"Was denn noch?"

06. Juli 2018

„Gehört der Islam zu Österreich?“ titeln längst nicht mehr nur Boulevardmedien. Verbote für Muslime fordern nicht mehr nur Rechte. Die Islam-Debatte ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen. „Was kommt als Nächstes?“, fragen sich nun auch gut integrierte, liberale Muslime, die den Hass abbekommen. 

von Melisa Erkurt, Illustrationen: Mariella Lehner

Illustration: Mariella Lehner
Illustration: Mariella Lehner

„Kopftuchverbot, Burkiniverbot, Fastenverbot, Moscheenschließungen, Abschiebungen von Imamen an einem Freitag mitten im Ramadan. Was kommt als Nächstes?“, fragt Hasan in die Runde. Die anderen nicken stumm. „Sie wollen uns zeigen, was sie uns alles nehmen können, dass wir nie wirklich dazugehört haben, egal wie sehr wir es versucht haben“, entgegnet Hasans Freund Safet schließlich. „Jahrzehntelang wurde uns gepredigt, dass wir es schaffen können, wenn wir nur gut genug deutsch sprechen und uns weiterbilden und was ist jetzt? Als Muslim wirst du nie dazugehören“, ist sich der gebürtige Bosnier sicher. „Schau dir Alma Zadic an, sie ist Anwältin und Nationalratsabgeordnete und ein ÖVPler sagt ihr vor allen anderen Abgeordneten ‚wir sind hier nicht in Bosnien‘. Der diskriminierende Umgang mit Muslimen beschränkt sich nicht mehr nur auf Parks und Nachbarschaftsstreitereien, er ist im Parlament angekommen“, sagt der 23-Jährige. Dass der Zwischenruf vom ÖVP Abgeordneten Johann Rädler auf Zadics muslimischen Background abzielt, davon sind alle in der Runde überzeugt. „Wenn über Ausländer gesprochen wird, meint man mittlerweile nur Muslime – ganz klar“, sind sich die jungen Männer einig. „Als Peter Pilz angelobt wurde, haben Frauen den Saal verlassen. Was haben sie gemacht, als Alma Zadic diskriminiert wurde? Nichts!“, fügt Safet hinzu. Bei Safets Worten wird es still in der Shisha-Bar, in der sich die Freunde regelmäßig treffen. Sie alle haben muslimischen Background. Manche kommen aus Bosnien, andere aus der Türkei, Albanien oder Mazedonien. 

Illustration: Mariella Lehner
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Sie haben es satt

In den letzten Monaten unterhalten sich die Freunde öfters als sonst über den Umgang mit Muslimen in Österreich. Dass der Islam fast täglich in Medien und Politik ein Thema ist, wirkt sich auch auf ihren Alltag aus, obwohl keiner von ihnen streng gläubig ist. „Mein Chef hat neulich gesagt, dass er sein Kind niemals in Wien in die Schule schicken würde, weil da so viele Moslems sind“, sagt einer der jungen Männer. „Vielleicht haben sie sich das früher auch schon gedacht, aber jetzt ist es okay geworden, das offen auszusprechen.“ Den Freunden wird in den letzten Monaten auch öfters als davor der Zugang zu Clubs verwehrt, mit der Begründung „seitlich kurz, oben lang kommt nicht rein“ – eine Anspielung auf ihre Frisuren, die zum großen Teil Männer aus dem orientalischen Raum tragen.

