Das Jahr des Schafs

10. März 2015

Rote Lampions, 88 Buddhas und der Gott des Glücks - biber war dabei, als die chinesische Community das Jahr des Schafes einläutete.

Binu Starnegg

19. Februar, 21:10, Fo Guang Shan Tempel

Die große Buddhastatue, ganz in Elfenbein und Gold, lächelt auf mich herab wie die Mona Lisa. Er weiß wohl mehr als ich. Es ist mein erstes Mal bei einer buddhistischen Zeremonie; es ist schwer zu wissen, wann man sich verbeugt, das Nachsprechen der Sutra lasse ich lieber gleich aus. Dennoch blickt Buddha voll geheimnisvoller Milde auf Anhänger und Außenstehende. In den nächsten Tagen werden alle Register gezogen werden. Schließlich ist es Neujahr.

Chinesisches Neujahr ist eine Zeit der Besinnung auf das Alte und Freude auf das Neue; für Familientreffen, Ahnenverehrung und das Beschwören von Glück. Mit seinen charakteristischen Traditionen dient es der Diaspora oft als Identitätsgeber; eine Chance sich einmal im Jahr so richtig chinesisch zu fühlen.

Chinesisches Neujahr
Foto by Susanne Einzenberger

19. Februar, 21:00, Fo Guang Shan Tempel

Hier im 15. Bezirk beginnt das Neujahr bereits am Vorabend; es wird bis zum 1. März andauern. Die große Schreinhalle ist reichlich geschmückt mit roten Lampions und Kerzen; auch viele Besucher tragen die traditionelle Glücksfarbe. Um die große Buddhastatue liegen Obst und Klebreiskuchen.  Die ehrwürdige Chueh-Yann Shih, Vorsteherin des Tempels, beginnt das Sutra der 88 Buddhas zu rezitieren, während sie mit Glocken und Holzblock den Takt vorgibt. Eine steinalte Dame hilft mir immer wieder mit einem großen Lächeln, die richtige Stelle im Text aufzuschlagen. Ich habe nicht das Herz, ihr zu gestehen, dass es bei mir nicht am Willen sondern bereits bei den Schriftzeichen scheitert.

Das traditionelle chinesische Neujahrsfest dauert 15 Tage. Damit ist es am ehesten vergleichbar mit der europäischen Weihnachtszeit. In der Volksrepublik wird dadurch jedes Jahr der Nahverkehr lahmgelegt, wenn Hunderte Millionen gleichzeitig zum Familienfest in ihre Heimatorte fahren.

Chinesiches Neujahr
Foto by Susanne Einzenberger

19. Februar, 23:00, Fo Guang Shan Tempel

Über Livestream werden sämtliche Gemeinden in Europa mit dem Haupttempel in Paris verbunden; für einen Augenblick ist die Diaspora dank Technologie vereint. Am Höhepunkt präsentieren alle singend dem großen Buddha Räucherstäbchen. Die coolen Kids tauchen natürlich erst auf, als es fast vorbei ist; sie begnügen sich damit vor dem Eingang rumzulungern und Wunschplättchen auf dem roten Glücksbaum vor der Schreinhalle aufzuhängen. Ich geselle mich dazu; mein eigener Wunsch nach Wohlstand glitzert gold im roten Licht des Glücksbaums. Kurz vor Mitternacht werden alle wieder reingelockt: Zur Freude von Jung und Alt ist der Gott des Glücks aufgetaucht um Süßigkeiten zu verteilen. Ich nehme mein rotes Geschenkpaket mit einer Verbeugung an. Der Gott des Glücks lächelt mich augenzwinkernd unter seinem falschen Rauschebart an.

Chinesisches Neujahr
Foto by Susanne Einzenberger

Viele Legenden ranken sich um die Neujahrstraditionen. Einer besagt, dass vor langer Zeit ein Dorf zum Frühlingsanfang von einem Ungeheuer heimgesucht wurde bis schließlich ein Mönch das Monster mit Feuer und lauten Knallkörpern fortjagte. Seitdem weiß man, dass das Untier vor lauten Geräuschen und der Farbe rot (symbolisiert Feuer) Angst hat; davon kommen Brauchtümer wie rote Lampions, Feuerwerk und Knallkörper; auch der berühmte Löwen/Drachentanz soll an die alte Legende erinnern.

