Sprichst du jugo?

14. Dezember 2015

Ich kann nicht fassen, dass es mir schon wieder passiert ist. Mein Begleiter steht immer noch mit diesem freudig erwartungsvollen Blick vor mir. Gespannt und voller Vorfreude wartet er auf meine Reaktion. Ein Lächeln von mir vielleicht, oder ein Kompliment für das, was er soeben von sich gegeben hat. Und das, obwohl er mir  gerade die Worte „Fick dich!“ direkt ins Gesicht geschmettert hat.

Dabei hat alles so harmlos begonnen. Wir sind gerade erst dabei, uns näher kennenzulernen. Den ganzen Abend haben wir gequatscht und uns sehr gut miteinander amüsiert. Schließlich kam die Sprache darauf, dass ich Bosnisch/Kroatisch/Serbisch spreche, weil ich diese Sprache einfach so liebe. Und dies war – wie so oft – der alles entscheidende Moment: „Echt? Boah cool, ich kann auch ein bisschen Serbisch! Hat mir ein Kollege aus Serbien beigebracht: Jebi se!“

Zwei Worte und die Wahrscheinlichkeit für ein weiteres Treffen sinkt in mir bis unter den Gefrierpunkt. Am liebsten würde ich jetzt die Oberlehrerin in mir rausholen und sagen: „Junger Mann, nur weil du eine Beschimpfung aufgeschnappt hast, bedeutet das noch lange nicht, dass du Serbisch KANNST! Und kämm dir mal die Haare, wie sieht das denn aus?“. Ich meine, ganz ehrlich: Dass die Sprache einen ausgeprägten Fluchwortschatz hat, ist nunmal ein Fakt und natürlich kann man sich darüber unterhalten und auch amüsieren. Zum Beispiel, wenn man Balkanfilme mit deutschen Untertiteln schaut und es so wirkt, als ob die Untertitel irgendwie hängen geblieben wären, weil eine halbe Stunde lang immer nur die 2 Worte „Verdammt!“ und „Scheiße!“ abwechselnd eingeblendet werden (die übrigens an die Wortwahl im Original nicht mal ansatzweise herankommen). Aber warum zur Hölle kennen Österreicher nur Schimpfwörter auf BKS? Ist das echt das Erste, was relevant erscheint? Und, liebe Bosnier, Kroaten und Serben: Habt ihr echt nichts anderes über eure Sprache zu erzählen?

Dass die Sprache mit ihren vielen Koseformen so unglaublich warmherzig ist, zum Beispiel? Dass sie einen Literatur-Nobelpreisträger hervorgebracht hat, zum Beispiel? Dass es 2 parallele Schriftsysteme gibt, zum Beispiel? Oder auch, dass man sich allein beim Klang dieser Sprache schlicht in sie verlieben muss?

Da ich nicht als Oberlehrerin dastehen will, antworte ich schließlich, nach sekundenlangem Schweigen: „Das hast du wirklich sehr schön ausgesprochen!“. Das war also die ausgesprochene Beschönigung eines unterdrückten Gedankenprotokolls, das, ganz im Stil der Jugosprachen, sehr reich an Schimpfwörtern war und Familienmitglieder sowie Tiere inkludierte, um es mal wissenschaftlich zu formulieren.

Während ich noch mit meinem Gedankenprotokoll beschäftigt war, entgegnete er strahlend: „Danke!“. Auf Deutsch natürlich, denn für derartig seltene, fast schon archaische und komplexe Höflichkeitsphrasen wie diese reichten seine Serbischkenntnisse dann doch wieder nicht aus. Dabei kann ich ihm fast keinen Vorwurf machen. Besser, er probiert es erst gar nicht, bevor er in mir ein australisches Buschfeuer auslöst, indem er jetzt auch noch „koala“ sagt. So viel ist nämlich klar: Als Sprachenfreak, der ich bin, habe ich kein Problem mit Beschimpfungen, solange sie richtig ausgesprochen werden. Aber wenn man aus einem harmlosen „danke“ ein ahnungsloses australisches Beuteltier macht, dann ist es bei mir ganz aus! Denn, jarane, wenn du schon mit meiner großen Liebe rumfickst, dann aber richtig bitteschön!

 

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