Simonida Selimović: „Im Theater sehe ich keine Frauen, die so sind wie ich.“
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Im Stück „Bibi Sara Kali“ begeben sich drei serbische Schwestern im Heimatdorf ihrer verstorbenen Mutter auf die Spuren ihrer Roma-Identität. Biber traf die Regisseurin, Aktivistin und Hauptdarstellerin Simonida Selimović nach der Endprobe zur Uraufführung im Werk X-Petersplatz.
Die schwer an Krebs erkrankte Jelena steigt in Wien-Erdberg in den Bus. Ein letztes Mal fährt sie nach Boljevac, ihr Heimatdorf in Serbien, um den Bibijako Djive (dt. Tag der Tante) zu feiern. Kurz darauf stirbt sie und hinterlässt drei erwachsene Töchter, die nun zum ersten Mal nach fast 30 Jahren in die serbische Heimat ihrer Mutter fahren müssen, um sie zu beerdigen. Snezana, Melisa und Tanja wurden in Wien jedoch ohne Roma-Traditionen erzogen und stehen am Balkan vor einer großen Zerreißprobe. Kannten die Töchter ihre Mutter wirklich? Warum tauchen erst mit ihrem Tod unzählige Regeln und Traditionen auf, die in ihrem Leben bislang nie eine Rolle spielten? Die Schwestern begeben sich auf die Spuren ihrer eigenen Identität und Familiengeschichte, die von großer Scham und Ausgrenzung geprägt ist.
In „Bibi Sara Kali“ erzählt Regisseurin, Roma-Aktivistin und Schauspielerin Simonida Selimović die Geschichte einer uralten Familientradition, das jährliche Ehren der Bibi Sara Kali, einer Art Schutzpatronin der Roma, die aber auch in verschiedenen Variationen und kulturellen Bräuchen auf der ganzen Welt vertreten ist. Gemeinsam mit Ibrahim Amir setzte sie das Projekt zunächst als Theater-Film-Schau um, das vom Roma-Kulturverein Romano Svato initiiert wurde.
Romano Svato-Gründerin und Regisseurin Simonida Selimović im Interview, wie das Theaterprojekt „Bibi Sara Kali“ zustande kam, und warum es wichtig ist, auch die Stimmen in der Gesellschaft ins Theater zu bringen, die sonst sehr leise ist.
BIBER: Wie ist dein Bezug zur titelgebenden Figur der „Bibi Sara Kali“?
Simonida Selimović: Ich feiere sie, seitdem ich auf der Welt bin, jedes Jahr am 31. Januar. Lange Zeit wusste ich nicht, dass Bibi eine Schutzpatronin der Roma ist, die Menschen geholfen hat. Das habe ich eigentlich erst vor wenigen Jahren, nachdem mein Großvater gestorben war, erfahren. Nach langer Recherche ist mir klar geworden, dass Bibi eigentlich der Hindu-Göttin Kali entspricht. In Frankreich wird sie unter dem Namen Sara gefeiert. Die Roma haben ihre jahrhundertealte Tradition mit nach Europa genommen, und ihre Wege gefunden, um Kali verdeckt weiterfeiern zu können. Im Grunde wurde Kali „gewhitewashed“ und christianisiert, aus Gründen der Unterdrückung der Roma – und auch aus Selbstschutz.
Du sprichst viel über eine gewisse Scham in der Rom*nja-Community. Wie hat dieses Gefühl dich und deine Arbeit geprägt?
Als Kind habe ich schon in Boljevac, wo ich aufgewachsen bin, gemerkt, dass meine Lehrer und Lehrerinnen, die weiß waren, mich anders behandelt haben. Aber als Kind hat man kein Bewusstsein für die eigene Hautfarbe, das kommt erst viel später, durch die Erwachsenen und ihre – oft gemeinen – Bemerkungen. Ich habe den Rassismus als Kind gespürt und es war so schrecklich, weil ich nicht wusste, wie ich damit umgehen sollte. Auch die Erwachsenen in meiner Umgebung wussten nicht, wie damit umzugehen ist. In Österreich hatten es meine Eltern dann noch schwerer, als Romni erkannt zu werden. Meine Mutter sagte mir, dass ich niemals erwähnen sollte, dass ich eine Romni bin. Stattdessen waren wir aus Serbien. Irgendwann habe ich meine Kultur, meine Eltern und vor allem mich selbst in Frage gestellt – ich sprach mit Romanes eine Sprache, die öffentlich nicht gesprochen werden sollte, oder teilweise auch verboten war zu sprechen. Meine Eltern waren Gastarbeiter in Österreich, und haben niemals wirklich offen über Rassismus gesprochen.
