Die Diätmänner

22. Oktober 2013

Am liebsten essen sie Brokkoli, Süßkartoffeln und Thunfisch. Sie wissen, wie viele Kilokalorien eine Scheibe Toastbrot besitzt und warum Ziegenmilch einfach besser ist. Junge Männer machen Gesundheit zum Trend und Körperkult zur Gemüsesache.

Von Delna Antia
 

„Hey, lange nicht gesehen. Frisch siehst du aus!“, begrüße ich den hübschen Barkeeper in meinem Stammcafé. „Danke“, antwortet er und strahlt. „Ich habe meine Ernährung umgestellt.“ Oh Gott, denke ich, noch so einer. Ja, Mädels – Emanzipation geht auch andersherum.

Was früher noch alleiniges Territorium der „Brigitte“ war, ist heute Basiswissen unseres Bruders, Kollegen und Barmanns. Ernährungsexpertise, Kalorienkonzepte und Rohkost sind neuerdings Männersache. Wo einst noch das Motto „Fleisch ist mein Gemüse“ galt und sich das Rezept-Repertoire auf Eierspeise in jeglichen Variationen komprimierte, wird heute Quinoa gekocht und Brokkoli geknabbert. Nicht Yoga-Anhänger oder Mittfünfziger mit Burnout-Nachwehen und Midlife-Crisis, sondern junge Typen zwischen 20 und 35 entdecken gerade leidenschalich ihr „Körperbewusstsein“. Sie essen „saisonal“ und „regional“, bestellen sich wöchentlich ihr Biokisterl und verehren die Süßkartoffel. Das allgemeine Mantra lautet „grünes Gemüse“ und „no Carb!“ (keine Kohlenhydrate).


 Frisch gepresst und provokant

In meinem Freundeskreis greift dieser Trend bereits an sämtlichen, wenn auch unerwarteten Ecken um sich und auch in der biber-Redaktion hält er Einzug. Während ich morgens meinen Caè Latte schlürfe, kippt mein Kollege demonstrativ (bzw. provokant) seinen halben Liter frisch gepressten Granatapfel-Orangensaft in sich hinein, wenn ich mittags Tandoori-Chicken bestelle, entscheidet er sich für die Ingwer-Karottensuppe. Seine Freundin nennt er Trash-Queen, nur weil sie noch den Genuss von Cheese Balls kennt. Ein anderer Kollege setzt sich eines Mittags zu mir, ich verputze gerade Kärntner Kasnudeln, und sagt mit ernsten Augen: „Delna, ich möchte meine Ernährung umstellen – aber ich weiß einfach nicht, wie das geht?!“ Ich verschlucke mich vor Staunen: Es gibt sogar Peer Pressure im Brokkoli-Klub.


Popeye als Vorbild

Das Beruhigende an diesem Trend: Selbst Männer  werden  von  Diäten  nicht  unbedingt  dünner. Im Gegenteil, Masse ist Klasse, solange das Gewicht auf der Waage durch den Sixpack und Bizeps bestimmt wird. Popeye wird zum Posterboy. Schon er wusste, dass Spinat Muckis macht. Wenn sich der eigene Freund also plötzlich für die  inneren  Werte  von  Karotten  und  Sellerie interessiert, musst du dich nicht sorgen, dass er bald zu knochig zum Anlehnen wird. Ganz und gar nicht, die „Diät-Männer“ – Diät ist hier bitte rein griechisch als „Lebensweise“ und nicht als  „Hungermaßnahme“  zu  verstehen  –  lieben Training. Sie rennen ins Fitnessstudio, als ob sie täglich aufs Cover der Men’s Health kommen. Sie heben, stemmen und pressen Gewichte, am besten täglich, ansonsten nur 5-6 Mal die Woche. Warum? Weil sie sich dadurch „gut“ fühlen – fit,
vital, energetisch.

Rollendiebstahl!

