Solidarität mit den Frauen im Iran

03. Februar 2018

Iran Protest Kopftuch

Iran Protest Kopftuch
@mxsxxd/Instagram
„Ich vermisse die Solidarität muslimischer Frauen“, schreibt ein muslimischer Religionspädagoge, der gern auch mal Auftragsstudien schreibt. „Wäre es nicht gut, das Foto einer mutigen, iranischen Frau zu sharen?“, schreibt mir ein anerkannter Journalist, den ich sehr respektiere. „Ich habe so einen großen Respekt vor diesen Frauen im Iran,“ schreibt eine bekannte, österreichische Journalistin. Ahmad Mansour twittert: „Das Ist Emanzipation, das ist Feminismus! Das und nicht das Gegenteil.“ [Er meint damit zum Beispiel auch mich.] Hamed Abdel-Samad schreibt im Zustand höchster Erregung: „For all fake feminists who claim that hijab means empowerment, here is a woman from Iran who took off her hijab to empower herself”. [Ich glaube, auch er meint zum Beispiel auch mich.] Islamophobe Seiten möchten sich vor den “wahrhaft tapferen” Frauen “verneigen“. 
 
Es sind Worte wie „Gänsehaut“, „mutig“ oder „großer Respekt“ zu lesen. Ich habe das Gefühl, dass es Momente der Ehrfurcht sind, die sie und viele Menschen teilen, wenn sie an das demonstrative Ablegen des Kopftuches im Iran denken. Die Frauen werden zu Ikonen. Sie sind fast zu Tränen gerührt.
 
Und genau das sind aber die Momente, die mich entfremden. Ich suche nach Worten, in der ich meine Solidarität mit den Frauen ausdrücken kann, ohne mich überwinden zu müssen. Wie kann ich mich dazu äußern, ohne mich instrumentalisiert zu fühlen und ohne in einer Linie mit den Falschen zu stehen? Ich teile die Position der Frauen im Iran seit 20 Jahren. Die Position selbst ist nicht das Problem. Ich stehe zu meiner Position, die ich bereits unzählige Male wiederholt habe. Aber es stört mich, dass es eine gesellschaftliche Erwartungshaltung gibt, als müsste ich jemandem etwas beweisen. Es fühlt sich an wie die obligatorisch erwartete „Distanzierung von Terror“ nach Terroranschlägen: nach einem Beweis meiner Humanität und meines Demokratieverständnisses. Es ist, als würde man sagen: Na, du sagst doch, dass du Feministin bist und für die Freiheit der Kleiderwahl bist. Jetzt beweis mal, dass du es auch wirklich meinst!“
 
Das klingt für mich so, als hätten diese Leute noch nie Texte oder Interviews von mir oder anderen Musliminnen gelesen, in denen wir fast schon gebetsmühlenartig betonen und wiederholen, dass keine Frau aufgrund von „zu viel“ oder „zu wenig“ Kleidung gesellschaftliche Sanktionen erwarten sollte, dass wir gegen jegliche Kleiderverordnungen sind, die einer Frau vorschreiben, wieviel sie tragen darf oder muss.
Und es schleicht sich ein Gefühl der Ungerechtigkeit ein.
 
Haben all diese Leute auch jede Frau gefeiert und zur Freiheitsikone erklärt, die hier in unseren Straßen aufgrund ihrer Kleidung von der Polizei mitgenommen wurde? Von PassantInnen bedrängt wurde? Eine jede Frau, der ein Job verwehrt wurde? Eine jede sichtbare Muslimin, die auf der Straße beschimpft oder geschlagen wurde? Wird ab jetzt auch jede Burkiniträgerin in Italien am Strand als „mutige Heldin“ gefeiert? Jede Trägerin eines Gesichtsschleiers auf der Straße zum Vorbild erklärt? Gibt es dann internationale Berichterstattung über sie? Werden ihre Bilder millionenfach in sozialen Medien geteilt und von großem Applaus begleitet?
Nein, natürlich nicht. Weil wir globale, postkoloniale Herrschaftsverhältnisse und Wissenssysteme haben, die uns prägen und die uns sagen, was Freiheit und was Unterdrückung im Kontext des Kopftuches ist: Das Ablegen ist Freiheit und Fortschritt, das Aufsetzen ist Unterdrückung und Rückschritt. Deshalb werden wir nicht mit dieser Art von Ehrfurcht gefeiert und millionenfach zu Heldinnen erklärt.
 