„Ich werde außerdem öfter gefragt, ob ich gläubig bin“, sagt Mustafa. Noch vor einem Jahr hätte den 22-Jährigen diese Frage nicht gestört, aber jetzt kommt sie so häufig, dass er sie als Angriff sieht. „Wenn mich früher wer nach meiner Religion gefragt hat, dachte ich, er fragt nur aus Interesse, heute denke ich, die Person will mich einfach herabstufen“, sagt auch Hasan. Der 23-Jährige hat es satt. Er hat es satt, aufgefordert zu werden, sich von terroristischen Anschlägen zu distanzieren. Er hat es satt, wenn man ihn fragt, ob alle Muslime Andersgläubige hassen. Er hat es satt, dass es für Österreicher normal geworden ist, Muslimen persönliche Fragen zu ihrem Glauben zu stellen. Damit ist er nicht alleine. Muslime in Österreich leiden unter der aktuellen islamkritischen Stimmung. Die Dokustelle für Islamfeindlichkeit und antimuslimischen Rassismus verzeichnet eine Zunahme an Übergriffen auf Muslime und sieht einen Zusammenhang mit der aktuellen Politik. Islam-Themen bestimmen politische Debatten, Zeitungscover und Talk-Formate. „Gehört der Islam zu Österreich?“, „Die Islamdebatte. Wo endet die Toleranz“, "Muslime in Österreich: Woran scheitert die Integration?" – das titeln längst nicht mehr nur Boulevardmedien und rechte Parteien. 

„Muslime müssen zusammenhalten“

Das fällt auch liberalen Muslimen wie Mustafa, Hasan und Safet auf: „Früher hat nur der Boulevard so viel und so einseitig über Muslime berichtet, heute berichten die Qualitätsmedien genauso und übernehmen Begriffe von rechten Politikern“, sagen die drei. „Wenn es um Umwelt oder österreichische Politik geht, lädt man ausgewiesene Experten ein, beim Islam kann jeder mitreden“, sagt Safet. Er und die anderen befürchten, dass das alles erst der Anfang ist. „Ich glaube, wenn wir mal Kinder haben, werden sie in separate Schulen für Muslime gehen müssen“, fügt Hasan hinzu. Sorgen wie diese plagen die Muslime erst seit ein paar Monaten. „Meine Mutter trägt Kopftuch. Ich habe ihr gesagt, sie soll nicht mehr so nah an der gelben Linie bei der U-Bahn Station stehen, weil ich Angst habe, dass sie jemand vor die U-Bahn schubsen könnte“, sagt Mustafa. Sein Freund Erol kennt diese Angst. „Mir fällt auf, wie die Leute meine Mutter mit Kopftuch im Supermarkt anschauen und tuscheln, das habe ich früher nicht bemerkt.“  Die Stimmung schweißt aber auch zusammen. Die Männer geben zu, dass sie sich seit der Islamdebatte mehr mit ihrem Glauben befassen und mit anderen Muslimen austauschen. Während sie früher konservative Muslime nicht so ernst nahmen, wenn die von Islamophobie gesprochen haben, sehen sie die Warnsignale heute selber. Die jungen Männer sprechen perfektes Deutsch, studieren, sind liberal – sie gehören damit zu jenen, die gemeint sind, wenn von den „guten“ Muslimen die Rede ist. „Liberal, konservativ, die Guten, die Schlechten – mit diesen Begriffen wollen sie uns Muslime auch noch untereinander spalten“, winken die Freunde ab. „Das lassen wir nicht zu. Wir müssen zusammenhalten. Denn egal, was für ein Muslim man ist, man wird in Österreich nie dazugehören. Das wissen wir jetzt“, sagt Mustafa.

