Was ich in Österreich gelernt habe

12. September 2016

Zakarya Ibrahem und Volina Șerban

Ich wohne seit fast zwei Jahren in Österreich. Das mag sich für viele nicht wie eine lange Zeit anhören. Für mich sind aber all diese Monate ein wichtiger Teil meines Lebens geworden, in dem ich mich sehr veändert habe.

Österreich bietet mir ständig Lebenslektionen und ich versuche jedes Mal, eine bessere Person zu werden und mich zu integrieren. In den fast zwei Jahren in Österreich habe ich viel erlebt, gemacht und gelernt. Heute werde ich darüber sprechen, wie mich der österreichische Lebensstil beeinflusst und motiviert hat.

1. Pünktlichkeit

In Syrien ist es nicht ungewöhnlich, auf jemanden eine oder sogar zwei Stunden zu warten. Man verabredet sich mit einer Person und geht davon aus, dass die ausgemachte Zeit eher zur Orientierung dient. Zu spät kommen ist in Österreich ein Luxus, den sich nicht viele leisten. Pünktlichkeit wird großgeschrieben und jetzt erlaube ich mir nicht mehr, um 17 Uhr zu erscheinen, wenn ich einen Termin um 16 Uhr habe. Um zu einem pünktlicheren Menschen zu werden, habe ich meine Handy-Uhr um zehn Minuten vorgestellt. So trickse ich mein Gehirn aus.  

2. Sport

Ich war in meiner Heimat nicht die sportlichste Person auf Erden. Sport hat mich damals kaum interessiert, besonders weil ich nur wenig Freizeit hatte. Shisha rauchen oder mit Freunden rumhängen waren meine einzigen Optionen, mich nach einem anstrengenden Arbeitstag zu erholen. In Österreich habe ich gleich von Anfang an gemerkt, wie viel Gewicht dem Sport und der Gesundheit beigemessen wird. Ich sehe jeden Tag Menschen, die die Praterallee entlangjoggen, am Donaukanal Inlineskaten oder nach der Arbeit ins Fitnessstudio gehen. Jetzt kann ich mir eine Woche ohne Sport kaum vorstellen. Ich habe mich in einem Fitnessstudio angemeldet und die Jahresmitgliedschaft hat mich dazu gezwungen, regelmäßig hinzugehen. Außerdem mache mir ich sonntags mit meinen Freunden einen Termin fürs Volleyball-Spielen aus.

3. Meinungsfreiheit

Was ich immer an Österreich geschätzt habe, ist das Recht, meine Meinung zu äußern, ohne mich vor Gegnern zu fürchten. Ich bewundere es, wie Menschen unterschiedlicher politischer Ansichten zusammen an einem Tisch sitzen und ein normales Gespräch führen können. Was die Meinungsfreiheit betrifft, habe ich mich in Syrien immer gezwungen gefühlt, mich deplazierter Meinungsäußerungen zu enthalten. Ich war nicht der einzige. Es ist vielen so gegangen. Als Praktikant bei biber genieße ich es in vollen Zügen, persönliche Blogs zu schreiben, in denen ich meinen Auffassungen freien Lauf lassen darf.

4. Arbeit

Ich habe in Syrien gearbeitet und ich weiß schon, dass man mehr Respekt genießt und mehr Sicherheit hat, wenn man berufstätig ist. Österreicher legen noch mehr Wert auf die Arbeit und auf den dazugehörigen Respekt. Wenn ich als Flüchtling eine Arbeitsstelle in Österreich finde, werden mich Menschen anders betrachten. Ich bin nicht mehr derjenige, der Sozialhilfe bekommt, sondern eine berufstätige Person, die ihren Beitrag zu der österreichischen Wirtschaft leistet. Ich finde es sehr wichtig, einer Arbeit nachzugehen, egal ob als Kellner oder Verkäufer. Alles kommt mit der Zeit und die Erfahrung, die man durch seine Arbeit sammelt, wird einem irgendwann sehr gelegen kommen.

5. Sprache und Kultur

„Ohne Sprache kann man in Österreich nichts machen“ habe ich öfters gehört und ich stimme der Aussage zu 100 Prozent zu. Deutschlernen war und ist für mich die oberste Priorität. Seitdem ich Kontakt zu Einheimischen habe, haben sich nicht nur meine Deutsch-, sondern auch meine Kulturkenntnisse verbessert. Ich habe gelernt, wie die Österreicher ticken und wie ich an sie herangehen kann. Je mehr Deutsch ich spreche, desto integrierter fühle ich mich. Ich bekomme dadurch einen anderen Bezug zur österreichischen Gesellschaft und den ungeschriebenen Regeln, nach denen sie sich richtet. Ich zum Beispiel habe täglich fünf Wörter auf einen Zettel niedergeschrieben und ihn an die Wand geklebt. Mein Cousin hat das Gleiche gemacht und so haben wir jeden Tag zehn neue Wörter gelernt. Auch den Mut zu fassen, Menschen auf Deutsch anzusprechen, hat mir beträchtlich geholfen.

Ich finde, die Österreicher sind ein nettes Volk, das uns integrieren will. Der ganze Prozess braucht jedoch viel Zeit. Erfolgreiche Integration passiert nicht von heute auf morgen und wir Flüchtlinge müssen uns auch Mühe geben. Ich bin unterm Strich ein positiver Mensch, der glaubt, dass immer alles gut wird.

 

 

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hey, schickes Fahrrad! ;)

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