Wer in der Villa sitzt, soll nicht mit Ratschlägen werfen

24. März 2020

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Photo by Milena Trifonova on Unsplash
Photo by Milena Trifonova on Unsplash

„Eure Großeltern wurden in den Krieg berufen, ihr auf die Couch. Ihr solltet okay sein.“, schreibt man unter das Foto von drei Jugendlichen im Park, das einem die Freundin des Arbeitskollegen geschickt hat. Hashtag #staythefuckhome. Währenddessen lugt man argwöhnisch aus dem Fenster, die Kaffeetasse in der einen und das Smartphone in der anderen Hand. Allzeit bereit, den nächsten Menschen, der sich nicht wie man selbst vorbildlich an die Ausgangsbeschränkungen hält, mit einem Foto oder einem wütenden Post bloßzustellen. Ob sie damit ein inneres Bedürfnis befriedigen, die Anerkennung ihrer Freunde einheimsen wollen oder meinen, ihr Moralapostel-Getue helfe der Gesellschaft, bleibt offen.

Ja, es gibt Menschen, die den Ernst der Lage noch nicht erkannt haben und sich teilweise rücksichtslos verhalten. Und ja, diese Menschen sind oft jung und verhalten sich ähnlich, wie Boomer, wenn es um die Klimakrise geht. Doch nicht hinter jedem Spaziergänger verbirgt sich ein Millenial, der sein Apokalypse-Bier im Park genießen möchte. Von den beiden Joggern ist vielleicht einer depressiv. Das junge Mädchen, das sich mit ihren Freundinnen auf einer Parkbank unterhält, könnte Opfer häuslicher Gewalt sein. Die drei Männer bei der U-Bahn sind vielleicht suchtkrank. Oder obdachlos. Manchen von denen, die noch draußen sind, fehlt es auch an Medienkompetenz, den nötigen Deutschkenntnissen oder Möglichkeiten, überhaupt Nachrichten zu konsumieren, die auf den Ernst der Lage hinweisen.

Das große Problem der #staythefuckhome Bewegung sind nämlich unbeachtete Privilegien. Wer mit dem Partner oder wenigen Mitbewohnern in einer hellen Wohnung oder gar einem Haus mit Garten wohnt, hält es natürlich besser zuhause aus als Menschen, die allein sind, sich auf wenige Quadratmeter beschränken müssen oder Kinder zuhause haben. Bestes Beispiel: Arnold Schwarzenegger, der mit Sonnenbrille genüsslich an einer Zigarre zieht, während er bei bestem Wetter im Whirlpool seines Luxusanwesens sitzt und seinen Followern erklärt, dass sie es ihm gefälligst gleichtun und zuhause bleiben sollen. Is klar Arnie.

Einen Grund gibt es aber für die Anhänger der #staythefuckhome Bewegung, der es noch rechtfertigt nach draußen zu gehen: die Arbeit. Wer sich dem System und Allgemeinwohl zuliebe der Corona-Gefahr aussetzt, wird mit Aus-Dem-Fenster-Klatschen und einem Dankespost auf Facebook geehrt. Nach der verrichteten Arbeit dann aber ganz schnell zurück in die Wohnung! Dass die spazierende Frau im Park, über die man sich auf Facebook wütend entrüstet, vielleicht die nette Supermarktverkäuferin, die Krankenschwester oder eine Mutter im homeoffice ist, die nach einer anstrengenden Woche eine Auszeit braucht, kommt einem natürlich nicht in den Sinn.

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