Hat sich seither etwas geändert?
Viele Roma verschweigen in ihren Jobs, besonders in höher gestellten Berufen wie Ärztin oder Anwalt, ihre Identität immer noch – in der Theaterwelt ist das oft nicht anders, bis auf einige Ausnahmen, wenn man etwa Sängerin oder Instrumentalist ist. Das hängt auch mit dem Stigma zusammen, das immer noch sehr groß ist. Man wird schnell in eine Schublade gesteckt.
Warum hast du 2011 einen eigenen Kulturverein für die Rom*nja-Community gegründet?
Ich gründete den Verein Romano Svato mit meiner Schwester Sandra Selimović, die ebenfalls Schauspielerin und Regisseurin ist, weil wir irgendwann genug hatten so typische Klischeerollen zu spielen. Grundsätzlich habe ich nichts dagegen eine Prostituierte, Putzfrau oder Bettlerin zu spielen. Lass es aber eine Hauptrolle sein, die empowernd ist, und nicht nur dazu da ist, um die weißen Hauptrollen besser hervorzuheben. Ich bin zwar Schauspielerin und kann alles Mögliche spielen – jedoch hat man auch in der Kunst auch eine Verantwortung dafür, was negative Stereotype nur beflügelt. Ich möchte kein Bild von Rom*nja in den Köpfen der Menschen verfestigen. Deswegen sagen auch viele Roma nicht, dass sie welche sind. Ein großer Wunsch von mir ist auch, dass mehr Rom*nja ins Theater gehen.
Hat es sich als schwieriger als gedacht herausgestellt, die eigene Community ins Theater zu locken?
Ja, das muss ich leider bitter zugeben. Aber ich verstehe das auch – wenn ich ins Burgtheater gehe, dann kann ich mich nicht identifizieren, denn dort wird dort meine Geschichte nicht erzählt, und es kommen auch keine Frauen vor, die so sind wie ich. Es ändert sich langsam etwas in Österreich, aber ich sehe immer noch kaum Menschen mit meiner Hautfarbe auf der Bühne, oder die einen Akzent haben, oder auch einmal einige Sätze in Sprachen wie Romanes oder Serbisch sprechen.

Was war dein größtes Glücks- und Erfolgserlebnis bis jetzt?
Eines unserer bekannten Projekte „Roma Armee“ wurde im Maxim Gorki Theater in Berlin aufgeführt, dort war der Saal voller Menschen aus der Rom*nja-Community. Ähnlich war es dann auch im Volkstheater in Wien. Wir haben Dinge ansprechen können, die uns berühren. Wie es etwa ist, in einem Land zu leben, in dem man nicht erwünscht ist. Oder in Armut aufzuwachsen, da generationenlange Verfolgungsgeschichten in vielen Roma-Familien eben dort hingeführt haben. Die Möglichkeit, Theaterprojekte umzusetzen, in Deutschland und in Österreich kreieren zu dürfen, Förderungen zu bekommen, sehe ich als mein großes Privileg. Ich wünsche mir, dass meine Community im Theater eine Katharsis erleben kann – und ich sehe mich als Sprachrohr für alle, die keine Stimme haben, oder deren Stimmen nur sehr leise sind.
Woran fehlt es, deiner Meinung nach, in der Theaterwelt damit sich langfristig etwas ändert?
Mir fehlt es an den Theatern oft an Nachhaltigkeit: Es reicht nicht, wenn große Häuser ab und zu ein migrantisches Stück bringen. Es gibt viel mehr Schauspieler*innen, die Roma sind, als man glaubt. Sie sagen es nur nicht. Auch im Publikum dasselbe Problem: Wir waren in Stockholm mit „Roma Armee“ und die einzigen Roma im Theatersaal waren wir auf der Bühne. Das ist die Theaterwelt, auch in Deutschland und in Österreich. Es dauert Jahre, ein neues Publikum ins Theater zu bringen, deshalb müssen migrantische Themen nachhaltig inszeniert werden.
Alle Spieltermine von "Bibi Sara Kali" sind hier zu finden.
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