Der Türke, der „Mein Kampf“ liest

13. März 2015

 „Wenn ich einem Fremden Deutschland beschreiben müsste, dann würde ich ihm Österreich zeigen.“, scherzt der Kabarettist Serdar Somuncu über das Land der Berge. Der Deutsch-Türke bedauert jedoch die zunehmende Ausländerfeindlichkeit. Warum er mit Neonazis diskutiert und Hitlers „Mein Kampf“ liest, verrät Somuncu im biber-Interview.

Von Onur Kas, Dajana Marunic und Marko Mestrovic (Fotos)

Komiker Somuncu
Foto by Marko Mestrovic

biber: Ist es Ihr erster Besuch in Wien oder waren Sie mehrmals in der österreichischen Hauptstadt?
Somuncu: Ich war schon oft hier.

Was haben Sie für ein Eindruck von einer Stadt, die gerade zum sechsten Mal in Folge mit der weltweit höchsten Lebensqualität ausgezeichnet wurde?
Das kann ich gut nachvollziehen. Es gibt wenige Städte, die eine so rasante Entwicklung gemacht haben, wie Wien. Im Vergleich zu früher ist heute vieles aufpoliert und in einem sehr guten Zustand. Aber mir ist auch aufgefallen, dass sich Wien ein wenig mehr „Schickimicki-Image“ angeeignet hat. Früher war Wien abgefuckter und das hatte zugleich auch Charme. Der geht durch die zunehmende Modernisierung der Innenstadt allmählich verloren, was ich schade finde.

 



Wie nehmen Sie den Wiener bzw. den Österreicher war? Worin liegt der Unterschied zu einem Deutschen?
Ich finde, dass die Österreicher deutscher sind als die Deutschen. Wenn ich einem Fremden Deutschland beschreiben müsste, dann würde ich ihm Österreich zeigen. Das ist Deutschland wie aus dem Bilderbuch. Fiaker, Sachertrorte, Opernball, Trachtenfest und Berge. Und natürlich Ausländerfeindlichkeit. (lacht).
 

Dann bleiben wir beim Thema Ausländerfeindlichkeit: Im Gegensatz zu Deutschland räumt in Österreich eine rechte Partei ordentlich ab. In Umfragen kommt die FPÖ auf bis zu fast 30 Prozent. Sind Österreicher potenzielle Nazis?
Potenzielle Nazis sind wir alle, nicht nur die Österreicher. Aber ich glaube schon, dass ausländerfeindliche Parolen hier auf fruchtbareren Boden fallen. Die Slogans und die Forderungen mancher Parteien in diesem Land nehme ich als viel drastischer wahr als in Deutschland. Auch wenn die FPÖ nichts mit Nazis zu tun hat, orte ich sie ziemlich weit am rechten Rand. Viele meiner türkischen Zuschauer in Wien sagen mir, dass sie sich dadurch  sehr unwohl und unerwünscht fühlen. In Deutschland befinden wir uns dagegen in einer Phase, in der Türken sich auch als Deutsche identifizieren.
 

Sie sind dafür bekannt, dass Sie mit Neonazis diskutieren. Ist es überhaupt möglich als „Nicht-Arier“ und befürchten Sie nicht von den Medien als „Naziversteher“ bezeichnet zu werden?
Wenn ich jedes Mal solche Befürchtungen hätte und darüber nachdenken müsste, was andere Leute denken, würde ich wahnsinnig werden. Deswegen lass ich es ganz sein. Ich weiß was ich selber denke und mache. Mit Neonazis zu diskutieren ist unangenehm. Sie haben schließlich eine menschenverachtende Einstellung. Als ich mal versucht habe mit einem zu diskutieren, wollte er mir nicht die Hand geben, weil ich Türke sei. Solche Leute merken allerdings schnell, dass ich ihnen voraus bin, weil ich mich in ihren eigenen Ideologien besser auskenne. Das verunsichert sie. Wenn sie z.B. nie Hitlers „Mein Kampf“ gelesen haben und ich ihnen daraus rezitiere, dann bekomme ich von ihnen eine seltsame Form von Respekt, womit ich zugleich auch einen Zugang zu ihnen erhalte.

