Die Egoschleuder

08. November 2010

Sie leben oft in kleinen Wohnungen und haben schlecht bezahlte Jobs. Trotzdem fahren junge Migranten luxuriöse Autos aus dem Hause Mercedes, Audi oder BMW. Damit haben sie sich den Traum erfüllt, den schon ihre Eltern bei der Ankunft in Österreich gehegt haben. Einen edlen Wagen deutscher Autobaukunst.

 

Von Amar Rajković (Text) und Severin Wurnig (Fotos)

 

Aleksandar, 22, blickt gerne auf seine Schulzeit zurück. Nicht etwa, weil er so gerne in die Schule ging und die Matura mit ausgezeichnetem Erfolg abschloss. Nein, Aleskanders angenehme Erinnerungen beziehen sich auf das großzügige Geschenk seiner Mutter zur bestandenen Reifeprüfung, einen nagelneuen BMW 325 Cabrio. Er erinnert sich: „Meine Mutter hatte mich gefragt, ob ich eine Eigentumswohnung oder einen neuen Wagen lieber hätte. Da ich sowieso vorhatte, länger bei meinen Eltern zu bleiben, fiel meine Wahl auf einen neuen BMW.“ Erstaunlich, wenn man bedenkt, dass Aleks Eltern Ende der 60er-Jahre als Gastarbeiter nach Österreich kamen, um im gelobten Westen zu arbeiten. Ihre großen Erwartungen bekamen jedoch schnell einen Dämpfer. Im Alpenland angekommen, mussten sie sich mit Sprach- und Akzeptanzproblemen, fatalen Wohnverhältnissen und miserablen Hygienebedingungen herumplagen. Dies sollte auf keinem Fall ihrem Sohn auch widerfahren. Aleks sollte die Handelsakademie abschließen, die Aussicht auf ein neues Auto dabei als kleine Motivationshilfe dienen.

 

Man gönnt sich ja sonst nichts“

Deutsche Autos sind bekannt für ihre Zuverlässigkeit, Power und Komfort“, schwärmt Mehmet Gül von der Autobaukunst unserer Nachbarn. Eine im Jahr 2007 vom Meinungsforschungsinstitut „Hajek“ durchgeführte Umfrage unterstreicht ebenfalls die deutsche Dominanz in der Gunst der migrantischen Communitys. Rund 74% der Befragten nannten BMW an erster Stelle, gefolgt von Mercedes-Benz mit 66% und Audi (49%).

Mehmets Vater kam 1979 nach Wien und arbeitete als Hilfskraft in einer Tischlerei. Mehmet und sein Bruder Nuri haben vor einiger Zeit die Tischlerei übernommen und sich selbständig gemacht. Zu den Geschäftsterminen fahren sie mit dem neuen silbernen Fünfer BMW oder einem weißen Audi Q7. „Wir arbeiten sehr viel, unter der Woche, am Wochenende und auch an Feiertagen“, schildert der jüngere der beiden Brüder, Mehmet, den arbeitsdurchtränkten Wochenablauf. Der 26-Jährige teilt sich mit seinem um ein Jahr älteren Bruder, Nuri, die zwei Nobelkarren. Ob so viel Luxus unbedingt notwendig ist? „Man gönnt sich ja sonst nichts“, schmunzelt Mehmet. Sein Bruder und er hatten immer schon ein Faible für schnelle und teuere Autos, eine Leidenschaft, die sie selbst zu Wettrennen verführt hatte.

 

Die Marke „Mercedes“ hat eine tief verwurzelte und nicht anfechtbare Position in der Familienhierarchie der Güls. Das Auto mit dem berühmten Stern wurde von Vater und Großvater nahezu heldenhaft verehrt. Ein Blick in den Rückspiegel der Geschichte, erklärt die Faszination „Mercedes“. 1967 waren es die Ingenieure des Stuttgarter Autokonzerns, die als erste den Airbag als damals bahnbrechende Innovation auf den Markt lancierten. Es war ebenfalls der Konzern Mercedes, der sich Anfang des 20. Jahrhunderts den Titel des ersten modernen Automobils auf die wedelnden Fahnen heften konnte. Sprüche und Spitznamen wie „König der Autos“, „Wenn das Auto keinen Stern hat, dann ist es kein Auto“ oder „Kauf dir einen Mercedes und du wirst nie Kopfschmerzen haben“ unterstreichen das hohe Ansehen von Mercedes in der türkischen und ex-jugoslawischen Community. Der Stern stand für hochwertige Qualität gepaart mit extravagantem Aussehen. Eine Kombination, die selbst im Jahr 2010 noch immer unzählige Menschen fasziniert.

