Balkan liebt Bosporus

10. April 2018

Warum verlieben sich Menschen vom Balkan besonders häufig in jene aus der Türkei? Wir haben versucht das streng gehütete, 450 Jahre alte Liebesgeheimnis der Balkan-Bosporus- Leidenschaft zu entschlüsseln. Über Sultan, Sarma und Schwiegermütter. 

Von Amar Rajković (Text), Marko Meštrović (Fotos) 

.
.

Sie ist introvertiert, er hört nicht auf zu quatschen. Trotz offensichtlicher Unterschiede sind Lejla und Özgür seit über vier Jahren ein Paar. Kennengelernt haben sich der gebürtige Vorarlberger und Lejla in ihrer Heimatstadt Sarajevo. Özi hat dort einen Kumpel von der Uni besucht. Aus einer Bekanntschaft auf der Mucha-Lucha-Party machte es schnell Halli-Galli in den Herzen der beiden. Ob Amor bewusst Pfeile in Richtung bosnisch-türkischer Singles schießt, wollen wir von Lejla wissen: „Wir Bosnierinnen sind in der Regel etwas liberaler und weniger traditionell, vielleicht macht uns gerade das für Türken attraktiv“, so die 29-jährige Sprachwissenschaftlerin. Ihr türkischer Romeo ist kaum zu stoppen, wenn wir ihn auf seine Frau und ihre kulturellen Eigenheiten ansprechen: „Die Liebesformel liegt im Nähe-Ferne-Paradoxon“, urteilt Professor Özgür. Wie war das nochmal? „Leute vom Balkan und aus der Türkei finden sich deswegen anziehend, weil sie einander exotisch sind - aber in Sachen Familie, Essen und Temperament ähnlich ticken“, so Özgür. Verheiratet sind die beiden Turteltäubchen noch nicht. Als
 es darum geht, die Gästeliste der möglichen Trauung durchzugehen, bestätigt sich der Verdacht des Autors, die Partner aus der Türkei würden den osmanischen Eroberungsgeist auch auf das Gebiet der Hochzeitsgästeliste ausweiten. „Bei 100 Gästen wären mindestens 70 aus meiner Familie“, gibt sich Özgür großzügig. Dann fragt er Lejla: „Kennst du überhaupt 30 Leute?“, als würde er hoffen, das eigene Kontingent zu erweitern. Die introvertierte Lejla zeigt das erste Mal Temperament und erinnert Özi an ihre Familie in Bosnien und der Schweiz. Wir verlassen unauffällig die Wohnung. Zur Beruhigung: Die beiden sind noch ein Paar. 

.
.

Als wir Haris und Gülbahar das erste Mal kontaktieren, sitzen die beiden im Auto auf dem Rückweg von der eigenen „kleinen“ Hochzeitsfeier aus Vorarlberg, wie Gülbahar betont. „Klein“ bedeutet 750 Gäste, da muss der Bräutigam doch ordentlich ins Schwitzen gekommen sein, oder? Haris sieht die Sache ganz locker: „Die Leute gingen ein und aus, die Organisation war perfekt und selbst ihre Oma, die kaum Deutsch spricht, hat mir gratuliert. 
Es war zwar „Gute Besserung“, statt „Alles Gute“, aber ich habe sie schon verstanden“, scherzt der glückliche Ehemann. Der Architekt aus Sarajevo, der seit zwölf Jahren in Wien lebt, lernte seine Frühlingsrose (dt.: für Gülbahar) romantisch in einem verrauchten Partykeller kennen. Die beiden wohnten im selben Studentenheim und Haris‘ Bemühungen um Gülbahar bedeuteten kurze Nächte für den Architekten: „Ich hatte damals schon einen Job und musste früh aufstehen. Gülbahar und ihre Freundinnen waren trinkfest und ohne Job.“ Haris wollte zeigen, dass er mithalten kann und musste dafür mit brummendem Schädel am nächsten Tag im Büro kämpfen. Um seinen Job zu behalten, übernahm er die Initiative und nahm sie nach einem Kinobesuch an der Hand. Gülbahars Augen fangen bei diesem Teil der Erzählung zu leuchten an. Der bosnische Bär hat sie mit seinem unwiderstehlichen Schmäh erobert. Und er scheint auch in Sachen Kulinarik seine Hausaufgaben erledigt zu haben: „Ohne Vegeta wird bei uns nichts gekocht und der türkische Börek kann niemals mit einem Balkan-Burek mithalten“, beichtet Gülbahar. Gibt es irgendetwas, was die Türken besser können, Haris? Die Frühstückskultur bei
 den Türken ist deutlich ausgeprägter als bei uns. Meine Mutter hat mir zum Frühstück immer nur eine Semmel mit Poli (Hähnchen- Extrawurst) in die Hand gedrückt und mich rausgeschickt“, so Haris. Balkan-Bosporus-Harmonie, ganz im Sinne des Sultans. Der frisch verheiratete Bräutigam setzt noch einen drauf: „Meine Frau ist Türkin und mein Trauzeuge Österreicher. Die Eroberer haben mich wieder erobert“, scherzt der gebürtige Sarajevoer in Anspielung an die Geschichte Bosniens und die zwei größten Besatzungsmächte der letzten 500 Jahre. Bevor wir gehen, will er uns etwas auf den Weg geben: „Wir feuern Željo und Fenerbahçe an.“ Ähm, ok, danke für die Info, Haris. 

.
.