Komiker Somuncu
Foto by Marko Mestrovic

Damit sprechen Sie bereits den nächsten Punkt an. Was ist ihr Motiv, dass sie „Mein Kampf“ lesen und wie sind sie darauf gekommen?
Der ausschlaggebende Anlass war am Anfang der 1990er Jahren, als in Solingen, Mölln und Rostock Türken und Asylbewerber verbrannt und angegriffen wurden. Für mich war es zu wenig auf die Straße zu gehen und gegen rechte Gewalt zu demonstrieren.  Ich wollte eine andere Antwort geben und begann mich mit „Mein Kampf“ auseinanderzusetzen. Ich wollte verstehen, wie rechtsradikales Gedankengut entsteht, wie man die Entstehung davon vermeiden kann und wo sich die Anfälligkeit für solche Ideologien beim Durchschnittsmenschen versteckt. „Wehret den Anfängen“ war mein Motto. Mein Ansatz dabei war, dass ich eine neue Form von Geschichtsaufklärung betreiben wollte. Unbefangen und ohne Tabus. Junge Menschen, in Deutschland und in Österreich, waren gierig danach und interessierten sich für das Thema. Und wenn ich ihnen daraus vorlas, registrierten sie den ganzen Mist in diesem Buch. Das war vor allem ein guter Aufklärungseffekt.
 

Sie haben in mehreren ihrer Veranstaltungen eine kugelsichere Weste getragen. Auf welche Weise schützen Sie ihren Kopf?
Gar nicht. Das war ja bei Charlie Hebdo auch so. Du machst eine Arbeit, deine Arbeit löst einen Widerspruch aus und das Risiko musst du selber einschätzen. Mir machen aber weniger die Morddrohungen sorgen. Vielmehr sind es die Medien und Intellektuellen, über die ich mir Sorgen machen muss, von denen ich nicht selten absichtlich missverstanden, angefeindet und zensiert werde, weil ich als Türke Adolf Hitler zitiere. 

Komiker Somuncu
Foto by Marko Mestrovic


Im Juni werden Sie in Wien mit ihrem neuen Kabarettprogramm „H2 Universe - Die Machtergreifung“ auftreten. Können wir damit rechnen, dass Sie eines Tages den Anschluss Österreichs fordern?
Warum nicht? Spass beiseite: Es gibt einen immensen Aufklärungsbedarf in Österreich. Viel zu lange, fast ein halbes Jahrhundert lang, glaubte man von Nazi-Deutschland unter Zwang annektiert worden zu sein. Zeitgenössische Bilder zeigen jedoch Menschen, die mit Freude den „Führer“ empfangen. Man hat sich hier nur widerwillig mit der Vergangenheit auseinandergesetzt, dazu noch so spät, dass das Schuldbewusstsein gering ist und fast 30% der Österreicher in Umfragen ihre Stimme immer noch einer ausländerfeindlichen Partei geben.

 

Aber glauben Sie wirklich, dass ein Drittel der Bevölkerung mit der FPÖ sympathisiert, weil sie ausländerfeindlich ist, oder weil sie der Regierung einen Denkzettel verpassen will? Da fallen mir Stichworte wie das Hypo-Alpe-Adria-Debakel, die schleppende Steuerreform und die steigende Arbeitslosigkeit ein.
Natürlich spielen diese Faktoren auch eine Rolle. Aber die FPÖ hat vor allem als ausländerfeindliche Partei ein Alleinstellungsmerkmal. Darauf wird sie auch nicht verzichten. Pünktlich zu den Wahlen kommt das Thema wieder auf die Agenda dieser Partei. Das ist traurig. Denn es kränkt Menschen. Gerade die Vielfalt, die in Österreich immer größer wird, ist eine Bereicherung für dieses Land. Eine Einladung an Migranten sich der österreichischen Identität zugehörig zu fühlen, wäre geeigneter dieses Lagerdenken zwischen Einheimischen und Fremden zu beenden.

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