Der "zähe Mistkerl", der Kroatien mit Satire spaltet

10. November 2016

von Lilli Schuch

Während sich in Kroatien derzeit ein Rechtsruck ereignet und die Kirche unter dem Deckmantel einer geistlichen und strukturellen Erneuerung nicht nur gegen Homosexuelle und das Recht auf Abtreibung, sondern sogar gegen die Autonomie der Philosophischen Fakultät der Universität Zagreb vorgeht, die sie unbedingt in die Fakultät für Katholische Theologie integrieren will, amüsiert sich ein Teil der Kroaten trotz dieser alarmierenden Tatsachen prächtig. Und lacht lauthals. Das sind die Leserinnen und Leser des berühmtesten kroatischen Journalisten, Schriftstellers und Drehbuchautors Ante Tomić.

"WAS BRINGT GOTT DIE OLYMPISCHE BRONZEMEDAILLE IM HOCHSPRUNG?"

In Kroatien veröffentlichen die zwei unabhängigen Tageszeitungen „Jutarnji list“ und „Slobodna Dalmacija“ bereits seit Jahren Tomićs längere Kolumnen. Sobald eine dieser Zeitungen eine seiner satirischen Kolumnen im Internet veröffentlicht, erhält Tomić im Schnitt 1209 Likes und 171 Kommentare (Der Rekord von Tomić liegt bei 13.700 Likes). Als er sich etwa vor einigen Wochen in einer Kolumne laut die Frage stellte: „Was bringt Gott die olympische Bronzemedaille im Hochsprung? Wenn er könnte, würde er wohl die Goldmedaille nehmen“, löste er damit wie immer tosenden Beifall, aber auch heftige Kritik aus, denn er schrieb darüber, wie sich die berühmte kroatische Hochspringerin Blanka Vlašić über ihre sportlichen Erfolge freut, doch nervten ihn ihre Auslegung von Gottes Willen und ihre Gebete bei den Wettbewerben. Da das Verfassen von Postings in Kroatien nicht immer gerade von Niveau zeugt, wird Tomić in diesen ungebremsten Hassausbrüchen als Sozialistenschwein, dreckiger Jugonostalgiker oder auch als bester Freund Stalins bezeichnet.

DIE SPALTUNG DER KROATISCHEN BEVÖLKERUNG 

Und während die einen ihn hassen und oft sogar körperlich bedrohen, amüsieren sich die anderen über seine geistreichen Bemerkungen darüber, dass Gott kein Joker sei, den man in der bekannten Quizshow „Die Millionenshow“ anrufen kann, und schlagen ihn für den Pulitzer-Preis vor.

Auf die Frage, ob er diese Kommentare lese und sich bewusst sei, dass er Kroatien gespalten hat, entgegnet Tomić, dass es überhaupt nicht überraschend sei, dass die Kommentare so gespalten sind, da ja auch die kroatische Bevölkerung vollkommen polarisiert sei, was indes auch bei den letzten Wahlen festgestellt werden konnte, wo das Mitte-links-Bündnis 33,8% und die national-konservative HDZ 36,3% der Stimmen erhielt. Diese tiefe ideologische Spaltung spiegelt sich auch in der Wahrnehmung seiner satirischen Kolumnen wieder. Vereinzelt liest er Kommentare, sehr oft ärgert er sich auch darüber und manchmal fällt es ihm wirklich schwer, doch er ist, wie er selbst sagt, ein „zäher Mistkerl“ und letztendlich würde er auch nicht wollen, dass ihn jemand dieser Personen, die derartige Kommentare schreiben, liebt.