 

Rakete mit Stern

Auch Peter, 31, ist ein echter Fan. Der Wiener mit serbisch-slowakischen Wurzeln hat eine richtige Rakete als fahrbaren Untersatz. Der Mercedes E-55 AMG mit V8 Kompressor, trägt stolze 487 Pferde unter seiner Haube. Spätestens nach einer kurzen Probefahrt, nehmen wir ihm mit gutem Gewissen jede einzelne Pferdestärke auch ab. Bei der plötzlichen Beschleunigung fühlen wir uns wie im Flugzeug, kurz vor dem Take-off. Der Mageninhalt wird gegen die Sitze gedrückt, das Adrenalin durchströmt den Körper. Dabei erreichten wir eine Geschwindigkeit von „nur“ 70 km/h. Der Umstand, dass der Wagen dafür eine ganze Sekunde braucht, spricht für sich. Das nächste Mal soll er uns bitte vorwarnen. Wie fühlt sich dann erst eine Autobahnfahrt an, wollen wir von Peter wissen. „In Österreich kann man nicht g’scheit fetzen, in Kroatien auf der neuen Autobahn Zagreb–Split umso besser“, verrät er uns seine bevorzugte Rennstrecke. Da nimmt er auch mal Strafzettel in Kauf, egal, hauptsache das Adrenalin kommt auf Touren. Der Motorrad-Freak (Gründungsmitglieder der Balkan Bikers) gerät ins Schwärmen, wenn er von seinem „Baby“ in metallic erzählt. Das Interieur besticht durch elegantes Design, die Ledersitze mit eingebauter Massagefunktion, Navi-System und vielen anderen technischen Spielereien, wecken schon beim Beifahrer das Kind im Manne.

Obwohl ein geiles Auto, gilt der Mercedes normalerweise eher als die Familienkutsche. Bei den jungen Fahrern sind eher BMW und Audi beliebt, da diese vom Aufbau und der Fahrweise einfach sportlicher seien, erklärt uns Mehmet, warum er sich für einen BMW entschieden hat.

 

Auch der 22-Jährige Zivildiener Aleks, sieht das ähnlich: „Der Mercedes hat zwar seit Generationen einen super Ruf, ist aber nicht so agil wie mein BMW.“ In seinem Freundeskreis findet man fast nur BMW-Besitzer, für Aleks ein wichtiger Grund, selbst einen Wagen aus den Bayerischen Motorwerken zu besitzen: „Es ist für mich viel einfacher in meinem Freundeskreis Anerkennung zu finden seitdem ich mein neues Auto habe.“ Das heißt, er gehört nur dazu, weil er einen BMW fährt? „Ganz so ist es auch nicht, aber mit einem Kia oder Fiat, würden sie mich alle auslachen.“ Der Besitz eines Luxuswagens wertet also deutlich die Stellung des Fahrers in seinem sozialen Umfeld auf. Die Autos als fahrende Prestigeobjekte, ein Phänomen, das auch bei den Autoproduzenten bekannt ist: „Wir stellen fest, dass bei Käufern mit Migrationshintergrund der Wunsch nach einem prestigeträchtigen Fahrzeug deutlich höher entwickelt ist“, so Hermann Becker, Leiter der Öffentlichkeitsarbeit, Audi. Becker führt die hohen Verkaufszahlen auch auf die Größe der Autos zurück, denn „es werden gerne größere Fahrzeuge gekauft, zumeist eine Limousine. Das kann mit der Familiengröße zusammenhängen, aber auch damit, dass diese Fahrzeuge beim Urlaub in den Heimatländern eine verstärkte Wohlstandswirkung ausstrahlen.“

 

 

