Die Karren vom Kahlenberg

24. Februar 2022

Shisha,Auto,tuning

„Raser, Polizeieinsätze, illegal getunte Autos.“ Immer wieder bringt der Boulevard Schlagzeilen zu berühmt-berüchtigten Auto-Tuning-Treffen am Wiener Kahlenberg. Aber wer sind die Menschen hinter dem Lenkrad? Wie viel kosten ihre Autos? Warum sind diese Treffen gerade seit der Pandemie so beliebt? Ein Lokalaugenschein.

Von Aleksandra Tulej, Mitarbeit: Šemsa Salioski, Fotos: Zoe Opratko

Um kurz nach halb zehn füllt sich der Parkplatz schlagartig. Plötzlich versammeln sich immer mehr Menschen links und rechts vom Catwalk – also der Strecke, auf der die Autos vorfahren, eins nach dem anderen: Ob Mercedes CLS, 5-er BMW, VW Golf 3 Cabrio oder ein Audi A4 mit einem albanischen Adler auf der Kühlerhaube – hier sieht man alles quer durch die Bank. Was sie alle verbindet: Viel Rauch, viel Reifenquietschen, lauter Auspuff, Kickdown. Und wieder von vorn. Der Catwalk ist eindeutig das Highlight des Abends. Die Meute jubelt und applaudiert den vorbeifahrenden Protzern. Das Geschehen filmen sie mit ihren Handys, jeder will in die erste Reihe, von hier hat man den besten Blick.

„Pass auf, sonst kassierst du!“

Es ist ein Freitagabend im Februar am Kahlenberger Parkplatz. Es ist dunkel, es ist laut, es ist kalt und windig. Wie fast jedes Wochenende versammeln sich hier junge Mitglieder der Tuning-Szene aus Wien und Umgebung. Über Telegram-Gruppen und Instagram-Seiten vernetzen sich jene, die ihre Autos hier präsentieren wollen, und die, die einfach nur als Zuschauer:innen vor Ort sind. Immer wieder liest man in Tageszeitungen Schlagzeilen wie „Wiener Polizei sprengt Tuning-Treffen am Kahlenberg“ oder „Auto-Freaks randalieren am Kahlenberg“ oder „Polizei löst illegales Treffen der Tuning-Szene auf“. Mal seien es 200, mal 300 junge Erwachsene, die dort ihren Freitagabend verbringen. Obwohl es schon seit Jahren Roadrunner-Rennen bei der Triesterstraße oder am Gürtel gibt, hat sich seit der Corona-Pandemie vor allem der Kahlenberg als Hotspot der Tuner etabliert.

Foto: Zoe Opratko
Foto: Zoe Opratko

„Ihr seid fix Zivile, oder?“, fragt Ahmet uns misstrauisch, als wir auf ihn und seine Freunde zugehen. Sie lehnen rauchend an ihrem Auto und mustern uns von Kopf bis Fuß. Wir sind mit dem Taxi auf den Kahlenberg-Parkplatz gekommen, ein Anfängerfehler – das fällt natürlich auf. Als wir ihnen die Kamera zeigen und erklären, warum wir hier sind, werden sie lockerer. Sie zeigen uns ihr Auto, einen weißen Mazda, nicht getunt und unauffällig. „Normalerweise sind wir mit einem viel geileren Auto da, einem AMG. Aber der ist gerade bei meinem Cousin. So geil ist unseres heute nicht, wartet mal, bis die anderen da sind“, winkt Ahmets Freund ab. Die beiden stammen ursprünglich aus dem Iran und sind Anfang zwanzig. Wir wollen wissen, warum sie hier abhängen, wenn sie schon nicht mit ihrer Karre protzen? „Na, was sollen wir sonst machen? Wegen Corona hat ja fast alles zu, keine Clubs, nix. Hier ist zumindest immer was los“, zucken sie mit den Schultern. Plötzlich rast, wie aus dem nichts, ein orangener BMW an uns vorbei. „Pass auf, sonst kassierst du!“, schreit Ahmet lachend.

"Es geht einfach um den Sound und um die Aufmerksamkeit" Foto: Zoe Opratko
"Es geht einfach um den Sound und um die Aufmerksamkeit"Foto: Zoe Opratko

„Die sehen einen Schwarzkopf wie mich im Auto und suchen, bis sie was finden.“

Erik ist in seinem schwarz-roten Audi A3 gekommen. Er sitzt breitbeinig am Fahrersitz, die Autotür steht offen – das Türlicht projiziert das Audi-Logo auf den Asphalt. Der 21-jährige Armenier steigt aus und zeigt uns seinen Stolz: „Ich bin aber noch nicht fertig! Ich will die Scheiben noch schwarz machen, noch zwei Auspuffstangen dran machen. Schau, da!“ Für das Tuning hat er „um die 1200€ ausgegeben. Aber ich muss mein Auto nicht eintragen lassen. Das, was ich verändere, ist ja nicht illegal“, rechtfertigt er sich. Trotzdem hält ihn die Polizei immer wieder auf. „Die fragen immer, wie ich dieses Auto finanziert hab. Ist aber eh typisch, die sehen einen Schwarzkopf wie mich und suchen ewig, bis sie was finden“, sagt er schmunzelnd. Theoretisch muss man getunte Autos in Österreich eintragen lassen. Das kostet aber je nachdem, was man modifiziert. Nicht jeder will dafür bezahlen.

