"Verpiss dich du F*tze"

21. Mai 2019

Als er diesen Satz spricht, bleibt die Zeit kurz stehen. Die Tränen steigen mir in die Augen, ohne dass ich es merke. Der Club ist voll, die Musik laut. Um mich herum eine Horde tanzender Menschen. Der Boden klebt, jemand tretet mir auf die Füße. Was passiert hier eigentlich?

Es ist Samstagabend in Wien. Ich hab ein paar Bier getrunken, ein wenig getanzt und mit meinen Freunden rumgeblödelt. Irgendwann stehe ich kurz alleine da, mitten auf der Tanzfläche. Da tippt er mir auf die Schulter. Dieser junge Typ. Er macht mir gestikulierend und mit böser Miene klar, ich solle mich woanders aufhalten. „Gut, ist doch nix dabei“, könnte sich jetzt jemand denken. Aber die Überheblichkeit seiner Geste wundert mich. Und vor allem will  ich wissen, wieso ich denn nicht dort bleiben kann.

Bin ich ihm etwa auf die Füße getreten? Habe ich ihn zufällig angerempelt? Stinke ich? Was habe ich denn gemacht? Ich frag nach, er schaut genervt zurück. Seine Freunde kichern. Einer macht eine obszöne Geste in meine Richtung. Die Blowjob-Geste. Jetzt wird mir klar: Das ist keine Provokation, das ist reine Erniedrigung.  Innerlich fängt es an zu brodeln.

Als er dann diesen Satz ausspricht, trifft es mich wie ein Blitz. Noch nie hat mich jemand so genannt und noch dazu einfach so. So… naja, einen Grund braucht man dafūr ja nicht. Sowas sollte man einfach nie sagen. So einen Satz muss sich keiner anhören. Egal ob Mann oder Frau, ob jung oder alt.

Die Starre kommt und ich bin sprachlos. Warum ich weinen muss, weiß ich nicht genau. Warum ich das so an mich ranlasse auch nicht. Ist ja auch egal: der Punkt ist, dass das nicht OK ist. Nein, diese Worte darf ich so nicht auf mir sitzen lassen. Wie denn auch? Aber kann ich etwas dagegen machen?

Ich schaue wieder rüber, zu diesen jungen Männern. Sie haben sich weggedreht. Es interessiert sie bereits nicht mehr, was mit mir ist. Nun können sie ihren Abend fortfūhren – als sei grad nichts passiert. Plötzlich fällt mir ein Gespräch ein, dass ich vor Jahren mit einem Barkeeper führte. Er gab mir den Tipp, an die Bar zu gehen, wenn etwas ist oder wenn mich jemand belästigt. Die Barmenschen sind immer mit der Security verbunden. 

Meine Tränen und ich quetschen uns also durch die tanzende Menschenmenge und erreichen die Bar. Der Barmann hört mir erst zu und erklärt dann, ich solle am Eingang die Security ansprechen. Also ziehe ich weiter und finde die Türsteher am Eingang.  Sie zögern keine Sekunde. Sie folgen mir durch den ganzen Club bis ich das Grüppchen finde. Ich zeige auf den Typen und dann geht alles sehr schnell. Er wird von einem der Männer gepackt und von der Tanzfläche weggeführt. Ich folge ihnen – eigentlich muss ich das gar nicht. Aber ich folge ihnen trotzdem bis zum Eingang. Da steht er und behauptet, er hätte doch nix getan, er würde mich doch gar nicht kennen... Hilft alles nix, am Ende muss er trotzdem gehen.

 

Nachts in Wien
(C) Anna Caterina Helm

Und dann?

Um ehrlich zu sein, fühlte ich mich danach nicht besser oder erleichtert. Ich fühlte mich schlecht. Ich wollte heim, von feiern oder Spaß haben war für den Abend sowieso nicht mehr die Rede. Das Einzige was mir um den Kopf wirbelte – abgesehen vom Regen – waren Gedanken der Unsicherheit. Hatte ich das Richtige getan? Ständig ertappte ich mich dabei, wie ich versuchte, meine Aktionen zu rechtfertigen. Immer wieder musste ich diesen Satz in meinem Kopf abspielen um mein Gewissen zu beruhigen.

Die Schockstarre

Was mir aber am meisten Angst einjagte, war die Schockstarre. Der totale Kontrollverlust über meinen Körper, der durch diese wenigen Worte ausgelöst wurde. Ich fühlte mich hilflos und ausgeliefert: Wie in einem Alptraum, wo man plötzlich nackt ist und nicht genau weiß wieso. Das Einzige was dann hilft, ist aufzuwachen. Aufwachen, die Augen öffnen und vielleicht sogar vor Angst schreien. Im Schlafzimmer ist das erlaubt, aber wieso denn nicht an einem öffentlichen Ort wie ein Club, eine Bar oder gar eine Straßenbahn?

Solche Geschichten sind für viele nichts Neues. Sowas kennt man von Freunden oder man hat es sogar selbst am eigenen Leib erlebt. Viele entscheiden sich solche Belästigungen zu ignorieren. Manche behaupten, es sei übertrieben die Security zu involvieren. Man könne das doch anders lösen. Andere haben einfach „kein Bock drauf“.

Nein, eben nicht. Egal in welcher Form: Eine Belästigung darf nicht ignoriert werden, auch wenn dann mal der Türsteher einspringen muss. Und was ist das eigentlich für eine Ausrede „kein Bock drauf“? Du musst es nicht runterschlucken und du musst nicht am Samstagabend weinen. Erwache aus der Starre: Wenn du dich persönlich unwohl fühlst, sag etwas.

Blogkategorie: 

Das könnte dich auch interessieren

Foto: Zoe Opratko
Zum Abschied gibt es kein Trompeten­...
Foto: Marko Mestrović
Ob Hijabi-Style, koschere Perücken oder...
Foto: Marko Mestrović
Nicht über die Communitys zu sprechen,...

Anmelden & Mitreden

4 + 2 =
Bitte löse die Rechnung