Die Leiden des jungen Todor: "Ostern Schnaps und 1. Mai

31. Juli 2009




In Bulgarien sagt man: „Der Bulgare hält Schläge aus, Hunger und ...“. - Hier verschlucken die Abergläubischen das Wort „Tod“ oder sagen stattdessen „Schnaps“. Vom Schnaps-Sagen zum Schnaps-Trinken ist es nicht weit. Eine Kulturgeschichte.

 

Von Todor Ovtcharov

 

Im bulgarischen Outback des Balkangebirges, wo der Balkan am balkanischsten ist, liegt das Dorf Lometz. Hier sehen die Leute vieles ganz locker. Einfach, weil alle ruhmreichen Bulgaren schon lange tot sind und sie, die Lebenden, Ruhmlosen von Lometz, Wohlstand nicht einmal aus dem TV kennen. Stattdessen haben die Einwohner von Lometz Mincho und sein Lebensmittelgeschäft, das bei Bedarf auch zur Dorfbar wird. Mincho verkauft nur Alkohol, Zigaretten, Waschmittel, Limonade und Schokowaffeln Marke „Moreni“. Den „Rajika“, Schnaps aus Trauben, brennt Mincho selbst.

 

Leibwächter des Genossen Dimitrov

 

Schnapsbrennen und Destillieren hat Mincho von seinem Vater Todor gelernt. Dieser hatte die Funktion des Dorf-Traubenschnaps-Brenners von der Sozialistischen Republik Bulgarien verliehen bekommen, und zwar als Lohn für freue Dienste als Leibwächter des Genossen Georgi Dimitrov, des Anführers der Bulgarischen Sozialistischen Revolution.

 

Geld wird sich schon finden

 

Die Revolution ist lange her, der Sozialismus ist vorbei, Kapitalismus und globale Wirtschaftskrise haben auch Lometz erreicht. Die jungen Leute strömen von den Baustellen der EU nach Lometz zurück. Sie bringen ein wenig Geld mit, ihre Zukunft endet am Rand des Waldes und nur ihre greisen Eltern freuen sich über die heimgekehrten Kinder. Geld wird sich schon finden, sagen die Alten. Arbeit wohl auch. Es gibt ja die Wälder, die Felder, den Schnaps. Und das Balkangebirge wird es sowieso immer geben.

 

Kanister statt Bank

 

Der Bulgare misstraut auch gerne den Banken. Im Sozialismus waren Banken nur Fassade und im Kapitalismus bringen sie Betrug und Zusammenbruch. Seitdem hortet der kluge Bulgare sein Geld im Einmachglas und versteckt es im Keller. Oder er macht es wie jeder Einwohner von Lometz, den sie nur den „Kanister“ nennen, der an einer Tankstelle arbeitet und sein Erspartes in einem Benzinkanister hortet. Trotz Krise und EU-Verbot läuft Minchos Geschäft gut. Dabei kommt ihm eine bulgarische Eigenheit zupass: Der Bulgare feiert christliche und sonstige Feste nicht zum offiziellen Datum, sondern nur ungefähr dann. Dabei trinkt der Bulgare – zumindest in Lometz – noch mehr von Minchos Traubenschnaps als an anderen Tagen. Diese kleine Freiheit kann man sich im Balkangebirge erlauben.

 

Wer soll sich da noch auskennen?

 

Zumal die Feiertage aus ideologischen Gründen sowieso durcheinander gekommen sind. Die Kommunisten ersetzten Ostern durch den 1. Mai. Weihnachten, das „Koleda“ genannt wird und frei übersetzt „Schlachtfest“ bedeutet, ist eigentlich die Zeit der Schweineschlachtung. Wer soll sich da noch auskennen?

 

Sonnenstrand, Cognac und Sand

 

Wenn ein Feiertag ungefähr stattfindet, wird Minchos Geschäft zur Disco. Das Dorforchester dröhnt lautsprecherverstärkt und die vollbusige, früher mal jung gewesene Sängerin schmettert tapfer: „Ich gehe zum Sonnenstrand und trinke Cognac auf dem Sand“. Die Bühne für Orchester und Sängerin ist die Ecke mit den Todesanzeigen, die wie eine Tapete die Wände bedecken. Dies ist die Lieblingslektüre seiner Gäste, deren durchschnittliches Alter etwa 74 Jahre beträgt und die nie an einen Sonnenstrand waren oder Cognac getrunken haben. Das sind die Eltern jener Gastarbeiter, die nun nach Lometz zurückkehren und sich zu Monchos Stammpublikum gesellen.

 

Kommentare

 

das was todor beschreibt, erinnert mich an die verlassenen dörfer in bosnien. die jungen in den westen gezogen, um die alten im urlaub zu besuchen.

traubenschnaps?
meine großeltern haben auch schnaps gebrannt. und die leute unten tun es noch immer. bei uns ist es nur pflaumenwein.
dafür musste wir kinder auch mit anpacken und die pflaumen vorher einklauben. brenessln waren dabei auch kein hinderniss.

das mit den todesanzeigen als lektüre kenn ich auch von uns unten. nur wird es überwiegend auf bäume genagelt, weil natürlich jeder wissen soll, wen es nicht mehr gibt. und die zeitung, wo bei uns auch massenweise todesanzeigen abgedruckt werden, liest auch nicht jeder.

todors geschichten passsen so gut zum ganzen balkan. wir sind uns ja alle so ähnlich. a wohnsin.

Anmelden & Mitreden

3 + 1 =
Bitte löse die Rechnung