Warum Erik sein Auto getunt hat? „Es geht einfach um den Sound und um die Aufmerksamkeit“, sagt er und zupft an seinem Dreitagesbart. Erik kommt immer wieder zu den Tuning-Treffen, er ist verheiratet und hat seit Kurzem auch eine Tochter. „Was hab‘ ich da in einem Club verloren? Hier kann man einfach mit Freunden chillen“, erzählt er. Auch bei Minusgraden – man kann sich ja im Auto immer aufwärmen.

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Erik möchte noch Auspuffstangen und getönte Fensterscheiben in seinem Audi einbauen. ©Zoe Opratko

„Ein bisschen Driften-Riften, du weißt.“

Es scheint, als ginge es hier weniger um die Autos und mehr um den sozialen Aspekt: Freunde treffen, an der Luft chillen, hie und da abchecken, wer noch aller da ist. Aber wirklich weltbewegende Manöver, wie man sie aus „The Fast and the Furious“ kennt, lassen auf sich warten. Das erzählt der 25-jährige Niederösterreicher Johnny, der mit seinem Kumpel Max hier ist: „Es ist schon bissi Möchtegern hier. Ein paar Idioten gibt’s schon, die machen dann extra riskante Überholmanöver und so. Im Sommer ist es aber immer bummvoll!“ Johnny und Max haben früher ihre Freitagabende in Clubs verbracht, seit der Pandemie geht das nicht mehr so richtig. Deshalb hängen sie hier am Parkplatz ab. Richtig aufregend finden sie es aber nicht. „Oida, mach was mit dem Auto, so geil klingt das nicht!“, schreit Johnny plötzlich lachend einem Renault Megane nach, der an uns quietschend vorbeifährt.

In dieser Atmosphäre von Reifenquietschen, Rauch und Beleuchtung fallen uns die Lichter der anderen Art zuerst nicht auf. Doch dann wird klar: Die Polizei ist hier. Es ist ja nicht illegal, sich auf dem Parkplatz aufzuhalten. Es hatte bloß Anrainer:innen-Beschwerden wegen der Lautstärke gegeben, wie wir später am Abend von zwei Polizeibeamten vor Ort erfahren. Aber nicht nur deswegen sind sie hier, meint Enes: „Mayer, jetzt nehmen die fix wieder wem das Kennzeichen ab, weil er seinen Wagen nicht eingetragen hat und keiner darf raus. Wie immer!“, verdreht Enes, der gerade an seinem 3er BMW lehnt, die Augen. Enes selbst kann davon ein Lied singen. „Drei Monate hatte ich kein Kennzeichen. Aber egal, jetzt hab‘ ich‘s ja wieder“, erzählt er, während er sich seine Kapuze über den Kopf zieht.

Enes ist Automechaniker und tunt sein Auto selbst in seiner Werkstatt. „Ich hab‘ einfach paar mehr PS, 300!, auf dem Tacho, da kann man halt ein bisschen Driften-Riften, du weißt“, sagt er und zwinkert. „Das ist jetzt nicht so schlimm. Aber weißt eh, wie das ist mit der Polizei: Die sehen drei Kanaken im Auto und suchen, bis sie was haben, was ihnen nicht gefällt.“ Seine Freunde Serdo und Aslan stimmen ihm nickend zu. Auch sie sind Anfang zwanzig, genau der Altersschnitt hier. Die Clique kommt auf den Kahlenberg, um „einfach bissi zu chillen, und zu schauen, was so abgeht – wohin sollen wir sonst, wenn alles geschlossen hat?“, fragt Enes. Wenn es nach der Polizei geht, nicht hierher. Die Autos, die den Parkplatz verlassen wollen, werden kontrolliert. Die Meute scheint sich gegen 23:30 aufzulösen, es wird immer leerer. „Da kommt ihr jetzt fix bis zwei in der früh nicht mehr runter ohne Auto, ge, die lassen keinen raus“, lacht Luan, der gerade an seinem Audi A5 lehnt und Shisha raucht. „Oder seid ihr Zivile?“, fragt er uns im selben Atemzug und bläst den Rauch aus.

