„Meine Gebärmutter gehört nicht der Kirche“ – Polinnen, die gegen das Abtreibungsverbot demonstrieren:

05. Oktober 2016

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Kleiderbügel gegen Abtreibungsverbot
Kleiderbügel gegen Abtreibungsverbot

Am Montag trug Polen Schwarz. Im ganzen Land sind zehntausende Frauen auf die Straße gegangen, um im Rahmen des „schwarzen Protestes“ gegen ein totales Abtreibungsverbot in ihrem Land zu demonstrieren. Was das konkret bedeutet: Frauen gingen an diesem Tag nicht in die Arbeit oder zur Uni, Hausfrauen haben ihre Arbeit für den Tag niedergelegt, viele Geschäfte waren geschlossen – Stattdessen ging man schwarz gekleidet auf die Straße und protestierte gegen eine Verschärfung des bereits sehr restriktiven Abtreibungsgesetzes. 

Foto: Barbara Romanowska
Foto: Barbara Romanowska

Fünf Jahre Gefängnis für Abtreibung

Polen hat sowieso schon eines der strengsten Abtreibungsgesetze der Welt. Das bisherige Recht erlaubt Abtreibungen nur in drei Fällen. Bei einer Bedrohung für Leib und Leben der Mutter, einer irreversiblen schweren Schädigung des Embryos, oder wenn die Schwangerschaft durch eine Vergewaltigung oder Inzest entstanden ist. Jetzt soll der Schwangerschaftsabbruch unter keinen Umständen mehr legal sein. Nicht nur Ärzte, die Abtreibungen durchführen, sollen sich strafbar machen - auch die Frau würde nun im Falle einer Abtreibung eine Haftstrafe von bis zu fünf Jahren erwarten. Polen hätte damit das strengste Abtreibungsgesetz in der Europäischen Union. Ein entsprechender Gesetzesvorschlag der Bürgerinitiative "Pro Life" wurde vom Parlament in erster Lesung bereits angenommen. Das neue Gesetz soll übrigens nicht nur Abtreibung verbieten und strafbar machen: Pränataldiagnostik soll verboten werden, genau wie Notfallverhütung wie die „Pille danach“. Die nationalkonservative Regierungspartei PiS sowie die katholische Kirche unterstützen diesen Gesetzesentwurf, in dem übrigens unter anderem Papst Johannes Paul zitiert wird.

Ihr macht meinen Körper zu einem Schlachtfeld
Ihr macht meinen Körper zu einem Schlachtfeld

„Meine Gebärmutter gehört nicht der Kirche“

Damit wollen sich die polnischen Frauen nicht zufriedengeben. Viele der Demonstrierenden hielten bei den Protesten Kleiderbügel aus Draht in die Luft — als Symbol für lebensbedrohliche veraltete Abtreibungsmethoden, mit denen verzweifelte Frauen früher selbst abgetrieben und dabei oft nicht überlebt haben. Zudem sah man vielerorts Plakate mit Slogans wie „Ich wünschte, ich könnte meine Regierung abtreiben“ , oder „ Meine Gebärmutter gehört mir und nicht der Kirche“. Die Demonstrierenden wurden von der katholischen Kirche und etlichen Pro-Life-Organisationen als Mörderinnen und Werteverräterinnen dargestellt. Dabei ging es vielen nicht einmal um das Thema der Abtreibung selbst. Ich habe mit fünf Polinnen (und einem Polen) darüber gesprochen, wie sie zu der Situation in ihrem Land stehen: 

Kleiderbügel gegen Abtreibungsverbot
Kleiderbügel gegen Abtreibungsverbot

„Ich war mit meinem Baby auf der Demo“

„Ich war am Montag auf der Demo in Krakau. Mit meiner einjährigen Tochter im Arm. Es geht nicht darum, wie ich selbst zum Thema Abtreibung stehe, ich bin erwachsen und kann selbst über mich entscheiden. Das soll auch so bleiben“, sagt die 29-jährige Dominika. „Wenn ich daran denke, dass eine 13-Jährige vergewaltigt wird, und dann gezwungen ist, dieses Kind auszutragen, dreht sich bei mir der Magen um. Da sollte sich weder die Kirche, noch sonst irgendwer einmischen“, meint sie.

„Ich habe zum ersten Mal so eine Frauenpower gespürt“

Die 24-jährige Barbara stand am Montag in Warschau bei der größten Demonstration mehrere Stunden im Regen: „Normalerweise bin ich nicht jemand, der auf Demos geht. Aber zum ersten Mal habe ich einfach das Bedürfnis gehabt, mich mit den Frauen und Mädchen hier zu solidarisieren. Es war beeindruckend zu sehen, was passiert, wenn einen Tag lang die Hälfte der Lokale und Geschäfte in Warschau geschlossen hat, weil Frauen nicht in die Arbeit gehen. Es geht darum, zu zeigen, dass wir da sind, und dass wir wichtig sind. Zum ersten Mal habe ich so eine Frauenpower gespürt.“ Barbara hat am Montag von ihrem Chef in der Arbeit frei bekommen, damit sie auf die Demo gehen kann.

