Probleme beseitigen, bevor sie passieren?

15. April 2021

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Nada El-Azar
(C)Zoe Opratko

Und wieder passierte in den Niederlanden ein Übersetzungsdebakel. Nach der Debatte um die „geeignete“ Person zur Übersetzung des Gedichts „The Hill We Climb“ von Amanda Gorman, muss diesmal ein großer Klassiker der Weltliteratur dran glauben: Dante Alighieris „Göttliche Komödie“.

Im ersten Teil des Versepos, der „Hölle“, trifft Dante im 8. Höllenkreis auf den Propheten Mohammed, der für das Säen von religiöser Spaltung und Zwietracht büßen muss. Sein Körper ist von der Leiste bis zum Kinn aufgerissen, seine Eingeweide hängen heraus. Auch dessen Schwiegersohn Ali muss sich für die Spaltung der Schiiten und Sunniten verantworten. Die belgische Übersetzerin Lies Lavrijsen hat diese Passage so weit überarbeitet, dass die grausamen Details den LeserInnen erspart bleiben. Dass neben diesen zwei Figuren der Weltgeschichte auch eine ganze Reihe von Päpsten und Homosexuellen im Fegefeuer gelandet sind, schien hingegen keine Zensur benötigt zu haben.

Ignoranz schafft Hass

Lavrijsen begründete ihre Änderungen mit dem Argument, niemanden unnötig verletzen, und den Text für ein möglichst breites Publikum zugänglich machen zu wollen. Laut Medienberichten wurde darauf verwiesen, dass die Übersetzerin – die ganz nebenbei normalerweise nicht aus dem Italienischen überträgt – den Auftrag kurz nach der Ermordung des Lehrers Samuel Paty erhalten hat. Wäre es an dieser Stelle nicht besser gewesen, diese Auflage der „Göttlichen Komödie“ mit einer Kontextualisierung zu versehen? Der Verlag Blossom Books hat ein breites Angebot an Büchern, die sich an junge Erwachsene richten. Und gerade bei dieser Zielgruppe ist es, meiner Meinung nach, besonders wichtig, einen Raum für Diskussionen zu schaffen, in denen sich Jugendliche selber ein Bild über solche literarischen Werke machen können. Denn Hass entsteht oftmals aus Ignoranz und Unsicherheit. Und genauso ignorant ist die Übersetzerin Lavrijsen an den Auftrag herangegangen: Sie hat versucht ein Problem zu beseitigen, das es gar nicht gab. Und das aus Motiven, die gar nicht im Raum standen.

In der Political-Correctness-Bubble der sozialen Medien liest man vielerorts, wie die Anhänger sich nicht auf Diskussionen mit Rechten, Rassisten, Weißen, oder anderen „verfeindeten“ Gruppen einlassen möchten und andere dazu auffordern, das ebenfalls zu tun. So verhärten sich allerdings nur die ideologischen Fronten und es kommt zu immer absurderen und kleinkarierteren Nischen, in denen jeder denkt, die Oberhand in einer Debatte zu haben. Deshalb ist die Selbstzensur nur eine billige Schutzmaßnahme, die letzten Endes niemandem etwas bringt. Die PC-Bubble hätte auch locker fordern können, dass die Bestrafung Homosexueller in der „Göttlichen Komödie“ als „Hate-Speech“ nicht mehr zeitgemäß sei, und daher zensiert gehört. Die (Puten-)Extrawurst gibt es aber wieder nur für Muslime.

„Dantes Hölle ist gerecht.“

Der niederländisch-tunesische Schriftsteller Abdulkader Benali schreibt in seiner Kolumne für das Medium „Touw“, dass niemand in seiner Familie Dante gelesen hat. Dafür habe er es in seinen Zwanzigern getan. Und was ihn an Dantes Hölle angesprochen hat, war, dass sie „voller berühmter Sünder wie großen Philosophen, rivalisierenden Politikern und ehebrecherischen Päpsten war.“ Die Elite werde hart getroffen, wenn Gott bestraft, täte er es erfinderisch. „Und seltsamerweise gab Ihnen diese Hölle auch Sicherheit: Am Ende bekommen Sie das, worauf Sie Anspruch haben, nicht mehr und nicht weniger. Dantes Hölle ist gerecht, der Allmächtige irrt sich nicht“, heißt es weiter.

Benali beruft sich in seiner Argumentation auch darauf, dass Dantes Hölle auffallend multikulturell sei, „besonders im Vergleich zu unserer Zeit, in der alles, was mit dem Islam zu tun hat, mit Argwohn betrachtet wird.“ Und ich gebe ihm vollends recht.

Infantilisierung, Ahoi!

Was mich an dieser Sache so wurmt, ist, dass es einerseits keine virulente Forderung aus der islamischen Welt zur Streichung der Mohammed-Passage gegeben hat. Die belgische Übersetzerin infantilisiert damit auch auf eine gewisse Art Muslime, weil sie denkt, dass allein das Weglassen der Propheten-Bestrafung Dante für das oben erwähnte „breitere Publikum“ zugänglicher machen würde. Für wie emotional unvorbereitet müsste sie Jugendliche, muslimisch oder nicht, denn auch halten, dass die Originalpassagen für sie nicht zumutbar wären? Ich schätze, dass es, im Gegenteil umso mehr Interesse an der „Göttlichen Komödie“ wecken könnte. Andererseits ist das „orwell’sche“ Umschreiben der Vergangenheit sicher nicht der richtige Weg in Richtung Fortschritt. Wie viele Werke aus der islamischen Welt gibt es, in denen „Hate Speech“ gegen Christen und andere Ungläubige, Homosexuelle etc. betrieben wird, und wo man hierzulande aber keine Umschreibung fordert? Es wird, wie so oft, mit zweierlei Maß gemessen. Aber auch schlechte Publicity ist letzten Endes Publicity und lenkt Aufmerksamkeit auf solche identitätspolitischen Absurditäten. Vielleicht kann man sich in Zukunft auch noch weiter auf Exempel aus den Niederlanden verlassen.

 

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