Viktoria ist stolz auf ihren Chevrolet Camaro Foto: Zoe Opratko
Viktoria ist stolz auf ihren Chevrolet Camaro Foto: Zoe Opratko

„Warum haben Sie kein Auto? Wegen diesem Umwelt-Abdruck?“

Nachdem wir ihm klar machen, wer wir sind, bietet er uns an, mit seinen Freunden Jovan und Hamoudi bei ihnen zu chillen, bis der Einsatz vorbei ist. „Welches Auto haben Sie eigentlich?“, fragt Luan uns. „Gar keins!“ - „Was?“, fragt er erstaunt. „Verdienen Sie als Journalisten so wenig? Oder ich weiß: Fix wegen diesem Umwelt-Abdruck, oder?“ Die Antwort, dass man unserer Meinung nach in Wien kein Auto braucht, nehmen sie nur stirnrunzelnd an. Mit dieser Ansicht sind wir hier alleine. Der Parkplatz scheint mittlerweile schon leer zu sein, als wir Viktoria treffen. Die 19-Jährige zeigt uns stolz ihren weiß-grün-schwarzen Chevrolet Camaro. „Das ist mein Winter-Auto, mein Baby.“ Viktoria fährt mit ihrer Hand über den Lack. „Aber das, was ich hier getunt hab, also der Body-Kit, ist eh eingetragen. Ich hab‘ keine Lust auf irgendwelche Anzeigen“, erklärt uns die blonde Wienerin.

Autotuning
Dem Besitzer dieses Autos ist es scheinbar wichtig, dass alle Verkehrsteilnehmer wissen, das er Albaner ist. ©Zoe Opratko

Mittlerweile ist es kurz nach Mitternacht: Die Polizei ist weg, Luan hatte uns umsonst gewarnt, dass wir hier nicht „wegkommen“ würden. Der Parkplatz ist wieder menschenleer. Von dem Gequietsche, Rauch, Gejubel und Trubel ist nichts mehr zu spüren. Was bei uns bleibt, ist der Eindruck, dass diese „illegalen Tuning-Treffen“ am Kahlenberg wenig mit spektakulären Szenen, die man aus Filmen kennt, oder mit Autorennen zu tun haben. Es sind einfach Jugendliche, die mit ihren Autos protzen, hier abhängen und sehen und gesehen werden wollen. Die Mini-Ausführung der Tuning- und Roadrunner-Szene eben. Eine Frage bleibt für uns aber offen – keiner unserer Gesprächspartner konnte oder wollte sie uns beantworten: Wie können sich junge Menschen Auto-Tuning leisten? „Die nehmen die Autos ihrer Eltern oder sparen halt. Oder kennen wen in der Werkstatt, der wen kennt“, erleuchtet uns unser Taxifahrer Burak, der uns vom Kahlenberg nachhause bringt. Es ist das erste Mal, dass er jemanden von einem Tuning-Treffen abholt. „Kein Wunder, dass die euch für Zivile gehalten haben!“, lacht er kopfschüttelnd. Für das nächste Mal wissen wir Bescheid: Ohne Protzer-Karre bist du dort oben ein Niemand.

 

 

Nachgefragt: Was sagt die Polizei?

Warum war die Polizei dort?

Es gab an jenem Abend ein erhöhtes Verkehrsaufkommen am Kahlenberg. Mehrere Polizeistreifen waren in weiterer Folge dort anwesend. Nachdem die Beamten mit einigen Personen gesprochen hatten, erklärten sich diese bereit, die Örtlichkeit zu verlassen. Es folgte ein Abstrom der Fahrzeuge.

Wie viele Anzeigen gab es?

Es liegt keine Statistik vor, da es sich um einen adhoc-Einsatz handelte. Ein PKW soll so genannte „Burn-outs“ gemacht haben, sodass sich eine Rauchwolke bildete. Im Anschluss musste das Folgetonhorn mehrmals betätig werden, bis der Lenker sein Fahrzeug anhielt. Er wurde wegen des Verursachens von ungebührlichem Lärm und wegen des Missachtens der Haltezeichen mittels Lautsprecher angezeigt.

Welche Strafen sind hier gängig?

Im Zuge einer polizeilichen Kontrolle gibt es grundsätzlich die Möglichkeit, die etwaigen Beanstandungen anzuzeigen. Die jeweilige Strafe wird dann im Zuge eines Verwaltungsstrafverfahrens festgelegt. Im Gesetz sind auch gegebenenfalls Zwangsmaßnahmen, wie etwa die Kennzeichenabnahme oder die Untersagung der Weiterfahrt, vorgesehen. Es gibt auch die Möglichkeit, die Landesfahrzeugprüfstelle anzufahren, um etwaige technische Veränderungen zu prüfen. 

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