„Das ist mein letztes Interview“

17. Oktober 2012

Mit seinem provokanten Buch „Wir kommen“ landete der 25jährige Linzer Inan Türkmen in den Bestseller-Listen und mitten in einem medialen Wirbelsturm. Jetzt hat sich der Sturm gelegt und er ist froh, nicht mehr der „Wuttürke“ der Nation zu sein. In seinem „letzten Interview“ spricht Türkmen über „sinnlose“ Integrationsfragen, sein Leben in der Parallelgesellschaft und lädt Strache zum 4-Augen-Gespräch.

 

Interview:
biber-Akademiker
Bezeczky, Vachova, Spanbauer, Stanic

 

Wie hat dein Buch, das im Frühjahr erschienen ist, dein Leben verändert?

Direkt danach setzte es 80-Stunden-Wochen zwischen Uni und Interviews. Die Reaktionen in den Medien und Internetforen waren heftig. Das war eine Zeit lang anstrengend, wenn da alles auf einmal auf dich einprasselt. Da hab ich kurz nachgedacht, ob das alles so gut war. Dann wurde ich ab und zu auf der Straße erkannt. Manchmal passierte es heute noch, dass wer sagt: „He, bist du nicht der“ oder „Was ist mit dir!“. Ein Viehkutscher hat mich mal angeredet. Er meinte von seinem Sitz herab: „Des geht so net!“. Ich meinte nur zurück „ ja, du gehst so a net!“. Das Coolste an der Sache ist aber, dass ich auf alle Feste eingeladen wurde und überall gab es genug zu trinken und zu essen. Einladung zum perfekten Promi Dinner hab ich aber noch keine.

 

Was war die schönste Reaktion?

Ich habe mal meinen kleinen Bruder von der Schule abgeholt. Ein paar Jugendliche sind davor gestanden und haben gesagt „danke, dass sich das mal wer traut“.

 

Wie haben deine Eltern, Geschwister, wie die Bekannten reagiert?

Stolz, mein Vater auch kritisch.

 

Hat sich jemand aus der Vergangenheit bei dir gemeldet?

Nein nicht wirklich. Ich hab mal meine alte Lehrerin zufällig auf der Straße getroffen, die hat mir gratuliert und gesagt „toll gemacht“. Die hat sich sicher gewundert, denn in der Schule war ich einer, der nur Fußball im Kopf hatte.

 

Die Presse hat dich zum Wuttürken gemacht. Wie gehst du damit um?

Die Bewegung des Wutbürgers ist ja schon vor 1, 2 Jahren in Deutschland entstanden. Und alles, was aus Deutschland kommt, wird in Österreich gleich übernommen. Bei einem Interview habe ich damals alles ironisch beantwortet. Sie fragten „warum bist du eigentlich so wütend“ und ich hab gesagt, ich wär halt immer wütend, schon gleich nach dem Aufstehen und dass ich vor Wut nicht schlafen könne. Sogar, dass ich während des Interviews wütend sei. Das Arge war dann, dass ich ganz ernst zitiert wurde, ohne Ironie! In den Medien geht das sehr, sehr schnell dass man falsch dargestellt wird. Man muss aufpassen.

 

Wenn du kein Wuttürke bist, bist du der Guttürke, der Vorzeigemigrant?

Schon gar nicht. Ich hasse den Begriff Vorzeigemigrant, das ist für mich abwertend gemeint. Ich bin in Österreich geboren und aufgewachsen.

 

Du hast gesagt, du willst Strache „einiges erklären“. Schon getroffen?

Nein, aber ich würde ihn gerne mal unter vier Augen treffen. Ich habe einige Politiker getroffen. Unter vier Augen waren die ganz anders als dann in den Medien. In den Medien kommen viele wie Selbstdarsteller und Heuchler rüber, was unter vier Augen nicht so war.

 

Reizt dich die Politik also nicht?

Nein, die Politik ist kein Thema für mich!

 

Was hältst du von Integrations-Staatssekretär Kurz?