Ist doch wundervoll! Der moderne, junge Mann emanzipiert  sich  von  Schnitzel  und  Sofa  und interpretiert  seine  „Ernährer-Rolle“  neu:  Statt zu  jagen,  wird  gekocht.  Trotzdem,  mir  ist  die Sache nicht ganz geheuer. Einerseits lösen Un- terhaltungen  mit  den  Gesundheitsprachtkerlen bei mir das Bedürfnis aus, auf der Stelle in einen Cheeseburger  beißen  zu  müssen.  Ich  komme einfach nicht damit klar, ernsthaft mit Männern über das Dünsten von Gemüse zu diskutieren. Das ist doch Rollendiebstahl. Frauen hatten im- mer  schon  die  Rohkost-Expertise  für  sich  ge- pachtet.  Außerdem  haben  wir  gerade  unseren Kurvenkörper  lieben  gelernt  und  es  geschafft, vier Kugeln Eiscreme ohne schlechtes Gewissen zu verputzen. Wir überwanden das Diät-Diktat aller  Frauenzeitschriften und fanden, Essen soll wieder Spaß machen. Doch umsonst, nun brin- gen unsere Männer den Salat durch die Hintertür wieder hinein. Zudem, das gebe ich zu, verspüre ich Neid. Diese perfekte Disziplin und diese ge- ballte Umsetzungskraft, mit denen die Kerle ihre Ernährung verfolgen, das ist doch unnatürlich. Wo bitte bleibt der Jo-Jo-Effekt? Doch abgesehen von solch altmodischem Rol- lendenken,  bringt  das  grüne  Testosteron-Spek- takel natürlich nur Vorteile:  Erstens, die Typen werden fescher, weil frischer. Vitamine machen wirklich schön und Training wirklich stark. Zwei- tens,  nachhaltig betrachtet, hat man mehr vom Mann. Denn je gesünder er isst, umso länger lebt er. Drittens, die meisten Männer  sind  missiona- rische Esser, sprich: Früher oder später isst du, was er isst. Mit der Konsequenz: Auch du wirst länger frisch, fit und fesch sein. Es lebe der Brokkoli!

Diätmänner
Foto by Marko Mestrovic

Der Saisongesunde

Sani, 27, IT-Projektmanager, Größe: 1,77m, Gewicht: 79kg, Körperfett: 8%


Von März bis September hat Sani Saison, vielmehr sein Bauch. Der Perser trägt im Sommer ein perfektes Sixpack. Dafür achtet er in diesen Monaten besonders auf seine Ernährung. Seit zwei Jahren macht er die „Low-Carb- Diät“: Er reduziert  Nudeln,  Reis, Kartoffeln und Weißbrot. Stattdessen gibt es Müsli mit Banane, Thunfischsalat und natürlich ganz viele Karotten, Gurken und Salat. Auch Säfte lässt er weg, stattdessen nur stilles Wasser. Diese Diät gefällt Sani am besten. „Ich brauche nicht zu verzichten“, sagt er. Außerdem spürt er den Effekt: Die Antriebslosigkeit in der Früh sei weg, die Haut schöner, er sei fitter und schwitze weniger. „Der Körpergeruch geht zurück.“ Man soll es aber nicht übertreiben, weiß Sani. Vorletztes

Jahr wollte er für den Türkei-Urlaub sein Sixpack besonders verschö- nern, da schlug die Dät ins Gegenteil  um: Er war gestresst und schlecht gelaunt. Inzwischen hat sich der IT-Experte ganz gut eingependelt – und freut sich auch schon auf die Wintersaison  mit den weiteren Pullis. „Mein Lieblingsessen ist und bleibt Pasta“, lacht er. Was er sich wünscht? Mehr ernährungsbewusste  Restaurants. „Ich kann leider nicht gut kochen und esse als Single fast immer draußen.“

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Foto by Marko Mestrovic

Der Fastenkönig

Artur, 28, Student, Größe: 1,88m, Gewicht: 88kg, Körperfett: 6,5 %


Zum Frühstück macht sich Artur gern ein Omelette mit fettreduziertem Käse, Brokkoli und Spinat. Das ist um 16 Uhr. Da beginnt Arturs „Ess-Phase“ des Tages. Der in Polen geborene Karate-Trainer macht seit gut einem Jahr die sogenannte „Intermitten Fasting“-Diät. Das bedeutet, er fastet täglich 16 Stunden und verteilt danach alle Mahlzeiten auf 8 Stunden. Artur war selbst skeptisch, als er von dem Konzept hörte. „Die Umgewöhnung war am Angang schwer, vor allem auf das Frühstück zu verzichten. Früher bekam ich ja Panik, wenn ich nicht alle drei Stunden zum Essen kam.“ Das ist nämlich die gängige Regel aller Muskel-Aufbauer und Fitness-Junkies.  Jetzt fühlt sich Artur pudel-  wohl. Während die anderen nach dem Mittagessen müde werden, weil der Blutzucker sinkt, strotzt er vor Energie: „Ich bin kontinuierlich  produktiver und schlafe viel besser.“ Wenn er isst, dann gesund. Alles was grün ist, ist gut, lautet sein Motto. Seine Lieblinge sind Brokkoli, Selleriestangen und Süßkartoffeln – und natürlich Fisch. Den am besten täglich. Unter der Woche isst er „Low Carb“, am Wochenende, wenn Schwergewichte auf seinem Trainingsplan stehen, dürfen es aber mehr Kohlen- hydrate sein: braunes  Brot und Reis –  natürlich kein Zucker. Ab und zu schummelt Artur aber schon. An seinen „Cheat-Days“ gönnt er sich gerne eine Pizza. Mit der Konsequenz:  Am nächsten Tag wird 24h gefastet. Bei all der Disziplin, er ist kein Schoko-Feind! Ernährung war nur schon immer sein Ding. Seit seiner Kindheit isst er kein Fleisch. „Als Vegetarier in Polen war ich immer skurril.“