Hübsches Auto = hübsche Frau

BMW-Fahrer Aleks und Mercedes-Pilot Peter kennen auch die Anziehungskraft der Luxusschlitten beim anderen Geschlecht. „Wenn ich mit einem BMW nach Serbien fahre, glauben die Menschen, ich bin ein Direktor oder Bürgermeister“, so Aleks. Dementsprechend werde man auch behandelt, die Mädels geben sich viel offenherziger als es bei „durchschnittlichen“ Pkw der Fall sei, man müsse ja schließlich reich sein, um sich so ein Auto leisten zu können. Peter hat da seine eigene Formel: „Hast du ein kleines und dickes Auto, kriegst du kleine und dicke Frauen. Ist dein Auto groß und hübsch, sind es die Frauen ebenso.“ Klingt simpel. Doch, wie finanziert man sich so eine „Benzinschleuder“, möchten wir wissen. Peters Racing-Maschine verbraucht immerhin bescheidene 20L pro 100 km (!!). „Mein Auto kostet mich monatlich um die 1000 €“, eine Wahnsinnsumme, die selbst ein Manager nicht ohne Bauchweh entbehren könnte. Wie schafft es Peter? „Ich wohne noch zu Hause“, sagt er uns mit einem breiten Lächeln auf den Lippen. Anders wäre der Luxus, den er sich jeden Tag leistet, nicht finanzierbar. „Viele kaufen sich die fetten Karren auf „Kreide“, was ich aber niemanden nahelegen möchte. Sie haben dann superteuere Autos, können sich aber Wohnen und Benzin gar nicht leisten“, so Peter über die Schuldenfalle Autokauf. Eine paradoxe Tatsache, die noch immer bei vielen Migra-Kids, schmerzhafte Wahrheit ist. Das hindert sie aber nicht daran, weiterhin edle, deutsche Luxusautos zu fahren und damit ihren Mitmenschen zu zeigen, dass sie es geschafft haben. „Ich möchte allen zeigen, dass ich es zu etwas gebracht habe und möchte das selbe meinen Kindern ermöglichen!“ Aleks ist stolz auf sein Auto und könnte sich ein Leben ohne „nicht mehr vorstellen“ – Genauso wie Tausende andere, junge Migranten, die nicht nur ihre Autos auf Hochglanz polieren, sondern vor allem ihr Ego.

INFO: 

 

Deutsche Autos weltweit auf dem Vormarsch:

Autos aus Deutschland sind in China gefragt wie nie: Im ersten Halbjahr 2010 lieferten die Hersteller rund 128.000 Neuwagen im Wert von 4,4 Mrd. Euro ins Reich der Mitte. Eine Verdreifachung im Vergleich zum Jahr 2009.

Selbst im traditionell für ausländische Hersteller schwer zugänglichen amerikanischen Markt, sind die deutschen Boliden auf einem guten Weg, Ford, Chrysler u. Co Konkurrenz zu machen. Eine BMW-Fabrik mit 7600 Mitarbeitern und eine Mercedeswerkstätte mit immerhin 3000 Beschäftigten sprechen eine klare Sprache. Die kriselnde US-Industrie schwächelt und die Deutschen möchten es den Koreanern und Japanern gleich tun, die mittlerweile fast genauso viel Neuwagen verkaufen wie die drei Großen (Ford, Chrysler, General Motors).

 

Filmtipp: „Sari Mercedes“ (dt. Gelber Mercedes), Türkei 1982. Der Film erzählt die Geschichte eines Gastarbeiters in Deutschland, der mit seinem neuerworbenen gelben Mercedes eine turbulente Reise in seine Heimat antritt. Ilyas Salman glänzt in der Hauptrolle des Riesenhits aus den 80er-Jahren, der die Sehnsucht nach einem prestigeträchtigen Gefährt mit viel Humor erzählt. Kult!

 

 


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Kommentare

 

zwischen Mann und Auto werde ich nie verstehen...

