Bachelor auf Türkisch

29. Januar 2015

Kein Deutsch, Kein Problem: In Österreich macht jeder zehnte türkische Student den Bachelor in Politikwissenschaften. Viele von ihnen sprechen kaum Deutsch. Unter Mitstudierenden rumort es.

von Natalija Stojanovic und Kürsat Mutlu, Foto: Bahadir Gokce

NIG, Uni, Bahadir Gökce
Foto: Bahadir Gökce

Donnerstag, Nachmittag. 16Uhr. Wir befinden uns im zweiten Stock des Neuen Instituts Gebäudes (NIG), hier ist das Institut der Politikwissenschaften zu Hause. Wie jeden Donnerstag bildet sich vor der StudienServiceStelle eine lange Warteschlange. Als nächstes kommt eine große Gruppe türkischer Studenten an die Reihe. Tatsächlich hört man in den letzten Jahren die türkische Sprache öfter auf den Gängen des Instituts als zuvor. Warum?  

HOSGELDINIZ IN VIYANA
Auf Österreichs Universitäten waren letztes Jahr 4114 türkische Studenten inskribiert. Davon war mehr als jeder zehnte (466) zum Studium der Politikwissenschaften zugelassen. (Siehe Infobox)
Ein Auslandsstudium ist sehr begehrt unter türkischen Studenten. Einerseits sind die Aufnahmeverfahren auf den staatlichen Unis daheim sehr anspruchsvoll. Auf der anderen Seite kann man auf privaten Sommerunis rasch zu Zeugnissen kommen, die alle in Österreich angerechnet werden. Die Sommerschulen am Bosporus machen dabei ein gutes Geschäft. Dort lassen sich Kurse wie „Politisches System der EU“ oder „Theoriegeschichte“ ganz leicht in türkischer Sprache ablegen. Alle werden ausnahmslos angerechnet.

Viele Studenten aus Istanbul oder Ankara, die kurz vor dem Abschluss des Bachelors in Wien stehen, sprechen kaum Deutsch. Und Fächer wie Europäisches Recht müssen sie nicht absolvieren, das haben sie ja auf der Sommerschule bereits getan. „Eigentlich ist es ja unfair. Wenn du dir vorstellst, dass manche Türken ihr komplettes Studium ohne auch nur ein Wort Deutsch zu sprechen, fertig machen“, sagt Emre. Der 25-Jährige ist selbst Türke, spricht fließend Deutsch, kennt aber die Sprachenproblematik auf der „PoWi“ bestens. Unter den nicht-türkischen Studenten regt sich Unmut. Nora, die anonym bleiben möchte, erzählt aus ihrem Studentenalltag: „Vor ein paar Semestern habe ich eine Gruppenarbeit mit türkischen Kollegen machen müssen. Wegen ihrer Sprachdefizite konnten die aber nicht mitarbeiten. Als ich das so angeben wollte, wurde ich von denen unter Druck gesetzt. Ich musste also lügen, um keine Spannungen aufzubauen. Ich habe das als sehr ungerecht empfunden.“
Xavier ist ebenfalls misstrauisch. Der Sechstsemestrige kennt die Geschichte eines Studenten, „der die Master-Prüfung nicht schaffte, weil angeblich sein Deutsch so schlecht war.“

Wir haben die Uni Wien auf die sprachlichen Defizite und die leicht anrechenbaren Sommerkurs-Fächer angesprochen. Die Studienprogrammleiterin Dr. Regina Köpl weicht unserer Frage zu Studenten mit schlechten Deutschkenntnissen aus und sagt: „Wir haben in den letzten Jahren beobachtet, dass wir auf die Sprachkenntnisse besonderes Augenmerk legen müssen, um sicherzustellen, dass die Studierenden beim Studienabschluss auch die entsprechenden fachlichen Kenntnisse haben.“ Abseits der Öffentlichkeit erzählen Lehrende aber sehr wohl von türkischen Studenten, die selbst bei der Abschlussprüfung eines Masterkurses so gut wie kein Deutsch sprechen: „Da frag ich mich schon, wie konnte dieser Student überhaupt so weit durchs Studium kommen?“, so Nora.

Auf der Uni ist das alles kein Geheimnis. Es wird gemunkelt, dass viele Studenten mit sprachlichen Problemen auf Ghostwriter zurückgreifen, Personen, die gegen ein Honorar wissenschaftliche Arbeiten anbieten. Das nehmen aber bekanntermaßen auch viele österreichische Studenten in Anspruch und ist kein rein türkisches Phänomen. Trotzdem: Bei Examen kam es vor, dass bei vierzig türkischen Studenten vierzig Mal exakt dieselbe Antwort am Prüfungsbogen stand. Auf die Frage ob es eine Benachteiligung der nicht-türkischen Studenten gebe, äußert sich Köpl: „Nein, darauf achten wir auch. Daher können auch alle Studierenden prinzipiell Kurse an Summer- oder Winterschools besuchen und später um Anerkennung der dort absolvierten Kurse ansuchen.

Der Haussegen auf der PoWi hängt trotzdem schief. Die türkischen Studenten fühlen sich fälschlicherweise unter Generalverdacht gestellt, die anderen verstehen nicht, wie man in Österreich ein Studium ohne gute Deutschkenntnisse absolvieren kann. Orhan sieht die Sache gelassener. Er würde jederzeit wieder die Sommerschule in der Türkei besuchen. Der 24-jährige PoWi-Student findet die Aufregung der Mitstudenten überzogen, denn: „Bildung ist Bildung. Egal in welcher Sprache.“

TÜRKISCHE STUDENTEN IN ZAHLEN:
Im Wintersemester 2013/2014 studierten
4114 Türken an öffentlichen Universitäten.

Politikwissenschaften                           466
Informatik                                            457
Architektur                                           382
BWL                                                      163
Rechtswissenschaften                           125
(Quelle: Statistik Austria)

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