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Foto by Marko Mestrovic

Der Steinzeitmann

Didi, 30, Technischer Angestellter, Körpergröße: 1,83m, Gewicht: 79 kg, Körperfett: 14%

Zum Kochen benützt Didi immer andere Fette. „Zu viel Olivenöl ist toxisch!“ Besser soll man wechseln, zwischen nicht pasteurisierter Butter, Schmalz und Cocosfett. Didi macht seit sechs Monaten die sogenannte „Paleo-Diät“, die Steinzeit-Diät. Das heißt: Er isst nur Fleisch von Tieren, die mit Gras gefüttert wurden. Statt Getreide und Kartoffeln kommt Quinoa auf seinen Teller, dazu viel Gemüse, Nüsse und Samen. Aber Didi schummelt auch ein bisschen und hält sich nicht ganz an das strenge Diät-Konzept. „Ich erlaube mir auch Milchprodukte, zum Beispiel Käse, der älter als 10 Monate ist, Heu- und Ziegenmilch.“ Für den 30-Jährigen war es bei der Umstellung am schwersten, seinen Zuckerkonsum zu eliminieren. Vorher lag stets ein halbes Kilo Milka-Schokolade im Auto, Allzeit bereit für den täglichen Bedarf. Jetzt bestellt Didi sich wöchentlich sein „Bio-Kisterl“ im Internet. Das wichtigste für ihn sind hochwertige Produkte. Er geht etwa zu „denn’s Biomarkt“ und bestellt Bio-Rind beim Murauer. Seine Ernährung kostet ihn 100-150 Euro die Woche. Doch so aufwendig sie ist, es lohnt sich: „Die Leute verstehen nie, warum man das macht. „Mein Energielevel ist ganz anders, ich bin nie müde und die Verdauung funktioniert wie neu.“

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Foto by Marko Mestrovic


Der Missionar

Emanuel, 22, Barkeeper,  Größe: 1,87 m, Gewicht: 84 kg, Körperfett: weiß er nicht


Früher konnte Emanuel Sauerkraut und Karotten nicht leiden, heute genießt er jeden Tag seinen frisch gepressten Karottensaft bei der Arbeit. Der Barkeeper  hat vor fünf Monaten seine Ernährung umgestellt. Das Konzept: So gesund wie möglich. Fast Food und Fertiggerichte hat er komplett vom Speiseplan verbannt, Gemüse dafür hinzugefügt. Das soll am besten Bio sein, er achtet auf „regionale und saisonale Ernte“. Der 22-Jährige  ernährt sich so bewusst, um gesund zu sein und nicht krank zu werden. „Ich halte nicht viel von Pharma-Medizin“, meint er und spricht weise: „Lasst unsere Medizin unsere Nahrung sein und unsere Nahrung unsere Medizin.“  Zu seiner „Medizin“ gehören Fleisch (Rind und Pute), Fisch und Gemüse.  Er verzichtet weitgehend auf Brot, nur in der Früh soll es ein bisschen „dunkles  Brot gefüllt mit Bulgur“ sein. Als zweites Frühstück mag er Rührei – eine nette Portion aus 5 Eiern. Emanuel trainiert nämlich „CrossFit“. Daher brauche er fünf Mahlzeiten  am Tag, damit der Körper ständig Energie habe. Wenn das nicht reicht, „snackt“ Emanuel einfach eine Paprika zwischendurch.  Der Barkeeper wirkt euphorisch,  seine Freundin habe er schon missioniert. „Wenn ich aufstehe, bin ich nicht mehr so fertig. Ich fühle mich vitaler und stärker. Du bist, was du isst!“

 

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