Russisch und die Ukrainer

12. Mai 2015

Ich gehe im Frühling durch den Volksgarten spazieren. Ich bin total mit meinen eigenen Gedanken beschäftigt.

Plötzlich höre ich Russisch. Die ersten zwei Sekunden habe ich ein verwirrendes Gefühl und fühle mich irgendwie komisch. Ich kann es nicht beschreiben, aber es hat mich einfach irritiert. Dann sehe ich ein blau-gelbes Band (die Farben der ukrainischen Fahne) auf der Tasche der Leute und fühle, wie ich mich wieder beruhige. Sie sind offenbar Ukrainer, die hier Russisch reden.

Die nächsten paar Minuten schäme ich mich. Warum? Weil ich nur aufgrund der Sprache voreilige Schlüsse gezogen habe und für eine Sekunde lang eine gewisse Voreingenommenheit gegenüber dieser Menschen empfunden habe - ohne sie persönlich zu kennen. Dafür schäme ich mich wirklich.

Zehn Jahre lang war es keine Frage, welche Sprache man in der Ukraine spricht. Es ist dazwischen ein paar Mal zur Manipulationsversuchen seitens der Politiker gekommen, aber sonst war das kein Diskussionsthema. Es war immer eine individuelle und persönliche Entscheidung, in welcher Sprache man sich unterhalten möchte. Ich habe Freunde, die immer auf Russisch mit mir gesprochen haben und ich habe auf Ukrainisch geantwortet. Wir haben uns nie darüber Gedanken gemacht, ob wir überhaupt über dieses Thema diskutieren sollten.

„Ein bisschen“ geändert

Letztes Jahr hat sich das geändert. Die Propaganda und der Krieg haben viel verändert. Ich fühle mich schlecht, dass ich mich von dieser billigen Manipulationen beeinflussen lassen habe. Gleichzeitig bin ich aber so ehrlich und gestehe mir das selber ein. Ich habe mit einem Bekannten aus der Ukraine darüber gesprochen, er studiert jetzt in Tallin. "Tallin ist so eine internationale Stadt. Ich bekomme nie diesen „Tick“, wenn ich Russisch höre. Man muss vor allem die Person bewerten, aber nicht ihre Herkunft", erklärt er mir. Er konnte mein Gefühl zwar nachvollziehen, aber ihm ist sowas noch nie passiert. Hoffentlich mir auch nie mehr.  

"Danke" Propaganda, dass du einen künstlichen Konflikt geschaffen und so viele Menschen zu Feinden gemacht hast. Aber danke auch mir selbst, dass ich so mutig bin und mir meinen Fehler selber eingestehen konnte. Dieser "Tick" ist bei mir einmal vorgefallen - es wird aber garantiert nicht noch einmal passieren.

Lidiia Akryshora ist derzeit die Stipendiatin der biber-Akademie. Sie ist ukrainische Journalistin, die seit zwei Jahren in Österreich lebt. Deswegen einfach ein Auge zu drücken, falls ihr den ein oder anderen Fehler in ihren Blogs entdeckt. Aller Anfang ist schwer und ihr seid bestimmt auch keine Profis in Ukrainisch, Russisch und ein bisschen Polnisch oder?

 

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