„Zur Uni ging ich nur zum Einschreiben.“ – Interview Helmut Seethaler

25. August 2021

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Zetteldichter Helmut Seethaler am Donaukanal (Foto: Sven Beck)
Zetteldichter Helmut Seethaler am Donaukanal (Foto: Sven Beck)

Wer regelmäßig in den inneren Bezirken Wiens unterwegs ist, kennt sie wohl: Kleine Gedichte mit der Aufforderung „sich eines zu pflücken“ Helmut Seethaler (68) schreibt sie nun seit fast einem halben Jahrhundert. Wir haben den mehrfach ausgezeichneten Lyriker auf einen seiner Spaziergänge begleitet und mit ihm über Kunstfreiheit, das Außenseiter-Dasein und die Literaturbranche gesprochen.

Als Treffpunkt haben Sie die kleine Brücke beim Roßauer Lände gewählt. Einer Ihrer üblichen Tatorte?

Hier klebe ich gerne, aber auch am Schwedenplatz, an Kreuzungen, Fußgängerzonen, überall, wo Publikum ist.

Und wie reagieren die Leute?

Einmal wurden mir sechs Wochen Gefängnis angedroht, weil ich beim Museumsquartier mit abwaschbarem Stift Gedichte aufgemalt hatte. Das ging dann bis zum obersten Gerichtshof und letztendlich fiel es unter Kunstfreiheit. Trotzdem kommen immer wieder grantige Männer, die mich angehen. Ich bleibe da recht gelassen, kann mit sowas ganz gut umgehen.

Haben Sie studiert?

Zur Universität ging ich nur zwei Mal pro Jahr – zum Einschreiben (lacht).

Und jetzt hängen Sie Pflückgedichte auf. Wieso schreiben Sie keine Bücher?

Wer hat schon Interesse für Literatur? Fünf Prozent der Menschen? Ich will mehr als die kleine Blase der regelmäßig Lesenden erreichen. Viele moderne Autoren werden deshalb überschätzt. Sie werden ja doch nur von einem sehr kleinen Teil, meistens der Oberschicht der Gesellschaft, gelesen. Im öffentlichen Raum ist das anders. Ich erreiche jeden, nicht nur Insider.

Sind Ihre Themen in 48 Jahren gleich geblieben?

Das Mitschwimmen im Strom, das Vorgedachte nachdenken, das ist leider gleich geblieben. Wenn ich Menschen ins Einkaufszentrum rennen sehe, grundlos Dinge kaufen, dann hat mich das immer schon gestört, aber ich würde sagen mit der Zeit bin ich ein wenig hoffnungsloser geworden.  Da muss etwas in den Menschen drin sein, das kommt nicht von außen. Die Leute wollen immer mehr konsumieren.

Seethaler hatte schon Konflikte mit Gerichten, er hängt aber weiter auf (Beck)
Seethaler hatte schon Konflikte mit Gerichten, er hängt aber weiter auf (Beck)

Sie schreiben nur Gesellschaftskritik?

Ja, ich will etwas verändern. Einen Schritt tun Richtung Frieden und Gerechtigkeit. Ich bekomme täglich Fanpost von Leuten, die von einem Gedicht sehr getroffen waren und darüber länger nachdachten. Oft lese ich, dass jemand sich eines gepflückt hat und es zuhause noch einmal viel tiefer verstand als beim ersten Mal.

Haben Sie mal Liebesgedichte probiert?

Nah! (Lacht). Es gibt zwei Frauen, denen ich Liebesbriefe schrieb. Aber Liebesgedichte aufhängen? Niemals!

Gemeine Frage: Meinen Sie, Ihre Gedichte würden auf einer „Querdenken-Demonstration“ gut ankommen?

Was für ein böser Gedanke. Es gibt diese Pandemie und sie ist eine große Gefahr für uns. Ich finde, jeder sollte sich und andere schützen und sich an die Maßnahmen halten. Heute hatte ich meine zweite Impfung, mein Arm tut noch ein bisschen weh.

Wollten Sie mal in die Politik gehen?

Nah!

Wieso?

Habe ich nie dran gedacht. Ich bin froh, dass ich mit allen reden kann. Ich tue gerne, was ich tue. Ich schreibe gerne und schreibe auch gerne für alle Menschen. Politiker könnte ich nicht sein.

Herr Seethaler. Danke!

Danke!

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