Was ist mit anderen Can Dündars?

04. Januar 2021

cendere-cover.png

Buchcover: Metastaz 2: Cendere
Kırmızı Kedi Verlag

Am 23.12. wurde der türkische Journalist Can Dündar, der derzeit in Deutschland im Exil lebt, zu 27 Jahren Haft verurteilt. Dafür berichteten fast alle europäischen Medien. Dündar ist aber nicht der Einzige, der um seine Freiheit fürchten muss.

Wenn die JournalistInnen in einem Land keine Stimme haben, wer sonst sollte sprechen? Das habe ich mich gefragt, als ich Ende Dezember von der Haftanzeige über Barış Terkoğlu und Barış Pehlivan das erste Mal gelesen hatte. Terkoğlu, Kolumnist bei Cumhuriyet Zeitung und Nachrichtendirektor bei der regierungskritischen Nachrichtenseite OdaTV sowie Pehlivan, Chefredakteur ebenfalls bei OdaTV bekamen keine mediale Resonanz aus Europa, dabei müssen sie genauso um ihre Freiheit kämpfen wie Can Dündar, der zurzeit im deutschen Exil lebt. Was haben die aber gemacht? Einen großen Fehler: sie haben ein Buch geschrieben, das Anfang Dezember 2020 unter dem Namen „Metastaz 2: Cendere“ (auf Deutsch: Metastase 2: Druck) erschienen ist. Darin geht es um die unterdrückte Freiheit und Problemstellen des türkischen Staates, wie z.B.die geheimen Kassetten hinter den Kulissen der Gerichtsbarkeit. Sie scheinen jedenfalls einen wunden Punkt des türkischen Regimes getroffen zu haben. Anders ist eine Haftanklage für insgesamt 158 Jahren nicht zu deuten.

Es ist aber nicht nur dieses Buch, sondern ihre lebenslange journalistische Tätigkeit, die bestraft wird: alles was sie gesagt, gedacht, geschrieben haben.

Unabhängig vom Inhalt sollte man sich die Frage stellen, was für Konsequenzen es mit sich bringt, wenn in einem Land jemand stummgeschalten wird. Es sind nie nur die JournalistInnen und ihre Angehörigen, die darunter leiden, sondern die ganze Gesellschaft und vor allem die Jugend, weil ihnen die Zukunft gestohlen wird. Diese Zeilen schreibe ich selber als eine Migrantin, die vor fünf Jahren aus Istanbul nach Wien gekommen ist. Was ich mir bei dieser “freiwilligen“ Migration gewünscht habe, war eine gute Ausbildung. Derzeit machen die meisten jungen Menschen in der Türkei Pläne darüber, wie sie im Ausland studieren oder einen Job finden können. Manche von ihnen kommen wie ich nach Österreich. Es bleibt aber offen, ob Migration oder Flucht wirklich die Lösung sind. Seit wann hat die Zuflucht eine nachhaltige Antwort auf grundlegende Probleme wie Meinungsfreiheit gebracht? Niemals.

Müssen Terkoğlu und Pehlivan also jetzt auch fliehen? Was passiert, wenn niemand für sie kommt oder über sie berichtet?

 

 

Blogkategorie: 

Das könnte dich auch interessieren

Foto: Zoe Opratko
Zum Abschied gibt es kein Trompeten­...
Foto: Marko Mestrović
Ob Hijabi-Style, koschere Perücken oder...
Foto: Marko Mestrović
Nicht über die Communitys zu sprechen,...

Anmelden & Mitreden

2 + 9 =
Bitte löse die Rechnung