Ich habs heute, beim Durchlesen nicht gepackt, dieser Artikel hat mir Kopfschmerzen bereitet. Es gibt tatsächlich Männer, die es vorziehen eine "Blechkiste" zu fahren, als in ihren eigenen "vier Wänden" zu leben? also, das ist nicht normal...

oder anders gesagt, totale Muttersöhnchen!

und diese Aussage, die ist ja, das Allerletzte: „Hast du ein kleines und dickes Auto, kriegst du kleine und dicke Frauen. Ist dein Auto groß und hübsch, sind es die Frauen ebenso.“

1) will ich dafür Beweise sehen,
2) wisst eh, was man sagt... große Karre, nichts in der Hose!

peace :)

 

Da gehts anscheinend um die Prioritätensetzung: Lieber in Ledersitzen zur Arbeit fahren als am Abend gemütlich mit der Lady auf der Couch in der eigenen Wohnung kuscheln...

 

wer weiß... die Ledersitze sind wahrscheinlich nicht nur dafür da, um in die Arbeit zu fahren. Einige Ladies landen sicher auf der Rückbank vom Auto. ;)

 

Glaubst du, dass es genug Ladies gibt, die nicht anders können als schwach zu werden?

 

ich hoffe, dass es nicht viele gibt, die sich auf so etwas herablassen.

ist schon ein wenig tiaf, wenn sich einige weibliche Kollegas daran "aufgeilen".

Es ist nicht wichtig, was für ein Auto ein Kerl fährt, sondern (allgemein ausgedrückt) was er in der "Birne" hat. So sehe ich das...

 

Wenn die Wohnung zu schön ist, verlässt die Dame das Haus morgens nicht und will wieder kommen ;)
Man(n) ist jung und will dynamik, eine Wohnung ist was zum niederlassen.

 

siehst, so habe ich das gar nicht gesehen. Danke für die einleuchtende Argumentation, Makedonac;)

 

na schau. in serbien glaubend die leute, er ist direktor oder birgermeister.
auf ner geilen couch was des ja kana.
er kann ja nicht ganz serbien oder sein ganzes dorf in seine wohnung auf die geile couch setzen.
sein auto sieht jeder. und mit der geilen couch lässt sichs nicht durchs ganze dorf fahren.

 

für die jungen Männer sind die Karren protzige Statussymbole.

 

Aber er IST nunmal nicht Bürgermeister oder Direktor. Und das ist das was mich aufregt. Wieso müssen die Menschen immer vorspielen irgendwas Tolles zu sein?

Ein Auto um 140.000 euro, dafür nicht mal ein dach über dem Kopf? Irgendwie wünsch ich ihm dass ihn seine Eltern raushauen. Dann kann er ja in seinem Egoschlitten wohnen. Mal sehen ob er dann auch noch so stolz drauf is.

 

abu hat es mal treffend formuliert.
der tschusch im klo am gang träumt vom deutschen auto.
warum ihm das auto wichtiger ist,als ein cooler wohnraum? keine ahnung.
ich wohne zwar auch in einer kleinen wohnung, aber investiere lieber in sachen,die sie mir gemütlich und schön machen. statt sitzbezüge schöne kissen und deko :)

 

Ich sag nur: dragtimesinfo @ youtube, in russland, audi r8 5.2, vs audi rs6, 5.2 evotech

 

...süditalien ist es nicht anders: kein geld in der tasche. aber für die 300 Euro Sonnenbrille von RayBan, die 500 Euro für Armani-Jeans und...einer fetten Karre ist das geld immer vorhanden, woher auch immer.

das auto hat in italien so einen extremen status-symbol, dass sogar unsere polizei mit fetten karren ausgestattet wurde.

 

den verdacht hatte ich immer schon, dass diese fahrzeuge nur als schw**zverlängerung herhalten müssen :-)

ich fahre auch einen bmw.

einen der letzten noch erhaltenen 324d - 86PS saugdiesel, 23 jahre alt. das war und ist der langsamste BMW aller zeiten. aber ausgelacht hat mich noch keiner damit, und meine freundin brauch ich auch net zu verstecken.

ich kanns jedenfalls nicht nachvollziehen, zigtausende euros in ein auto zu versenken, das leben besteht auch noch aus ein paar anderen dingen.

was ich aber nicht verstehe - da wird einerseits bei autos das geld zum fenster rausgeworfen bis zum abwinken, aber - wenn ICH ein auto ins willhaben zum verkaufen stelle, haben 8 von 10 anrufern nur diesen standardtext: "WAS IST LETZTES PREIS?"

in diesem sinne schönes weekend!

da fred

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