentlich die USA, in der heute über 1 Million Kopt*innen leben. Nachdem das mit dem Visum nicht geklappt hat, wurde es, zu meinem Glück, Österreich. Hier umfasst unsere Community fast 10.000 Menschen. Von fast 100 Millionen Bürger*innen Ägyptens bildet der ca. 20-prozentige koptische Anteil die größte christliche Minderheit in dem Land am Nil.
Es ist die Zeit im Jahr, in der meine katholischen Nachbarn den Weihnachtsschmuck in ihren Kellerabteil verfrachten und den vertrockneten Weihnachtsbaum durch die Gänge der Stiege schleifen. Die Zeit, in der alle Weihnachtssüßigkeiten um den halben Preis verkauft werden und unsere arabischen Schnäppchenjäger*innen als Eltern grinsend zugreifen. Diese zweiwöchige Zeitverzögerung liegt daran, dass wir orthodoxe Ägypter*innen nach einem anderen Kalender leben – Dem koptischen Kalender.
Die katholische Weihnachtszeit habe ich mit gestresstem Shopping verbracht. Natürlich für Geschenke aber vor allem für das perfekte Weihnachtsoutfit. Bunt und festlich soll es sein. Baba (Vater) bekommt ein neues Hemd mit passender Krawatte und mein 9-jähriger Bruder einen neuen Anzug. Üblicherweise brauche ich zwei Outfits für den 6. und den 7. Jänner. Wegen Corona fällt aber das alljährige Riesentreffen aller Kopt*innen in ganz Wien in der Milleniumcity aus. Morgen, am 7. Jänner, werden die Kinoleinwände in der Milleniumcity unbeleuchtet, die Geschäfte geschlossen und der Essensgeruch in der Cafeteria ausbleiben.
Dass die Milleniumcity dieses Jahr Kopt*innen-leer ist, wird unsere Community aber nicht davon abhalten zu tun, was sie am Liebsten tut: Essen. Noch am Abend nach der Messe und auch am Tag darauf, werden Berge an Fleischgerichten serviert. Natürlich mit Reis und Kartoffeln und Brot als Beilage. Kofta, Makarona Bashamel (arabische Version der Lasagne) Mombar (Reisauflauf in Kuhgedärmen), Hawauschi (selbstgebackenes Brot mit Fleischfüllung) und Vieles mehr. Wenn mal alle unsere Fastenzeiten zusammenzählt, fasten Kopt*innen fast das halbe Jahr und so auch in der Vorweihnachtszeit. Wenn wir Kopt*innen fasten, ernähren wir uns vollkommen vegan. Mit Ausnahmen bestimmter Fastenzeiten, in denen wir zusätzlich Fisch essen dürfen. Ich nehme mal an, dass die Fleischfaszination daher von der (freiwilligen) Restriktion kommt. Ich muss jetzt weiter meinen Magen vollschlagen, in diesem Sinne...
Kole sana wento tayebin und happy la7ma!
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