Chinesiches Neujahr
Foto by Susanne Einzenberger

20. Februar, 23:00, Volksgarten Säulenhalle

Bei der ASIANNIGHT New Year Clubbing geht es weniger spirituell zu. Die meisten sehen kein Bezug zu uralten Traditionen, lediglich ein guter Vorwand, um „unter sich“ so richtig abzufeiern: Hip Hop statt Dharma, Vodka-Red Bull statt Tee. Während einem Trinkspruch dreht sich ein schwer bedienter Gast zu mir und sagt etwas auf Mandarin. Ich proste einfach zurück und bestelle mir eine Portion Gyoza.

Chinesiches Neujahr
Foto by Susanne Einzenberger

Der traditionelle chinesischer Kalender richtet sich – im Gegensatz zum Westlichen – nach dem Mond statt der Sonne. Dadurch fällt das neue Jahr zwischen dem 21. Jänner und dem 20. Februar. Heuer wurde zum Jahr des Schafes gewechselt. Schafe gelten als sanftmütig, emotional, kreativ und konfliktscheu. Vom Jahr des Schafes kann man sich Kontinuität, Innovation und Frieden erwarten.

Chinesisches Neujahr
Foto by Susanne Einzenberger

22. Februar, 15:00, Hotel Imperial Riding School Renaissance

Die freudige Erwartung im Ballsaal kann man beinahe anfassen – heute ist ihr Tag. Viele tragen Nationaltracht; fast jeder trägt etwas Rotes. Jeder Programmpunkt wird mit großem Stolz und tosendem Beifall begleitet. Eine Darbietung kann allerdings niemand toppen: der taiwanesischer Kindergartenchor bringt mit einem Neujahrslied die gesamte Halle zum beben, dutzende gerührte Verwandte zücken ihre Handys zum Foto. Vom Jubel mitgerissen applaudiere ich noch lauter. Manches versteht man auch ohne Worte.

Chinesisches Neujahr
Foto by Susanne Einzenberger

Im Jahre 2010 lebten laut Statistik Austria 15.673 Chinesen in Österreich. Wenn man die zweite Generation hinzuzählt, Chinesen anderer Nationalität, Asylwerber und illegale Migranten, kam man schätzungsweise auf etwa 30 000.

Chinesiches Neujahr
Foto by Susanne Einzenberger
20. Februar, 10:00, Fo Guang Shan Tempel

Nach dem Sutra der „Niederwerfung vor den 1000 Buddhas“ nimmt sich die ehrwürdige Chueh-Yann Shih etwas Zeit, um ihre Gemeinde die wahre Bedeutung Neujahrs zu verinnerlichen: Nicht bloß, um den Älteren als Verbindung zur Heimat zu dienen sondern vor Allem um die Jungen einen Bezug zu ihren Wurzeln zu geben, bevor sie orientierungslos zwischen den Welten schweben.

Dem Integrationsfonds zufolge ist die zweite Generation der Chinesen zwar gut integriert, grenzt sich aber oft klar ab. Vielfach gelten sie in der „Heimat“ zwar als westlich, stehen in Österreich aber als „Chinesen“ da. Unter sich wird dafür häufig die Bezeichnung „Banane“ verwendet – außen gelb, innen weiß.
  

20. Februar, 0:15, Westbahnhof

Auf dem Heimweg vom Tempel entscheide ich mich spontan für eine Portion gebratene Nudeln – ein traditionelles Silvestergericht. Meine Geschenke vom Gott des Glücks bleiben dem chinesischen Koch nicht verborgen. Er grinst und entschuldigt sich dafür, dass seine Nudeln nicht lang genug sind (eine weiterer Brauch: lange Nudeln, langes Leben!), und ob er’s zum Ausgleich etwas schärfer machen soll.  Zumindest ein Geheimnis konnte ich dem großen Buddha entlocken: Traditionen verbinden.

Chinesisches Neujahr
Foto by Susanne Einzenberger

 

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