ERFOLGSGARANT AUS SPLIT

Als er vor einigen Jahren in einem Kaffeehaus in Zadar saß, schüttete ihm jemand vom Fenster oberhalb des Kaffeehauses einen Eimer Exkremente über den Kopf. In seinem Geburtsort Prolozac bei Imotski, etwa 90 Kilometer von Split entfernt, wurde während des Karnevals eine Puppe seines Aussehens angezündet und im Frühjahr verprügelten ihn zwei junge Männer mitten in Split, wo er lebt und arbeitet, auf offener Straße. Ich frage ihn, ob er sich nicht fürchtet, in diesem Land zu leben? „Ich fürchte mich nicht!“, antwortet Tomić knapp. „Ich weiß, dass ich ein vielgelesener Schriftsteller bin, ich weiß, dass ich ein sehr beliebter Journalist bin und eigentlich ist das alles Lob für meine Arbeit, auch wenn das etwas skurril wirken mag“. Doch Lob und Anerkennungen sind keine Grenzen gesetzt. Ende September erhielt er in Kroatien den Media Net Preis für den besten Print-Journalisten. Anfang September gewann der Film „Ustav Republike Hrvatske“ („Die Verfassung der Republik Kroatien“) von Rajko Grlić, nach dem Drehbuch von Tomić, beim glorreichen Montreal World Film Festival nicht nur den Grand Prix of the Americas, sondern auch den stolzen Geldpreis in Höhe von 100.000 US-Dollar. Alles, was Tomić geschrieben hat, war immer von Erfolg gekrönt.

ante tomic
Ante Tomic schreibt skandalös gut. (Foto: Petar Markovic)

MACHOS, MERCEDES UND GASTARBEITER

Die größte Bekanntheit erlangte er mit dem Roman „Što je muškarac bez brkova“ („Was ist ein Mann ohne Schnurrbart?“), der in neun Auflagen erschien und nach dem 2005 der gleichnamige Film gedreht wurde. Ausgerechnet mit dieser Komödie über die Liebesbeziehung einer jungen Witwe mit einem Priester wurde Tomić in der gesamten Region bekannt.

In dem Bestseller spielen stereotypische Charaktere aus dem dalmatinischen Hinterland, Mercedes-Fahrzeuge, Gastarbeiter, Witwen, Priester und machoide Generäle die Hauptrolle und es ist nicht verwunderlich, dass dieses geistreiche Spiel mit Stereotypen viel Zuspruch in der gesamten Region des ehemaligen Jugoslawien fand. Im Roman „Čudo u Poskokovoj Dragi“ (Das Wunder in Poskokova Draga) geht Tomić noch einen Schritt weiter: Er zerstört, wie er selbst sagt, die „verrückten Hinterwäldler, die mit Schrotflinten darauf warten, dass die Regierungsvertreter aus dem Tal kommen“. Die verrückten Hinterwäldler sind natürlich niemand anderer als seine Mitbürger aus dem Raum Imotski, mit denen er sich sehr verbunden fühlt, aber sie gleichzeitig auch sehr verabscheut.

„ÄRGERE MICH ÜBER MICH SELBST, WENN ICH NICHT WITZIG BIN“

Auf die Frage, warum sein witzigster Roman „Čudo u Poskokovoj Dragi“ im Dialekt verfasst ist, antwortet Tomić umgehend: „Aber wie soll ich auf Standardkroatisch schreiben? In der Standardsprache kann man keinen einzigen Witz erzählen! Ich liebe es aber, witzig zu sein. Mein Humor ist nicht böswillig. Die Menschen können sich in meinen Charakteren wiederfinden und lachen. Es ist ein großartiges Gefühl, witzig zu sein. Ich weiß aber, was für eine seltene Gabe das ist und wie schwer es ist, geistreich zu sein. Ich ärgere mich über mich selbst, wenn es mir nicht gelingt, witzig zu sein. Ich arbeite gerade an einem neuen abenteuerlichen, humoristischen, erotischen Roman über einen fiktiven kroatischen Schlagersänger, der natürlich sehr schlecht singt, und über eine verruchte, bösartige Frau, so wie ich sie liebe.“

Dass sich Tomić seine Inspiration nicht immer aus der ländlichen Umgebung und von seinen Archetypen holen muss und dass er nicht jedes Mal irrsinnig witzig sein muss, zeigt laut einigen Kritikern sein reifstes Prosawerk „Veličanstveni Poskokovi“ (Die majestätischen Hornottern), wessen Handlung er in die kroatische Hauptstadt Zagreb verlegt, um sich vor Ort mit Großunternehmern, Kriminellen, Mafiosos, korrupten Politikern und falschen Kirchendienern auseinanderzusetzen. In diesem Thriller literarisiert er Themen aus seinen Pressekolumnen und irgendwie hat das Thriller-Genre den Humor „verschluckt“.

