Über kleine „Kopftuchmädchen“ und „Kippabuben“

06. Februar 2017

Einen ZIB2 Bericht der besonderen Art lieferte uns der ORF vor einigen Tagen. Tarek Leitner leitet mit dem Vollverschleierungsverbot der Regierung ein und beginnt über kleine Mädchen zu sprechen, die bereits im Kindergarten ein Kopftuch tragen würden bzw. müssten. Dass wir nun medial & politisch hier gelandet sind, gibt den Musliminnen recht, die im Sommer nach der Burka-Verbotsdebatte eine Kopftuchverbotsdebatte kommen sahen. Und jetzt, wo Kopftücher in gewissen Berufen verboten werden, sollen weitere Felder dazukommen.

Nach der Einleitung von Leitner folgt ein Bericht von Sonja Sagmeister. Diesen konnte ich mir erst beim vierten Mal zu Ende ansehen – so verärgert war ich über diesen tendenziösen Beitrag: Hinter einem Zaun wird eine Volksschule gefilmt. Als würde dort Kriminelles passieren, lauert die Kamera aus der Ferne und filmt Kinder, Eltern und Lehrer aus dem Hinterhalt. Entsprechend werden die Gesichter der Erwachsenen und Kinder dann auch unkenntlich gemacht – was den Eindruck des kriminellen Vorgehens verstärkt. Während dieser Bilder wird berichtet, dass einige Kinder bereits mit 6 oder 7 Jahren ein Kopftuch tragen würden – als würden sie etwas Verpöntes tun.

Wer befreit die „Kippabuben“?

Danach wird über Eltern in Salzburg berichtet. Die Stimme im Off sagt: „Dort gehen muslimische Eltern so weit, Mädchen schon mit Tuch in den Kindergarten zu schicken.“ Dazu wird die Vize-Bürgermeisterin der Stadt Salzburg, Anja Hagenauer, interviewt: „Das gehört nicht in den Kindergarten, das gehört nicht in die Volksschule. Bis zum 14. Lebensjahr soll ein Kind ganz normal, frei aufwachsen.“ „Ganz normal, frei“ bedeutet in diesem Kontext wohl „frei vom Islam“, „normal ohne Islam“ – leider wird mit dieser Wortwahl einmal mehr konstruiert, dass MuslimInnen grundsätzlich anders seien und nicht „normal". Es wird suggeriert, dass der Islam Kinder an einer normalen Entwicklung behindern würde. Kleine Buben, die eine Kippa tragen, haben aber noch nie für so viel Aufmerksamkeit gesorgt, oder? Wer will sie befreien? Verbote und Altersbeschränkungen aussprechen? Würde ein solches Verbot auch sie treffen? Haben wir in diesem Land nicht genug Erfahrung mit Stigmatisierung, dass wir wissen, dass das zu viel Leid führt?

Muslimische Mädchen tragen die Kopftücher ihrer Mütter manchmal als Cape, manchmal werden darin Puppen gewickelt und manchmal wird damit gebetet. Kinder lieben es, Erwachsene „nachzumachen“. Das Nachmachen gehört zum Aufwachsen dazu. Erst letztens erzählte mir eine Mutter, dass ihre Tochter mit einem Kopftuch rausgehen wollte und sie sie davon abgehalten hat: „Ich will mir die blöden Kommentare und ihr die erste, direkte Rassismuserfahrung ersparen.“ Das ist nicht die erste Mutter, von der ich solche Berichte kenne.