Illustration: Mariella Lehner
Illustration: Mariella Lehner

„Man will uns mundtot machen“

Rami musste das vor einigen Monaten auch schmerzlich feststellen. „Du gehörst als Muslim nur zu Österreich, solange du brav den Mund hältst und die Mehrheitsgesellschaft, zu der du ja doch nicht gehörst, nicht kritisierst“, sagt der 25-Jährige. „Wenn ich die muslimische Community kritisiere, werde ich von der Mehrheitsgesellschaft als Experte gelobt. Sage ich Dinge, die der Mehrheitsgesellschaft nicht ins Bild passen, spricht man mir meine Expertise ab.“ Der 25-jährige Politologe macht aktuell seinen Master in Islamwissenschaften. Früher wurde er von reaktionären Muslimen für seine Kritik an muslimischen Communitys angefeindet, heute stellt sich die Mehrheitsgesellschaft gegen ihn. Als er Ednan Aslans Kindergartenstudie Ende 2017 öffentlich kritisiert, wird ihm sogar von Linken die Nähe zur Muslimbruderschaft unterstellt. „Solche Vorwürfe kommen immer, wenn ein Muslim die Mehrheitsgesellschaft für ihren Umgang mit Muslimen kritisiert. Dann wird man gleich denunziert. Man will uns mundtot machen“, sagt Rami. Dasselbe passiert ihm, als er vor ein paar Wochen mit Efgani Dönmez in einer ORF-Sendung über die Moscheeschließungen diskutiert. Dönmez fordert ihn aus dem Nichts auf, sich von der Muslimbruderschaft zu distanzieren. Rami wird gegen diese Vorwürfe nun gerichtlich vorgehen. „Ich habe Angst um meine Familie in Ägypten, diese Vorwürfe könnten gefährlich für sie werden. Dönmez muss das öffentlich zurückziehen.“ 

Islamfeindlichkeit mit Krawatte

Wenn sich Muslime wehren, werden sie oft delegitimiert, so dargestellt, als könnten sie nicht mit Kritik umgehen und sich nur in die Opferrolle begeben. „Damit macht man unsere Erfahrungen nichtig“, sagt Rami. Er beobachtet aktuell eine Islamophobie, die sich unter dem Mantel der Islamkritik versteckt. „Kritik wäre sachlich und konkret, nicht diffamierend und pauschalisierend“, sagt der Politologe. Für ihn ist das Ausländerproblem mittlerweile zum Problem mit Muslimen geworden.

„Der islamfeindliche Diskurs war früher nur im rechten Spektrum, heute ist er in der Mitte und links angekommen. Islamfeindlichkeit mit Krawatte“, benennt Rami das Phänomen. „Wir befinden uns am Höhepunkt des islamfeindlichen Diskurses, der in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist.“ Auch die Zahlen sprechen dafür: Für das Integrationsbarometer des Österreichischen Integrationsfonds werden in regelmäßigen Zeitabständen 1.000 österreichische Staatsbürger*innen zum Zusammenleben von Menschen mit und ohne Migrationshintergrund befragt. Das Ergebnis für 2017: Am kritischsten wird das Zusammenleben zwischen Muslim*innen und Nichtmuslim*innen bewertet. Muslim*innen werden deutlich skeptischer bewertet als alle anderen Integrationsgruppen.

„Was soll noch kommen?“

Rami, der Workshops an Schulen hält und dadurch auch viel mit muslimischen Jugendlichen zusammenarbeitet, beobachtet als Reaktion auf den Druck von außen unterschiedliche Tendenzen innerhalb der Community. „Das Ganze spielt Scharfmachern wie Erdogan, die den Kampf gegen den Islam instrumentalisieren, in die Hände. So funktioniert auch Radikalisierung. Die Menschen sind durch die islamfeindliche Stimmung dafür anfällig.“ Andere Muslime leisten Widerstand und fordern Zugeständnisse ein: „Es gibt so viele gebildete, perfekt integrierte Muslime, die trotzdem diskriminiert werden. Sie fordern seit Jahrzehnen Integration von uns ein, aber wir versuchen es doch schon so lange und werden trotzdem nicht akzeptiert“, sagt Rami. „Sie fordern ein Fastenverbot, ein Kopftuchverbot, schließen Moscheen – sie greifen damit die Grundpfeiler der Muslime an. Was soll noch kommen?“, fragt sich der 25-Jährige. „Muslime werden keine Kritik mehr am Islam äußern, um die Stimmung nicht noch mehr anzuheizen“, ist er sich sicher. Muslime seien die ganze Zeit damit beschäftigt, Angriffe abzuwehren und sich zu rechtfertigen. „Als Mann bin ich aber noch privilegiert, am meisten kriegen Frauen, die ein Kopftuch tragen, ab. Ich kenne welche, die es aus Angst sogar ablegen“, sagt Rami. Mehr dazu im zweiten Teil unserer Cover-Strecke. „Die Anderen sind jetzt dran, einen Schritt auf uns zuzumachen“, fordert er deshalb. „Sie müssen den Dialog mit uns suchen, anders kommen wir da nicht raus“, sagt der Politologe.

