Die Leiden des jungen Todor: "KLEIDER MACHEN KEINE LEUTE"

02. April 2010

Von Todor Ovtcharov.

Sofia wurde in den letzten Jahren von verschiedenen Modegeschäften überflutet. Die größte Einkaufsstrasse, Boulevard „Vitosha“, und die vielen neuen Einkaufszentren sind voll geräumt mit allerlei „Haute Couture“. Gucci, Armani, Lagerfeld oder wie
sie alle heißen, locken die Menschen vor die bunten und schön beleuchteten Schaufenster. Ich frage mich immer, wer da einkauft. Die Strassen und Gehsteige in Sofia sind so kaputt, dass man es, wenn es schneit oder regnet, ohne Gummistiefel kaum 100 Meter schafft, ohne total matschig zu werden. Kontraste wie dieser prägen übrigens viele Phänomene der post-sozialistischen Gesellschaft, oder wie man es in Bulgarien immer noch nennt – „der Übergangsgesellschaft“. Die teuersten Stadtviertel in Sofia, wo die Neureichen ihre Villen gebaut haben, besitzen keine Kanalisation. Das Stadtzentrum ist voll mit teuren Autos, die Strassen sind fürchterlich.

Tussis und der Matsch
Trotzdem schaffen es die Tussis in Sofia aber irgendwie, die modischen Events zu besuchen ohne im Matsch zu versinken. Sie haben anscheinend eine spezielle Eigenschaft entwickelt Pfützen zu umgehen, sich so schnell wie möglich zu ducken, wenn vorbeifahrende Autos sie mit Wasser bespritzen und die unangenehmen Gerüche des öffentlichen Verkehrs zu überwinden. Und das mit Stöckelschuhen! Ich frage mich immer wieder, wofür Stöckelschuhe nützlich sind. Der einzige Grund, der mir einfällt, ist, dass ihr spezifisches Geräusch einen Alarm auslösen soll: „Achtung Frau!“ Der typische Laut der Universität Sofia zum Beispiel ist das Klacken von Stöckeln in breiten Korridoren. Ich persönlich verstehe ja wenig von Mode und lasse mir die Kleidung von meiner Mutter kaufen. Einen Anzug habe ich nur einmal in meinem Leben angehabt. Bei meinem Maturaball. Neben patriotischen Reden vom Geografielehrer und sentimentalen Liedern über die Trennung der unzertrennlichen Klasse, gehört auch ein Wettbewerb dazu, wer das meiste Geld für den letzten Modeschrei ausgibt. Alle Maturanten in Bulgarien geben wahnsinnig viel Geld für Kleider, Make-up, Frisuren und teure Autos aus.

Maturaball des Grauens
Meine Wenigkeit versuchte hingegen billig wegzukommen und doch originell auszusehen. Ich mietete einen Smoking aus der Garderobe des Kinocenters in Sofia. Damit sah ich aus wie der berühmte Stepptänzer Fred Astaire. Ich wollte mir auch einen Zylinder zulegen, verzichtete aber zum Glück auf die Idee. Der Maturaball in Bulgarien hat nichts mit einem Ball zu tun. Es ist in Wirklichkeit eine Orgie. Wie alle meine Mitschüler übertrieb ich mit allen möglichen Betäubungsmitteln. Irgendwann riss die Hose meines Smokings hinten auf und der junge Fred Astaire verwandelte sich in eine Figur des Musicals „Hair“. Dazu verlor ich meine Geldbörse, natürlich inklusive Geld und Ausweisen. Am nächsten Morgen wartete ich mit zerrissener Hose, matschigen Schuhe und trübem Blick auf dem Bus nach Hause. Mein Versuch stylisch zu sein endete in einer Groteske. „Man empfängt die Leute nach ihren Kleidern und entlässt sie nach ihrem Verstand“, sagt sowohl ein deutsches, als auch ein bulgarisches Sprichwort. Ich versuche so wenig wie möglich Sauce-Flecken auf meinen Hosen zu haben. Seit kurzem achte ich auch darauf, immer zwei gleichfarbige Socken anzuziehen. Trotzdem lassen mich Meister Proper und seine Freunde in schicke Wiener Diskos niemals rein. Ich glaube, da interessiert sich aber sowieso keiner für meinen Verstand. Wir werden alle nackt geboren,
alles anderes ist egal.

Kommentare

 

biber-lesen fange ich von hinten an.
da ist nämlich immer das leiden des jungen todors.

ja ja. kleidung scheint in manchen ländern wichtiger zu sein, als gute straßen.
vielleicht tröstet man sich durchs aufputzen des eigenen körpers über die lage und über den boden auf dem man geht.

 

+++ ja Todors Leiden sind auch das erste was ich beim Biber lese - einfach spitze!!!

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