Wie es ist, bisexuell zu sein.

21. September 2016

Schon seit einigen Jahren habe ich mich mit meiner Sexualität beschäftigt und darüber nachgedacht, was ich eigentlich will und erst seit zirka einem Jahr kann ich es jetzt offen sagen – ich bin bisexuell.

Ich fühle mich sowohl zu Männern als auch zu Frauen hingezogen. Ich finde beide Geschlechter sexuell anziehend und ich kann mir auch mit beiden eine feste Beziehung vorstellen - bisexuell. Ich dachte früher, ich bin heterosexuell, weil ich Männer schon immer attraktiv fand. Da bestand für mich nie ein Zweifel, deshalb habe ich meine Sexualität lange Zeit gar nicht erst in Frage gestellt. Dass ich aber doch nicht nur auf Männer stehe, hat sich nur langsam und Stück für Stück mit den Jahren herauskristallisiert.

Ich zeichne gerne nackte Frauen

Angefangen hat es mit einem vor allem ästhetischen Interesse am weiblichen Körper. Ich zeichne sehr gerne in meiner Freizeit – wenn ich dazu komme. Als Motiv haben mich aber bis heute überwiegend Frauenkörper interessiert. Ich fing schon in der Gymnasium-Zeit an, leidenschaftlich Frauen zu zeichnen. Ich male sie in den verschiedensten ästhetischen und manchmal auch erotischen Posen – meistens eher nackt. Frauenkörper fand ich einfach immer schon viel sinnlicher und schöner zu zeichnen. Damals dachte ich jedoch, mein Interesse an ihnen begrenzt sich nur auf ihren ästhetischen Wert. War aber nicht so.

Be her or date her?

Ich hab Frauen auch oft angesehen und mir gedacht, dass ich sie sehr attraktiv finde und sie daten würde, „wenn ich ein Junge wäre“ – total bescheuert. Es ist normal, auch als Hetero das gleiche Geschlecht gutaussehend zu finden, aber eben auf eine neutrale Weise. Deshalb habe ich mir wohl auch nie viel dabei gedacht. Ich habe zugegebenermaßen immer noch manchmal Probleme damit, herauszufinden, auf welche Weise ich eine Frau attraktiv finde, wenn ich sie sehe. Ganz a la „will ich sie daten oder will ich sie sein?“. #tricky

I kissed a girl, and I liked it!

Schon seit zirka zwei bis drei Jahren spiele ich also mit dem Gedanken: „Stehe ich auf Frauen?“. Es war echt schwierig für mich, mir diese Frage zu beantworten, denn ich kannte damals weder lesbische noch bisexuelle Frauen und wollte aber so eine wichtige Selbstfindungsfrage erst aus dem Weg räumen, wenn ich mir wirklich sicher war. An Fantasien und Frauen, bei denen ich mir dachte „mit der hätte ich gerne was!“ mangelte es nicht, aber leider an wirklichen Kandidatinnen für einen „Versuch“. Irgendwann war es dann aber so weit. Ich lernte ein bisexuelles Mädchen kennen, ging mit ihr auf ein Date, wir küssten uns und – BAM! Da war die Bestätigung die ich brauchte. Ich bekam das gleiche Kribbeln, das ich spürte, wenn ich einen Typen küsste, den ich attraktiv fand.

Where did all the queer girls go?

