Warum man seine Familie zur Priorität machen sollte

01. März 2016

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Foto: Artur Zolkiewicz

Ich war gerade knapp zwölf Tage bei meinen Eltern in Polen. Fünf hatte ich geplant, dank einer Lungenentzündung sind es aber zwölf geworden. Ich war anfangs sehr angefressen, nicht nur, weil ich eine Lungenentzündung hatte und mit hohem Fieber im Bett liegen musste. Ich war böse, weil ich meinen Flug umbuchen und meine Pläne ändern musste.

Bei meinen Eltern war ich seit dem Sommer nicht mehr. Davor knapp eineinhalb Jahre nicht. Ich hatte immer was zu tun. Zuerst war’s die Magisterarbeit, die ich schreiben musste. Dann bin ich nach England gezogen und hatte auch viel zu tun. Dann bin ich nach Mexiko und in die Vereinigten Staaten geflogen und habe dort knapp sieben Monate verbracht. Nach meinem USA-Aufenthalt bin ich nach England zurückgekommen und hatte natürlich wieder viel zu tun. Das letzte halbe Jahr war ich ebenfalls sehr beschäftigt. Die Jahre zuvor sahen nicht anders aus: Ich war knapp ein Jahr in Asien unterwegs, dann, statt nach Hause, musste ich arbeitsmäßig oft woanders hin. Zu Weihnachten letzten Jahres hat es sich nicht ausgezahlt, weil ich kurz davor und kurz danach gearbeitet habe. Ich fliege demnächst wieder - so hatte ich mir das erklärt.

Im Jänner dieses Jahres ist es mir dann zu viel der Ausreden geworden und ich habe endlich einen Flug gebucht. Ich habe meinen Vater im Februar zu seinem Geburtstag überrascht.

Eine Woche bevor ich hätte fliegen sollen, rief mich meine Agentur an – es gäbe eine Anfrage für einen Werbedreh in Kapstadt. Ich habe abgesagt. Dann kam eine andere Anfrage rein, genau für den Tag, an dem ich meinen Flug gebucht hatte. Die habe ich ebenfalls abgesagt. Ein großer Fortschritt für meine Verhältnisse, früher hätte ich nämlich keine Anfrage absagen können. Ich bin ein bekennender Workaholic, der darin ein großes Problem sieht, sich zu entspannen und Dinge abzusagen, die irgendetwas mit dem Job zu tun haben.

Ich flog, ich kam an, ich mußte ins Bett mit 39,6 Fieber. Na schön. Man kommt seine Eltern besuchen und man wird krank.

Es ist mir nicht zum ersten Mal passiert, dass ich, nachdem ich viel zu tun hatte, zu meinen Eltern gekommen bin und gleich krank geworden bin. Hat das mit der Entspannung was zu tun? Oder vielleicht ist das eine Art des Urgefühls, welches in jedem Kind, auch wenn es schon erwachsen ist,  steckt – die Sicherheit des Elternhauses, das Gefühl, dass man es sich mal leisten kann, krank zu sein. Vielleicht will man sich unbewusst wieder wie ein Kind fühlen?

Ich bin froh, dass ich krank geworden bin. Ich konnte dadurch mehr Zeit mit meinen Eltern verbringen und mir auch einige Sachen überlegen. Als ich mit zwanzig nach Wien gezogen bin, war ich mindestens alle drei Monate bei meinen Eltern zu Besuch. Es ist jedes Jahr seltener geworden, nur weil ich immer mehr zu tun hatte und immer mehr Sachen schienen wichtiger zu sein. Es gibt heutzutage so viele Kommunikationsmöglichkeiten, bei denen die Distanz nicht mehr so ein großes Problem darstellt: Skype, WhatsApp, Facebook, um nur ein paar davon zu nennen. Doch all diese Kommunikationsarten ersetzen keine Mahlzeit mit der Familie, sie geben uns keine Nähe, sie riechen nicht wie das Haus, in dem man aufgewachsen ist. Gott sei Dank, dass wir diese Möglichkeiten haben, man darf aber meiner Meinung nach nicht vergessen, dass sie nur notwendige Hilfsmittel sind, für den Fall, dass es keine anderen Möglichkeiten gibt.

Die Sache ist, dass es diese Möglichkeiten eben sehr oft gibt, dass wir sie aber nicht sehen. Es ist alles eine Frage von Prioritäten, die man sich setzt. Es ist mir bewusst, dass ich meine Eltern hätte viel öfter besuchen kommen können. Ich habe es nicht getan, weil ich gedacht habe, dass ich keine Zeit dazu habe.

Solltest du also in demselben Land wie deine Eltern Leben – verbringe mehr Zeit mit ihnen. Frag, wie es ihnen geht, geh auf ein Mittagessen, ins Museum, ins Kino oder auf einen Kaffee. Ich war immer neidisch auf Leute, die am Wochenende einfach so ihre Eltern besuchen konnten. Ich habe verstanden, dass ich es auch kann. Zwar nicht jedes Wochenende, ich werde es aber ab jetzt so oft wie möglich tun.  

Es wird immer was anderes geben. Es wird immer eine Party geben, auf die man gehen kann. Es wird immer einen Freund geben, den man treffen will. Es wird immer etwas Interessantes zu tun geben. Es wird immer einen Job geben. Doch die Zeit mit den Eltern ist einzigartig und man soll sie möglichst viel nützen. Sie werden älter, sie haben ihre Probleme, ihre Sorgen, ihre Geschichten zu erzählen. Stelle sicher, dass du deine Eltern wirklich gut kennst, denn dann kennst du auch dich selbst besser. Mir ist klar, dass dies offensichtliche Dinge sind, die man wissen sollte. Manchmal braucht man aber eben ein wenig Nachdenkzeit, um sich an diese Tatsachen zu erinnern und sie erneut zu realisieren.

Ich war zwölf statt fünf Tage bei meinen Eltern. Meine Arbeitswelt ist nicht zusammengebrochen, ich habe immer noch genug Geld und ich habe mehr Zeit mit meinen Eltern verbracht. Fazit? Das nächste Mal buche ich mindestens eine Woche Urlaub zu Hause statt fünf Tage. Hoffentlich brauche ich keine Lungenentzündung mehr, um solche Dinge zu verstehen.

 

 

 

 

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