Aber nachdem ich all das gesagt habe, werde ich noch einmal klarstellen, was ich meine, wenn ich gegen ein Kopftuchverbot, aber auch gegen ein Kopftuchgebot bin: Ich meine damit, dass es mich als Frau nicht interessiert, was Männer über meine Kleidung denken. Ich will nicht, dass Männer mir oder anderen Frauen Vorschriften über ihre körperlichen Grenzen machen. Ich möchte mich weder aus der Perspektive eines „colonial gaze“ noch aus der Perspektive des „male gaze“ sehen und erklären müssen. Ich bin dagegen, dass postkoloniale oder patriarchale Verhältnisse als das Maß aller Dinge gelten. Ich meine damit, dass die Fixierung auf die Kleidung von Frauen ein Merkmal sexistischer und patriarchaler Gesellschaften ist. Und ich meine, ich brauche das weder im Iran noch in Österreich. War das jetzt klar genug? Habe ich mich nun ausreichend vom impliziten Vorwurf der islamistischen Komplizinnenschaft im Iran distanzieren können? Ja?!
 
Dann habe ich auch eine Bitte: All die erregten und ehrfürchtigen Blicke, die diese Frauen im Iran beäugen, mögen ihren Blick kurz in den Spiegel richten. Sie mögen darüber nachdenken, warum sie in der einen eine Heldin sehen, nicht aber in den Frauen, die tagtäglich vor unser aller Augen entgegen dem großen gesellschaftlichenDruck ein Kopftuch tragen und deshalb Diskriminierung und Gewalt erfahren. Kennt ihr die Geschichten von türkischen Studentinnen, die Polizeigewalt erfahren haben, weil sie für ihr Recht auf freie Kleidungswahl friedlich protestiert haben? Das war in den 90ern, als das Kopftuch in der Türkei an Universitäten verboten wurde. Ich kann mich an all die Szenen von exzessiver Gewalt vor laufenden Kameras erinnern - aber nicht an eure Solidarität. Ich kann mich nicht erinnern, dass diese Frauen global zu Ikonen ausgerufen wurden. Kennt ihr die Geschichten der iranischen Frauen zur Zeit des Kopftuchverbots? Wusstet ihr überhaupt, dass es im Iran lange vor dem Kopftuchgebot ein Kopftuchverbot gab und dies unter der Überschrift der „Europäisierung“ stand? Wisst ihr, dass das Befürworten des Ablegens des Kopftuches und das Feiern der Frauen koloniale Tradition hat? Der postkoloniale Theoretiker und Philosoph Frantz Fanon dokumentierte, dass in Algerien zur Zeit der Besatzung Frauen, die gar kein Kopftuch getragen haben, von der französischen Administration bezahlt wurden eins aufzusetzen, damit sie es öffentlichkeitswirksam an zentralen Orten ablegen konnten.
 
Versteht ihr deshalb, warum ich in all dem Applaus nicht einfach unschuldige Solidarität sehen kann? Wenn noch dazu direkt neben euch die üblichen Verdächtigen des Islamdiskurses in vorderster Reihe stehen?
Anstatt mich zu fragen, warum ich mich (angeblich) nicht mit meinen Schwestern solidarisiere, solltet ihr euch fragen, warum ihr die Geschichten meiner anderen Schwestern nicht kennt. Warum wisst ihr eben nur von der einen Seite der Geschichte, aber nicht von der anderen?
 
Und nachdem ich all das auch gesagt habe, kann ich meine Position gerne wiederholen: Natürlich haben die Frauen im Iran meine volle Solidarität. Meine Solidarität haben alle Frauen, die über ihre körperlichen Grenzen selber entscheiden wollen.
 

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Kommentare

 

mehr Menschen im Iran möchten die religiösen Hardliner nicht länge ertragen. Setzt bei den Hardlinern im Iran nicht bald ein enormes Umdenken ein, könnte es zu einem Bürgerkrieg kommen.
Die Anfänge mitzuerleben ist ebenso schlimm, wie das "Ende". Die Führung im Iran sollte sich daher die Zustände im Irak, Syrien oder auch Libyen genau anschauen.

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