„Nicht mal im Kommunismus war es so schlimm“

Auch die 84-jährige Stefania steht hinter den jungen Demonstrantinnen. „Die Kirche will also, dass Frauen Kinder zur Welt bringen, die sie gar nicht wollen. Ich frage mich, wer sich dann um diese Kinder kümmert. Der Staat bestimmt nicht. Ich finde es gut und wichtig, dass diese Demos stattgefunden haben. Wusstest du, dass zu der Zeit des Kommunismus (Anm. d. Red. in den 50er-80er Jahren) Abtreibung in Polen legal war? Diese Zeiten waren schlimm für unsere Geschichte, aber nicht mal damals war man so rückschrittlich wie jetzt, was dieses Thema angeht.“ meint sie. Außerdem findet sie es schlimm, wie sehr das Staatsfernsehen die Fakten zurechtbiegt. „Sie haben es so aussehen lassen, als hätten nur einige wenige an diesen Demos teilgenommen. Ich habe dann aber im Internet recherchiert, und es war alles andere als das, was im Fernsehen gesagt wurde.“

Ihr macht uns das Leben zur Hölle
Ihr macht uns das Leben zur Hölle

„Sie wollen uns verbieten, das Leben zu retten.“

„Es geht nicht darum, dass ich persönlich aktiv für Abtreibung bin. Ich will einfach, dass alle Frauen darüber entscheiden dürfen, was mit ihrem Körper passiert.“ sagt die 25-jährige Kasia, die am Montag in Krakau demonstriert hat. „Mir ist vor allem aber das Thema der Pränataldiagnostik sehr wichtig, die ja auch verboten werden soll. Mehrere Frauen aus meiner Familie hatten schon eine Fehlgeburt, ich finde es extrem wichtig, sicherzugehen, dass man das beste für das Kind tut – da geht es ja mehr darum, das Leben zu „retten“, wenn es die Kirche so will.“ Generell sieht Kasia nicht ein, wieso der Staat in ihre Gesundheit und Familienplanung eingreifen sollte. Besonders schlimm findet sie auch, dass im Staatsfernsehen seit dem Regierungsantritt der PiS regelrecht Propaganda betreiben wird. „Sie zeigen im TVP (Anm. d. Red. so etwas wie ORF bei uns) keine Zahlen und Statistiken, aber Hauptsache, sie betonen, dass mehr als zehntausend Menschen an dem „weißen Protest“ , also an der Gegendemo der Abtreibungsgegner teilgenommen haben. Was übrigens nicht stimmen kann, wenn man sich allein die Fotos anschaut.“

„Es geht um die Rechte der jungen Frauen“

Auch die 52-jährige Halina war mit einer Gruppe von Freundinnen am Montag in Warschau auf der Demo. „Was gerade in unserem Land passiert , ist rückschrittlich und einfach menschenverachtend. Für mich mit meinen 52 Jahren ist das Thema Kinderkriegen schon passe, es geht mir darum, für die Rechte der jüngeren Frauen zu kämpfen. Ich sehe vor allem nicht ein, wieso Kirchenvertreter, allesamt Männer, über uns entscheiden wollen. Ein bekannter polnischer Priester ist der Meinung, dass bei einer Vergewaltigung keine Schwangerschaft entstehen kann, da es dann von Gott nicht gewollt ist. Wenn ich so etwas höre, sehe ich es als meine Pflicht an, mich auf die Straße zu stellen und dagegen zu kämpfen“, sagt sie. „Abtreibungen wird es so und so geben, die Frauen werden dann eben in ein Nachbarland fahren oder es schlimmstenfalls selbst versuchen, mit schlimmen Folgen.“ Das Verbot der Pränataldiagnostik sieht sie überhaupt nicht ein. „Wenn dir gesagt wird, dass dein Kind ohne ein überlebenswichtiges Organ geboren wird und zwei Stunden nach der Geburt sterben wird, dann sollte es deine Entscheidung sein, ob du diese Schwangerschaft austragen möchtest. Wenn es eine Frau will, wird sie niemand daran hindern. Wenn sie es nicht will, sollte sie auch niemand daran hindern“, fügt sie hinzu. 

 

Schwarzer Protest
Schwarzer Protest

 

„Ich bin für das absolute Abtreibungsverbot“

Neben den Protestierenden und Teilnehmern am „Schwarzen Protest“ gibt es aber natürlich auch die andere Seite. Die Polen, die den neuen Gesetzesentwurf befürworten. Wie der 27-jährige Dawid: „Auch wenn alle gegen das neue Gesetz sind, und alle herumschreien, wie sehr die Entscheidung der Frau eingeschränkt wird, bin ich dafür. Leider wird die polnische Gesellschaft in vielerlei Dingen "westlich" und egoistisch und pickt sich nur das Gemütliche heraus. Man sieht den Menschen mehr und mehr als Produkt an. Werteverfall und so. Polen wird meiner Meinung nach in ein paar Jahrzehnten ein Vorbildsland in der EU und nicht mehr das medialgefickte sein. Viele deutsche Medien verunstalten  das Bild Polens von innen, indem sie auf Polnisch negative Schlagzeilen am Fließband erzeugen, wie nun auch. Was ist schlimm daran, Leben gesetzlich zu schützen? Die Zeit wird es zeigen“, sagt der in Wien lebende gebürtige Pole.

In Straßburg wird diskutiert

Was die Zeit auch zeigen wird, ist, was bei den Protesten herauskommt, und ob der Gesetzesbeschluss als solcher wirklich durchkommt. Die Fraktion der Sozialdemokraten im EU-Parlament versammelte sich in Straßburg, um Unterstützung für die Grundrechte der polnischen Frauen zu zeigen. Das Thema soll nun im Plenum diskutiert werden. 

Update Mittwochabend: Die Proteste der Frauen scheinen sich gelohnt zu haben. Heute ließ die Regierung verkünden, dass sie doch beim bestehenden Gesetz bleiben will. Der Senatssprecher Stanislaw Karczewski ließ verlautbaren, dass die Regierung nicht weiter an dem Gesetzesentwurf arbeiten werde. Die Proteste haben "uns zum Nachdenken gebracht und uns Bescheidenheit gelehrt" so der polnische Wissenschaftsminister Jaroslaw Gorwin.

 

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