Kritik an der türkischen Parallelgesellschaft ist richtig. Nur ist diese oft nicht fair und blendet aus, dass auch viele Österreicher nicht integriert sind.

Von Simon Kravagna und Lucia Bartl (Foto)

Es gibt immer so mediale Moden. Erst war es lange Zeit „in“, Migration als toll darzustellen. Journalisten rückten aus, um zu beweisen, dass Zuwanderung nicht viel mehr als eine Bereicherung der Speisekarten ist. Kritik an „Ausländern“ war – mit

Ausnahme der üblichen Rechts-Blätter – unerwünscht weil ausländerfeindlich bis rassistisch.

Jetzt schwingt das mediale Pendel in die andere Richtung. Selbst in liberalen Blättern ist jeder ein unverbesserlicher „Gutmensch“, der große Teile der türkischen Community für integrationswillig halt.

 Kleine Kopftücher

Die Moden in Osterreich folgen meist jenen in Deutschland, so auch diesmal: Der frühere SPD-Politiker Thilo Sarrazin hat mit seinen Äußerungen („Ich muss niemanden anerkennen, der vom Staat lebt, diesen Staat ablehnt, für die Ausbildung seiner Kinder

nicht vernünftig sorgt und ständig neue kleine Kopftuchmädchen produziert.“) eine heftige Debatte ausgelost. Auch bei uns gab’s dann gleich Kritik an der „türkischen Parallelwelt“.

Durch Sonne und Mond geschossen

Das ist gut und richtig. Wir tun das im biber auch und werden dafür regelmäßig von türkisch-nationalistisch- religiösen Kreisen durch Sonne und Mond geschossen. Wir werden aber weiter kritisch berichten, denn wir arbeiten gemeinsam mit sehr vielen

sehr tollen Türkinnen und Türken in Wien an einer demokratischen Gesellschaft mit scharf, in der Rassismus, Nationalismus und die Ablehnung europäischer

Grundwerte keinen Platz haben.

Nur: Eines sollte die Kritik an den Türken schon sein – fair und fundiert. So fallt auf, dass ihnen Dinge vorgeworfen werden, die in der Generation meiner Eltern noch lobenswert waren. So ist es komisch, wenn es plötzlich ganz arg sein soll, dass türkische Frauen daheim bei den Kindern bleiben. War die Frau am Herd nicht bis vor Kurzem das Credo eines jedes guten Konservativen? Richtig ist, dass jede Frau

und jeder Mann ein selbstbestimmtes Leben fuhren soll. Ob eine Frau wirklich freiwillig und gerne zu Hause bleibt oder aber durch Tradition und Religion dazu verdonnert wird, das war und ist auch bei „echt“ österreichischen Familien eine Streitfrage.

Umstrittene Studien

Auch bei neueren „Studien“ bin ich skeptisch. Laut einer im Oktober im Kurier veröffentlichten GFK-Umfrage wünscht sich angeblich mehr als die Hälfte der türkischen Jugendlichen mehr Einfluss des islamischen Rechts in Osterreich. Ganz ehrlich:

Wenn eine bekannt inkompetente OVP-Innenministerin bei einem bekannt OVP-nahen Meinungsforscher eine Umfrage in Auftrag gibt, dann ist höchste Vorsicht angesagt. Beide verstehen von der türkischen Community zu wenig, als dass man ihnen eine glaubwürdige Studie zutraut.

Und apropos Integration: Auch unter den geborenen Österreichern findet sich eine Parallelgesellschaft. Das sind jene Österreicher, die laut einer wirklich guten Studie, am liebsten „einen starken Führer haben, der sich nicht um ein Parlament und um Wahlen

kümmern muss“.* Auch wenn diese Studie damals medial breit zitiert

wurde, ist mir nicht in Erinnerung, dass ein Integrationspaket für diese auffällige Gruppe geschnürt wurde. Und dabei handelt es sich angeblich um jeden fünften Österreicher. Hier wurden zwar keine Sprachkurse helfen, aber wer bei den Türken völlig zu Recht die Eingliederung in unsere demokratische Gesellschaft fordert, der sollte das bei allen tun.

PS: Diese biber-Ausgabe wurde zu einem großen Teil von unseren Redakteuren mit türkischen Wurzeln gestaltet. Danke an Eser Akbaba, Öznur Demirbas, Linda Say, Mehmet Sel, Teoman Tiftik und Akif Turan.

*„Die Österreicherinnen: Wertewandel 1990-2008“: Christian Friesl, Regina

Polak, Ursula Hamachers-Zuba

Ihre Meinung an: kravagna@dasbiber.at