Auch Gözde sieht keinen anderen Ausweg mehr. Obwohl sie kein Kopftuch trägt und somit keine sichtbare Muslima ist, muss sie sich die ganze Zeit über rechtfertigen. „Wenn ich Leute zum ersten Mal treffe und sie erfahren, dass ich Muslima bin, ist die Stimmung gleich eine andere. Sie wollen wissen, wie gläubig ich bin, um mich kategorisieren zu können.“ Die IT-Studentin glaubt, dass Sebastian Kurz den islamfeindlichen Diskurs normalisiert hat und sich deshalb mehr Leute trauen, etwas gegen Muslime zu sagen. „Und die Medien ziehen mit und liefern eine einseitige Berichterstattung“, sagt die Master-Studentin. Sie findet, dass Muslime zu wenig zu Wort kommen, um über ihre Lebensrealität berichten zu können. „Weil die Medien nur über uns schreiben, glauben alle, sie wüssten mehr über meine Religion als ich. Die Gesellschaft weiß gar nicht, wie es uns in diesem ganzen Islamdiskurs geht“, sagt die 30-Jährige. Sie wünscht sich eine faktenbasierte und keine emotionsgeladene Diskussion. „Es gibt keine Zahlen darüber, wie viele Mädchen in der Volksschule Kopftuch tragen, es gibt keine Fakten darüber, dass ein Burkini unhygienisch ist, es gibt keine Beweise dafür, dass Moscheen geschlossen werden sollen, und trotzdem reden alle darüber als wäre es ein Faktum“, sagt Gözde. Die Studentin glaubt nicht mehr, dass Medien oder Politik wie sie jetzt sind die Lage verbessern können. „Wir müssen die Sache selbst in die Hand nehmen“, sagt Gözde. 2016 schließt sie sich deshalb dem „Netzwerk Muslimische Zivilgesellschaft“ an, einem Netzwerk, das Widerstand leistet. „Wir vernetzen uns, organisieren Demos und empowern uns gegenseitig - das ist in Zeiten wie diesen wichtig“, sagt Gözde. Ohne Vereinsstrukturen und unabhängig von Nationen kämpfen hier Muslime gemeinsam gegen Islamophobie. Junge Muslime hätten zu lange geglaubt, dass sie mit Bildung und Deutschkenntnissen dazugehören würden. „Aber egal was wir machen, wir werden nie gleich behandelt werden. Deshalb müssen wir selbst die Initiative ergreifen“, sagt Gözde. Sie appelliert an alle Muslime und alle, die die aktuelle Islamdebatte nicht in Ordnung finden: „Seid sichtbar, seid laut, publiziert, gebt Interviews, führt Dialoge, seid aktiv – sagt ‚Nicht mit uns. Nicht mehr. Uns reicht’s!‘.“

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Kommentare

 

die radikalen Muslime den Bogen noch weiter überspannen, steht vielen der gegenwärtig in Europa sich aufhaltenden muslimischen Fanatikern den Weg Boabdils bevor. Sobald man sich in Europa entschliesst, dem religiösen Terrorismus mit Einigkeit und Entschlossenheit einen Riegel vorzuschieben, werden etliche muslimische Fanatiker die Heimreise antreten. Das wäre die Konsequenz, sollte man in Europa tatsächlich Hannah Arendts Dictum beherzigen.

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