Es ist der letzte Wille der meisten Zuwanderer: ein Grab in der alten Heimat. Ein gutes Geschäft für die Übersteller der Leichen, ein schlechtes für Herrn Ibrahim.

Ali Ibrahim wartet täglich auf den Tod , aber er kommt nicht. Herr Ibrahim verwaltet Österreichs ersten Islamischen Friedhof mit 4300 nach Mekka ausgerichteten Grabstätten. Doch seit der Eröffnung 2008 hat er gerade einmal 120 Menschen zu Grabe getragen.

Nicht die gestiegene Lebenserwartung der Muslime ist der Grund für das schlechte Geschäft, sondern der letzte Wille der meisten Migranten: ein Grab in der alten Heimat. Sie verbrachten den Großteil ihres Lebens in Österreich, arbeiteten hier, zogen die Kinder groß und gingen hier in Pension. Doch die letzte Ruhe wollen die meisten älteren Zuwanderer noch immer dort finden, wo ihre Familien herkommen, wo ihre Wurzeln sind. Das gilt für Türken und Ex-Jugoslawen gleichermaßen. Allein die Bestattung Wien organisiert jährlich 700 Überführungen ins Ausland.

Neue Heimat

Die Mutter des 59-jährigen Dimitrije B. steht kurz vor ihrem 80. Geburtstag. Nach Jahrzehnten in Österreich ist ihr ein Umzug nach Serbien zu beschwerlich. Sie wird in Österreich sterben. Geplant war das alles ganz anders. Dimitrije hat unten ein Haus für die Familie gebaut, seine Mutter sollte sich um Hof und Garten kümmern. Das war auch ihr Plan, nach der Ankunft in Österreich in den 70er-Jahren. Dann verstrichen die Jahre in der neuen Heimat Österreich und der Traum verblasste. Doch wenn es um ihr Grab geht, bleibt sie konsequent. Ihre letzte Ruhestätte ist schon vorbereitet – im Heimatdorf in Serbien, am Dorffriedhof. Dort ist ihr Mann begraben. Auch er wurde von Wien in die alte Heimat überstellt.

Der letzte Weg

Die Überstellung einer Leiche ist eine aufwendige Sache. Zunächst werden die toten Körper für ihre letzte Reise ins Jenseits feierlich vorbereitet. Im Islam etwa wird der Tote von gleichgeschlechtlichen Verwandten rituell gewaschen und parfümiert. Dann wird der Leichnam von der Bestattung Wien übernommen. Er wird einbalsamiert, um den Verwesungsprozess zu verzögern. Der Sarg wird luftdicht verschlossen und versiegelt. „Das ist wichtig, damit der Verwesungsprozess langsamer einsetzt. Außerdem müssen wir garantieren können, dass nur der Leichnam im Sarg ist“, sagt Peter Holeczek, Spezialist für Überstellungen bei der Stadt Wien. „Grabbeigaben können am Flughafen oder Grenze große Probleme verursachen, wenn man nicht weiß, was sich noch im Sarg befindet.“ Es gab schon Fälle, wo Särge am Flughafen noch einmal geöffnet werden mussten. „Das wollen wir natürlich vermeiden. Das ist eine unangenehme Situation“, so Holeczek. In der Zwischenzeit organisiert die Botschaft die nötigen Dokumente, damit die Leiche die Grenze passieren darf. Wenn notwendig, bucht das Bestattungsunternehmen auch einen Flug und bringt die Leiche zum Flughafen.

Hugo an Bord

Die Passagiere sollen nicht wissen, dass eine Leiche – in der internationalen Flugsprache „Hugo“ genannt – an Bord ist, deswegen wird der Sarg mit einer speziellen Hülle überzogen. Nach der Ankunft nimmt ein örtliches Bestattungsunternehmen, das vorher von der Bestattung Wien betraut wurde, die Leiche in Empfang und überstellt sie zum endgültigen Bestimmungsort. Grabstein, Totenanzeigen, und den eigentlichen Sarg, in dem der Tote zu Grab getragen wird, müssen dann schon organisiert sein.

A schen teure Leich

Ein Begräbnis in der alten Heimat ist aufwendig – und vor allem teuer. „Bei uns ist es üblich, dass die Toten nach 2–3 Tagen begraben werden. Deswegen muss es auch schnell gehen. Wir rechnen mit 2000 bis 3000 Euro für die Überführung. Die Begräbniskosten sind da nicht mit einberechnet“, sagt Dimitrije. Bei türkischen Begräbnissen können die gesamten Kosten von der Abholung in Österreich bis zur Beerdigung in der Türkei bis zu 7000 Euro betragen. Überführungen nach Ex-Jugoslawien sind im Gegensatz zu türkischen Begräbnissen billig, da die Leiche mit dem Auto überstellt werden kann. Meist holen Bestattungsunternehmen von „unten“ den Leichnam in Österreich ab. Das ist sogar billiger als der Transport von Österreich aus. Die Möglichkeit, wenigstens beim Begräbnis im Dorf zu sparen, besteht nicht. „Bei uns ist das Begräbnis eine Sache der Ehre. Je besser und grösser desto mehr zeige ich meinem Dorf, wie wichtig mir meine Angehörigen waren“, sagt Dimitrije.

Zum Sterben versichert

Dimitrijes Frau Brankica graut vor einer plötzlichen Kostenlawine, deswegen will sie eine Versicherung abschließen. „Ich habe von Firmen gehört, bei denen man sich für eine Rückführung versichern lassen kann. Das soll ähnlich wie bei einem Bausparvertrag funktionieren.“ So bieten etwa die Uniqa oder der „Wiener Verein“ maßgeschneiderte Versicherungen für die Wünsche nach dem Ableben an. Auch der türkische Kulturverein Atib bietet eine Überführungshilfe an, die die Transportkosten abdeckt. Atib zählt österreichweit mehr als 100.000 Mitglieder.

Integriert bis in den Tod?

Ali Ibrahim glaubt fest an seinen Friedhof. Er hofft auf die Migranten der zweiten und dritten Generation. „Die Errichtung des Islamischen Friedhofs war ein Zeichen: Wo wir Muslime gelebt haben, da wollen wir auch begraben sein. Österreich ist für viele Muslime zur Heimat geworden, in der uns auch die Angehörigen später am Friedhof besuchen können. Der Friedhof bedeutet somit auch Integration.“

Dimitrijie und Brankica machen ihm da noch wenig Hoffnung: „Wir werden uns auch in unserem Dorf begraben lassen. Meine Kinder leben zwar in Österreich, aber dort wo ich geboren bin, will ich auch meine letzte Ruhe finden.“ Und die Angehörigen? Wollen sie nicht besucht werden? „Zu oft ein Grab zu besuchen, ist sowieso nicht gut. Bin ich im Dorf begraben, gebe ich meinen Kindern außerdem einen guten Grund, sich auch weiterhin um unser Haus unten zu kümmern.“ Und die nächste Generation? Der Tunesier Mutasim, 27, findet das Thema makaber und will sich nicht zu viele Gedanken machen. Vor die Wahl gestellt würde er aber Wien wählen. „Wozu gibt es den islamischen Friedhof?“ Mit gutem Beispiel vorangegangen ist Herr Ibrahim: Er hat sich am Islamischen Friedhof in Wien schon ein Grab in der ersten Reihe fußfrei reserviert.

Text: Anna Thalhammer und Monika Bratic

Fotos: Philip Tomsich und Monika Bratic