Da war ich nun. 18 Jahre, frisch entdeckt bisexuell und das grundlegendste Problem noch immer ungelöst – ich kenne keine queer Frauen! Ich fand Gott sei Dank in meinem Freundeskreis Anklang und konnte mit einer Freundin, die sich ebenfalls als bisexuell identifiziert, darüber reden. Aber da wir beide kaum bisexuelle/lesbische Leute kannten, wurde es nicht gerade einfacher. Wir hatten uns sogar vorgenommen, in eine gay-Bar zu gehen, vermuteten aber hauptsächlich männliches queer Publikum und haben es deshalb erst mal gelassen.
Meine homosexuellen Freunde gaben mir dann aber alle den gleichen Tipp: Flirt-Apps. Tinder soll helfen!
Ich fand die Idee eigentlich gar nicht so schlecht und ich hörte auch von anderen Leuten mit anderen Bezügen immer wieder, dass Tinder runterzuladen keine Zeitverschwendung sei.
Also ging ich in den Google-Play Store, tippte dieses unschuldige Wort in die Suchanzeige ein und meldete mich an. Ich wählte aus, dass ich sowohl an Frauen als auch Männern interessiert sei und das Flirten ging los. Leider hatten die meisten meiner Matches aber eher einen Penis als Brüste. Das lag nicht daran, dass ich doch nur an Männern interessiert war, im Gegenteil! Aber Auf 30 Männer folgte bei den Anzeigen mit Glück eine Frau und die musste mir dann natürlich auch erst mal sympathisch sein – ich bin sehr wählerisch, bei beiden Geschlechtern. Trotzdem fand ich einige Frauen, die mir gefielen, und klickte auf like. Blöd war nur, dass ich bei den Frauen insgesamt grade mal vier Matches bekam und von denen suchten dann auch nur zwei wirklich ein Gespräch. Als Grund dafür wurde mir bald ans Herz gelegt, dass ich auf meinen Fotos vermutlich „zu hetero“ aussehe, was auch immer das bedeuten mag.
Naja, worth a try I guess.

Frau nackt

Irgendwie geoutet, oder so

Die Frage aller Fragen für manche ist bestimmt, wie reagierte mein Umfeld darauf? Tja, kann ich nicht so genau sagen. Ich postete es ja nicht plötzlich auf Facebook und Co, nachdem ich mir sicher war, dass ich mich mit der Bisexualität identifiziere. Ich sprach es auch bei keinem an, das erschien mir nicht wirklich nötig. Wenn das Thema in irgendeiner Weise bei Freunden aufkam, sagte ich direkt, dass ich bisexuell bin, aber sonst sprach ich es nicht an. Demnach wissen wohl im Moment einige Bescheid und einige nicht. Ist im Grunde ja auch nicht wichtig, denn das hat ja keinerlei Einfluss auf meine bestehenden Freundschaften – hoffe ich. Auch bei meiner Familie habe ich es nicht direkt angesprochen, vielleicht haben manche eine Ahnung, vielleicht auch nicht. Wie gesagt – ist doch nicht wirklich wichtig.
Aber immer dann, wenn ich seit meinem persönlichen Outing neue Leute kennenlerne und dieses Thema irgendwie aufkommt, sage ich ganz klar, dass ich auf beide stehe – Männer und Frauen. Ehrlich gesagt, fühlte ich mich auch mit jedem Mal wohler, wenn ich es bei jemandem laut aussprach. So, als würde ich jetzt endlich zu einem Teil von mir stehen – so kitschig es auch klingt. Nur waren die Reaktionen meiner Gegenüber auf meine Offenbarung leider nicht immer so berauschend.

„Hattest du schon „Sex“ mit einer Frau?“

Mit den Frauen klappt es im Moment also nicht ganz so gut, was schade ist, aber kann man nichts machen. Aber nur weil ich gerade keine Frauen treffe, heißt das nicht, dass ich jetzt zeitweilig „wieder hetero“ bin. Innerhalb dieses einen Jahres, in dem ich jetzt schon offen gesagt habe, dass ich bisexuell bin, habe ich aber schon einige Scheiße von Leuten gehört, die da wohl anderer Meinung sind.

Einmal hat mich jemand gefragt, ob ich denn schon „Sex“ mit einer Frau hatte. Was sollen bitte die Anführungsstriche? Ist Sex zwischen zwei Frauen etwa kein „richtiger Sex“? Da bin ich anderer Meinung! In weiterer Folge habe ich verneint und gesagt, dass ich bisher nur Sex mit Männern und noch nicht mit Frauen hatte. Seine Aussage war dann: „Wie kannst du dann sagen, dass du bisexuell bist?“. Das heißt, bevor man Sex hatte, kann man nicht wissen, welche Sexualität man hatte? Wissen also 13-jährige Teeniegirls, die sich Sixpack-Fotos von irgendwelchen Promis ins Zimmer hängen und verträumt Susi Pitt in ihr Tagebuch kritzeln, auch nicht, dass sie vielleicht auf Typen stehen? Vielleicht bin ich ja die einzige, die das so sieht, aber meiner Meinung nach kann man auch davor bereits herausfinden, mit welchem Geschlecht man gerne Sex hätte! Es gab aber teilweise noch viel fragwürdigere Aussagen von Leuten.