"WENN ICH ETWAS LESEN MÖCHTE, MUSS ICH ES SELBST VERFASSEN."

Obwohl er sechs Romane, drei Kurzgeschichtenbände, vier Filmdrehbücher und ein Drama verfasst hat, seine Gedichte in ganzen elf Anthologien enthalten sind und fünf Sammlungen seiner Kolumnen veröffentlicht wurden, meint Tomić, dass er wirklich kein besonders wertvoller Schriftsteller sei. Umso weniger sei er ein wertvoller Leser. Tageszeitungen lese er nur, um ein Thema für eine seiner Kolumnen zu finden. Generell ist er enttäuscht über den Schreibstil in kroatischen Tageszeitungen. Scherzhaft meint er: „Wenn ich etwas lesen möchte, muss ich es selbst verfassen“. Deshalb hört er viel Musik. Von fremdsprachigen Printmedien liest er nur einige Musikzeitschriften und er kann immer ein dreißigseitiges Interview mit Bruce Springsteen lesen.

DIE LIEBE ZU MINDERHEITEN

In Österreich kennen viele Personen Tomić nicht wegen seiner Romane oder Kolumnen, sondern wegen seiner Filme, wie etwa „Karaula“, der nach dem Roman „Ništa nas ne smije iznenaditi“ („Nichts darf uns überraschen“) gedreht wurde. In den kroatischen Kinos ist gerade der am meisten erwartete Film des Jahres „Ustav Republike Hrvatske“ angelaufen, der nach seinem Drehbuch entstanden ist. In dieser „Liebesgeschichte über Hass“ beschreibt Tomić anhand der Geschichte eines pensionierten Professors, deklarierten Homosexuellen und Transvestiten die heftigen Vorurteile und den Hass gegen Andersartigkeit. „Ich setze mich immer mit Minderheiten auseinander, immer bin ich auf der Seite der diskriminierten Minderheit, denn wir alle sind auf die ein oder andere Art eine Minderheit“, betont Tomić. Ich bin auch eine Minderheit. Ich bin „katholischer Atheist“. Dieser Film ist keine Komödie, die man üblicherweise von Tomićs Drehbüchern erwarten würde - dies ist ein ausgesprochen politischer Film. Seine politische Note erhält der Film auch durch die Aufteilung der Rollen. Die Hauptrolle des wilden kroatischen Nationalisten spielt der serbische Schauspieler Nebojša Glogovac.

In den kroatischen Medien sind derzeit überall Berichte von der Premiere des Filmes zu finden. Allein in Zagreb sind mehr als tausend Neugierige zur Premiere gekommen - angeblich der größte Andrang zu einem kroatischen Film in den letzten zehn Jahren.

IDIOTISCHE SERBEN UND DOOFE KROATEN

In einem Interview mit der Zeitschrift „Vreme“ äußerte sich Tomić zur Situation zwischen Serben und Kroaten äußerst pessimistisch, aber dennoch auf seine Weise geistreich: „Ich denke, dass die Situation derzeit schlechter als in den 1990er-Jahren ist. Beispielsweise letzten Sommer (2015, Anm.), da war der zwanzigste Jahrestag der Operation Oluja ... da habe ich erkannt, dass es sich um eine Sache handelt, die man nicht schnell beseitigen kann. Ich war reichlich entmutigt und aussichtslos. Aber ich denke, dass wir hier immer nebeneinander leben und derartige Zustände wie jetzt haben werden. Ich habe geschrieben, dass den idiotischen Serben niemand näher ist als die doofen Kroaten und dass den doofen Kroaten niemand näher ist, als die idiotischen Serben. Der Patriarch hat daraufhin fast denselben Satz gesagt, nur ohne Idioten und Deppen“. Tomić ist jedenfalls nicht nur einer der meistgelesenen Schriftsteller in Kroatien, sondern auch in Serbien. Schlechte Schriftsteller haben diesen grauenhaften Konflikt zwischen Serben und Kroaten angefangen. Die Guten müssten ihn lösen. Geht es nur nach Tomić, ist alles picobello. Diesmal ohne Ironie.

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