Kurz? Er ist okay. Ich hab so ne 50/50 Meinung von ihm. Ab und zu sind gute Ideen dabei und ab und zu greif ich mir als einer, der beide Seiten sehr gut kennt, auf den Kopf und denke mir, wie kommt man auf so eine Idee. Wenn du heute im letzten Jahr Kindergarten vor der Volksschule in eine Vorbereitungsklasse mit 20 Ausländern und eine Lehrerin kommst, ist das Ghetto, das funktioniert nicht, so kann sich kein Ausländer integrieren. Ich hätte, ohne so früh österreichische Mitschüler zu haben, nie so gut Deutsch gelernt. Ein verpflichtender Kindergarten von drei bis sechs Jahren: das würde wirklich helfen.

 

Ist das nicht schon bisschen ein politisches Programm?

Kein politisches, ein soziales. Ich kriege auch ab und zu Anrufe, wo die Leute sagen „Hey, rede mit der und der Familie, die wollen die Kinder nicht jeden Tag in den Kindergarten schicken“. Ich versuche den Eltern zu erklären wie unglaublich wichtig ein regelmäßiger Kindergartenbesuch ist. Da bekommt man ein Gespür für die deutsche Sprache und wichtige Basics für die Volksschule!

 

Hältst du dich für gut integriert?

Nein. Ich bin nicht integriert. Ich lebe in einer Parallelgesellschaft. Meine drei besten Freunde sind Österreicher. Ich bin unter Österreichern aufgewachsen, Kindergarten und Volksschule und so. In der Hauptschule bin ich aber zu einem Ausländer geworden. Es gab die A und B Klasse. In der B Klasse waren nur Ausländer. Ich war in der A und mir wurde über Jahre hinweg angedroht, in die B Klasse zu kommen. Wenn du dann später beim Fortgehen plötzlich nicht in einen österreichischen Club reinkommst, weil du Türke bist, gibst du’s nach einer Zeit auf und fängst an in die türkischen Clubs zu gehen. So war das. Ich bin sehr froh darüber Multi Kulti aufgewachsen zu sein. Bei uns gibt es diese sinnlose Integrationsfrage nicht. Wenn wir essen gehen, sitzt ein Kurde neben einem Türken, ein Türke neben einem Österreicher, ein Österreicher neben einem Rumänen. Wir sind eine Familie und es ist „scheiß egal“ woher du kommst. Ich bin kein Türke, kein Kurde und kein Österreicher. Also wo soll ich integriert sein?  Ich bin ein „Österreicher mit migrantischem Hintergrund“ – und das, obwohl ich nicht mal einen habe.

 

Was sagst du zum „Mohammed-Film“?

Ich bin gegen jede Art von Blasphemie. Die Macher gehören verhaftet, da ist für mich eine Grenze der Meinungsfreiheit überschritten. Den Idioten sollte keine Aufmerksamkeit geschenkt werden. Zum Video soll sich aber besser ein Moslem selbst äußern.

 

Du bist kein Moslem?

Ich bin Kurdischer Alevit. Doch in der Volksschule war ich regelmäßig im römisch-katholischen Unterricht. Meine Eltern hatten immer Angst, dass wir uns sonst ausgegrenzt fühlen würden. Deswegen feiern wir auch noch immer Weihnachten. Wenn Bayram ist, feiere ich gemeinsam mit meinen muslimischen Freunden. Der Glaube selbst ist ja eigentlich etwas Schönes. Doch leider Interpretieren ihn viele sehr, sehr falsch.

 

Wie geht’s für dich nach dem Studium weiter?

Ich will nicht in Wien bleiben. Ich werde auf jeden Fall ins Ausland, bissi in die Türkei und nach Frankreich würd ich auch gern gehen. Und dann nach Linz zurück. Da bin ich zuhause. Ich habe hier noch viel vor, deswegen sehe ich meine Zukunft in Österreich.  Außerdem würde mich Istanbul killen. Ich würde dort nur noch essen und fortgehen.

 

Abseits von den vielen Zeitungsartikeln hat sich das Buch selbst 7000 Mal verkauft. Hättest du dir mehr erwartet?

Ich hab mir gar nichts erwartet, weil ich nicht gewusst hab, wie’s dann überhaupt rennt. Ich habe keinen finanziellen Schaden davon getragen. Reich bin ich nicht geworden, aber ein Las Vegas Trip mit Freunden geht sich aus.

 

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Danke!

BB

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