BRUTAL, BRUTALER, PORNO

04. Juni 2021

Der letzte Schultag ist geschafft und die Ferien stehen vor der Tür. Um den gelungenen Tag zu zelebrieren, treffe ich mich mit meiner Clique in einem Café unseres Vertrauens. Ein Freund umklammert seinen Stuhl und rückt näher heran. „Wusstet ihr, dass er sich Pornos ansieht, in denen Frauen vergewaltigt werden?“ Damit ist ein Freund gemeint, der uns heute ausnahmsweise keine Gesellschaft leistet. Ich stehe den ganzen Abend lang unter Schock und versuche, den Abscheu, den ich verspüre, auch nicht zu verbergen. Im Laufe des Abends nennt er, in der Hoffnung mich zu besänftigen, weitere Freunde, die ebenfalls Fans dieser „Kategorie“ sind, also Lust empfinden, wenn Frauen wie Dreck behandelt werden. Ich erfahre außerdem, dass sie zierliche, kleine Frauen bevorzugen, da diese kaum in der Lage wären, die Schmerzen auszuhalten. Kurz gesagt, Frauen die aussehen wie ich. Innerlich verfluche ich ihn dafür, dass er mich mit dieser dunklen Seite bekannt gemacht hat, weil sie mich bloß darin bestärkt, Männern noch weniger zu trauen und mich zudem an unserer Freundschaft zweifeln lässt. Ich kann förmlich spüren, wie mein Herz und mein Kopf einen wirren Kampf ausfechten. Da ist einerseits mein Herz, das mir unsere schönsten gemeinsamen Freundschaftsmomente filmisch vorführt - als einziges Mädchen unter Jungen habe ich Sicherheit und Geborgenheit genossen. Die Angst, sexualisiert zu werden, war nie ein Bestandteil meiner Gedanken – bis jetzt.

Mein Kopf hingegen erinnert mich an die Warnungen meiner konservativen Großeltern und gibt mir die Schuld für meine „Naivität“. Werde ich jemals wieder in der Lage sein, die Nähe meiner männlichen Freunde wertzuschätzen, oder werde ich sie stets hinterfragen, weil sie mir zuwider sind? „Aber wenn man dich sieht, denkt man sich halt wirklich, dass du leichte Beute wärst. Du wiegst fast nichts und bist winzig klein“, erwidert er schulterzuckend. Fast schon, als wäre es meine eigene Schuld. Aber Hand aufs Herz: Hat man als weibliches Individuum überhaupt eine Chance, der Objektifizierung zu entfliehen? Ich verbringe den restlichen Abend damit, darüber nachzudenken, ob ich ignorieren kann, dass ich mich mit Menschen abgebe, die Vergewaltigung aktiv unterstützen und meine Seele damit verkaufe, oder aber für meine Prinzipien einzustehen und dafür wieder allein zu sein… Porno macht einsam.

Jelena Obradović ist 19 Jahre alt und besucht die HLW 10.

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