Wenn man bi ist, darf man Schlampe sein

Was ich auch leicht fragwürdig fand, war die Aussage eines Typen, mit dem ich mal was hatte. „Wenn ich eine Partnerin habe und sie Sex mit einer Frau hat, wäre das nicht so schlimm, als wenn sie was mit einem anderen Typen hat.“ Das habe ich schon so oft gehört und ich versteh es noch immer nicht. In beiden Fällen wird man von seinem Partner betrogen, schläft mit jemand anderem und das Vertrauen ist dahin – wieso ist das eine dann trotzdem „nicht so schlimm“ wie das andere?

Besonders aufgeregt hat mich aber ein Typ von Tinder, der in meinem Profil gelesen hat, dass ich bisexuell bin und tatsächlich meinte, dass dies das Spannendste von all meinen Angaben auf meinem Profil ist. Was soll das heißen? Ich finde an anderen Menschen ja auch nicht am interessantesten, dass sie heterosexuell sind. Das nehme ich eher als Beleidigung.  

Bei einer anderen Unterhaltung, bei der meine Sexualität aufkam, meinte mein Gegenüber „Puh, da geht gleich meine Fantasie mit mir durch.“. Auf meine Frage warum, antwortet er: „Na dann wirst du wohl oft Dreier haben.“. Ich muss euch leider enttäuschen. Ich hatte bisher noch nie einen Dreier und bisexuell zu sein ist auch nicht gleichzusetzen mit „hat viele Dreier“. Das ist völliger Schwachsinn.

Nein, ich bin keine Schlampe.

Es war bisher erst ein einziges Jahr, in dem ich offen mit meiner Sexualität umgehe und schon frage ich mich echt, wo manche Menschen eigentlich angerannt sind.

Um das mal klarzustellen:
Nein, es ist nicht nur eine Phase.
Nein, ich habe nicht lauter Dreier.
Nein, ich habe nicht nur was mit Frauen wenn ich betrunken bin.
Nein, ich bin nicht verwirrt.
Nein, ich habe nicht dauernd Sex und ich will auch nicht mit jedem Sex haben.
Nein, ich finde nicht alle Menschen sexuell anziehend.
Nein, es ist nicht wahrscheinlicher, dass ich meinen Partner betrüge.
Nein, wenn ich irgendwann einen Mann heiraten sollte, bin ich immer noch bisexuell.
Nein, das Spannendste an mir ist nicht meine Sexualität.
Nein, ich bin keine Schlampe.

How to be bisexuell…

Zum Abschluss will ich noch gerne sagen, dass bisexuelle Menschen nicht „zu schwul“ für die Heteros und „zu hetero“ für die Queer-Gemeinschaft sind. Wir sind vollkommene Menschen, die für sich selbst stehen und nicht Hälften von etwas Ganzem sind. Bisexualität ist eine Neigung, keine Phase, kein Mythos, kein Platzhalter für etwas. Ich sehe meine Sexualität sogar als Vorteil – nein, nicht weil ich jetzt „mehr zur Auswahl“ habe. Es hat mir geholfen, auch meine Sicht auf mich selbst zu verändern. Ich habe ein ganz neues Selbstbewusstsein entwickelt und fühle mich viel wohler in meiner Haut. In diesem einen Jahr habe ich auch meinen eigenen Körper viel mehr zu schätzen gelernt, weil ich offen anfing, den Körper anderer Frauen zu schätzen. Nicht nur Männer, sondern auch Frauen attraktiv zu finden, hat mir geholfen, mich selbst attraktiver zu finden. Ich fühle mich ganz allgemein einfach viel besser wie ich jetzt bin und wie ich mich jetzt identifiziere. Was nicht heißt, dass ich vor meiner sexuellen Offenbarung (haha) nicht auch schon komplett war. Ich bin jetzt nicht mehr oder weniger als ich vorher war. Deswegen nervt es mich ja auch, wenn manche Menschen mich auf meine Bisexualität reduzieren, so wie Mister „Das ist das Spannendste an dir!“.

Es ist einfach nur eine sexuelle Präferenz – deal with it.

 

 

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