Im Zib2-Beitrag wird auch Amina Baghajati, die Frauenreferentin der IGGiÖ, interviewt. Sie sagt, dass bei Kindern von Eltern „etwas forciert wird, das in dieser Phase nicht vorgesehen ist.“ Leider lässt der Beitrag aus, dass Mädchen mit Kopftuch tragenden Müttern ein Kopftuch als ganz normales Kleidungsstück erleben. So wie andere Mädchen ihre Mütter nachmachen, machen das unsere auch. Danach ist wieder die Stimme im Off zu hören, hinter dem Zaun werden wieder die Schule und unkenntlich gemachte Gesichter von Kindern eingeblendet: „Nach Schätzungen werden rund 200 Volksschülerinnen und Kindergartenkinder von ihren muslimischen Eltern zum Tragen des Kopftuchs gezwungen.“ Wer geschätzt hat und was die Grundlage für die Schätzung aber auch für die Annahme des Zwanges ist, bleibt unklar, denn: Über MuslimInnen kann man ja eh alles behaupten, da wird schnell geglaubt. Im krönenden Abschluss des Berichts steht Sonja Sagmeister mit ernster Miene und betroffenem Gesicht vor der Kamera und beklagt, dass es in Österreich leider kein Gesetz gäbe, das das Kopftuch in Kindergarten und Volksschule verbietet.

Kopftuchverbote: Frauenbefreiung und Kindeswohl?!

Aus ihrer Meinung zum Kopftuch hat Sonja Sagmeister bereits in der Diskussion „Kopftuch am Arbeitsmarkt“ keinen Hehl gemacht. In der im Dezember 2016 von ihr moderierten Diskussion war durch ihre Fragen und die Verteilung der Redezeit mehr als nur ersichtlich, dass eine neutrale Moderation anders aussieht. Ein kurzer Bericht über die Diskussion seitens Teilnehmerinnen, der das zur Sprache bringt, ist hier nachzulesen. Wenn frau also die Vorurteile "nur" im Kopf trägt und über öffentlich-rechtliches Fernsehen verbreitet, ist es kein Problem. Wenn frau aber ein Kopftuch trägt und gute Arbeit leistet, dann ist sie nicht neutral. "Neutralität" kann man ja auch einfach am Aussehen festmachen und nicht an den Handlungen, oder? #IronieOff


Nach den jungen, studierten Frauen stehen nun unsere kleinen Töchter im Visier von ausgrenzender Politik und Stigmatisierung. Es ist keine Frage, dass Eltern mit ihren Mädchen und dem Kopftuch sehr sensibel umgehen müssen - gerade weil es mit Reaktionen auf der Straße verbunden ist. Es muss aber Kindern möglich sein, dass sie sich ausprobieren und spielerisch aufwachsen. Dies wird nicht nur durch möglichen elterlichen Druck unmöglich gemacht, der abzulehnen ist, sondern auch durch staatliche Verbote und gesellschaftliche Ächtung. So wenig "Frauenbefreiung" Ziel oder Absicht von rechtspopulistischer, rassistischer Politik ist, so wenig ist es hier das Kindeswohl.

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Kommentare

 

Liebe Dudu. Ich hoffe du sehst das ähnlich dass "das Kind will ja nur experimentieren" nur dann glaubwürdig sein kann wen das Kind nur ab und zu das Kopftuch trägt. Wenn das Kind es wirklich konsistent täglich in den Kindergarten oder die Volkschule trägt kann man doch kaum noch von spielerisch experimentieren reden, oder?

 

Ich kenne Kinder, die einfach sagen: Ich möchte auch so wie du (Mama) draußen ein Kopftuch tragen - die wollen das wirklich durchziehen. Die Eltern überreden (!) es dann zb beim Turnen doch runterzugeben & Turnkleidung anzuziehen, sagen ihm, dass es doch nicht muss. Das kommt weitaus häufiger vor. Und sollte ein Kind unter Druck gesetzt worden sein, so ist es am besten, dass von muslimischer Seite drum gekümmert wird. Mein Vorschlag wäre, dass Religionslehrerinnen darauf achten oder in der Moschee darauf eingegangen wird, wenn man den Verdacht hat. Ein Einwirken von außen, Druck in der Schule und ständige Befragungen von LehrerInnen ist für Kinder unangenehm, Eltern zum Gespräch vorladen usw: Damit tut man Mädchen keinen Gefallen - um deren Wohl muss es aber gehen & sensibel mit dem Thema umgegangen werden.

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