 

Dilek und Elvin sind kein prototypisches Balkan-Bosporus-Paar. Im Urlaub kennengelernt, im Wiener Club „Celeste“ Hochzeit gefeiert, keine Gäste zur standesamtlichen Hochzeit eingeladen, als Patchwork-Familie lebend. Mehr alternativ geht nicht.
Die beiden Pädagogen lernten sich im Partyurlaub in Kroatien kennen und lieben. Elvin erinnert sich: „Ihre Aura und Ausstrahlung füllte den ganzen Dancefloor. Wir wissen, es klingt kitschig, aber es war Liebe auf den ersten Blick!“ Mooaah, die Funken scheinen just in diesem Moment durch die schicke Altbauwohnung zu sprühen, bevor sie jäh vom kleinen Wirbelwind Enna abgefangen werden, die Papas Schreibtisch elegant leerräumt. Normaler Alltag bei den Strojils. 

Welche Überzeugungskünste haben wohl Elvin und Dilek angewendet, um ihren Eltern zu verklickern, dass sie keine Gäste bei der Trauung haben wollen? „Für meine Mutter war es nicht so schlimm, als sie erfahren hat, dass auch Elvins Mutter nicht eingeladen war“, scherzt Dilek. Die Hochzeitsparty im „Celeste“ war eine explizite „Tanz- und nicht Quatschparty“, so die Hobby-Dancing-Queen. „Viele meiner konservativen Verwandten kamen nicht oder gingen schon sehr früh nach Hause.“ Die Strojils lassen sich nicht ins Traditionskorsett pressen. Elvin glaubt, das hat auch mit der Reife der Partner zu tun: „In unserem Alter lässt man sich nicht mehr von der Familie unter Druck setzen. Oder man kann es besser ausblenden“, so der begeisterte Literaturfan, der in Priboj, Serbien, geboren wurde. Kulinarisch sprechen die Strojils eine internationale Sprache. Die türkische Küche ist leicht dominant, jedoch immer mit einem italienischen Twist. Genauso wie der Kaffee, den wir bei unserem Besuch serviert bekommen. Der kommt nicht aus einer Džezva, sondern vom italienischen Espressokocher „Bialetti“, genauso ertönt durch die Boxen der Radiosender Superfly anstatt Dino Merlin Balladen oder Hadises Tanzhits. Ganz normaler Alltag bei den Strojils. 

 

.
.

 

Infobox:

Was geht, Ortak? 

Laut Sprachwissenschaftlern kennt das B/K/S (Bosnisch/Kroatisch/ Serbisch) rund 8000 Turzismen
– Begri e des alltäglichen Sprach- gebrauchs, die aus dem Türkischen stammen. Ausdrücke wie „jastuk“ (Polster), „podrum“ (Keller), džezva (Ka eekanne) „komšija“ (Nachbar), „majmun“ (A e) , „čekić“ (Hammer) oder „kašika“. Vor allem in Serbien wird oft die Bezeichnung „Ortak“ einem guten Freund gegenüber verwendet, in Kroatien fährt man in den letzten „kat“ (Stock), um die beste Aussicht zu genießen. 

Burek oder Börek? 

Die meisten am Balkan verwendeten Turzismen haben die gleiche Bedeutung wie ihre Vorfahren aus der Türkei. Achtung: Vor allem auf dem Teller kann es leicht zu Missverständnissen kommen: Die türkische Pide kann man mit einer Pizza vergleichen. Erinnert euch an die gefüllten Schiffchen, die euch im türkischen Restaurant anlachen. Am Balkan ist „Pita“ hingegen der Sammelbegriff für alle Blätterteigspeisen mit verschiedenen Füllungen. Dort steckt die Füllung auch gleich im Namen drinnen wie bei „Krompiruša“ (mit Erdäpfeln), „Sirnica“ (Käse) oder „Zeljanica“ (Spinat). Bei Burek ist Vorsicht geboten! In der Türkei ist Börek der Begriff für alle Variationen des gefüllten Blätterteigs, am Balkan steht er explizit für die Fleisch-Pita. Wenn du bei einem türkischen Freund oder einem Kirmesfest im Park Sarma zum Kosten bekommst, wird dir au allen, dass das gefüllte Weinblätter sind. Wenn ihr am Balkan unterwegs seid, werdet ihr bei einer Sarma-Bestellung beim Anblick der üppigen Krautrouladen mit der Zunge schnalzen. 

30 oder 3000 Gäste? 

Das Hochzeitsthema wird für viele Balkan-Türkei-Liebespaare zur ersten richtigen Zerreißprobe. Und das lange, bevor sie sich gegenseitig die ewige Treue schwören. Der Autor dieses Artikels besuchte eine Hochzeit in seinem Leben – bevor er mit seiner türkischen Partnerin zusammenkam. Es blieb bei einer Hochzeit, allerdings im Wochenrhythmus. Einmal heiratete die türkische Halbschwester der ehemaligen Nachbarin, ein anderes Mal traute sich der ehemalige Arbeitskollege des Bruders mit seiner Jugendliebe. Und dann knallten wiederrum die Korken besonders laut – auf der Verlobungsfeier, die von drei anderen Feiern gefolgt wird, bevor richtig geheiratet wird. 

Bereich: 

Das könnte dich auch interessieren

Foto: Zoe Opratko
Das Ende von biber ist auch das Ende...
Foto: Moritz Schell
Kein Geld, keine Redaktion, aber eine...
Screenshot: Stadt Wien
Die Stadt Wien und der Bezirk Neubau...

Anmelden & Mitreden

12 + 4 =
Bitte löse die Rechnung