Die Stimme von oben

28. September 2010

 Wo und wie soll man wählen, wenn man, wie ich, in Wien lebt, einen kroatischen Pass hat und eigentlich Bosnierin ist? Am besten gar nicht, dachte ich immer. Dann habe ich aber durch einen Zufall doch die Lust am Wählen entdeckt.

 

Von Ivana Martinović und Lucia Bartl (Fotos)

 

Die österreichische Politik ging immer spurlos an mir vorbei. Wählen darf ich hier als Kroatin nicht. Und auch wenn ich könnte, wüsst’ ich nicht wen. Die grinsenden Gesichter und Sprücheklopfer auf den Plakaten, die mich so richtig viel versprechend anschauen etwa? Ich habe das alles immer fad gefunden und das Wählen lieber den Leuten überlassen, die sich damit gern auseinandersetzen. Und dann ist mir doch eine Wählerstimme in den Schoß gefallen und zwar eine bosnische, obwohl ich einen kroatischen Pass habe und in Österreich lebe. Aber der Reihe nach.

 

Die Oma ist schuld

An jenem Abend hätte ich fast den Bus nach Bosnien verpasst und schaute auch nicht auf die Gültigkeit meines Passes. Er ist kroatisch. Warum ich als Bosnierin einen kroatischen Pass habe? Nach dem Zerfall Jugoslawiens wehte meine Oma mit der kroatischen Fahne und sagte mir, was ich eigentlich bin. „Mi smo hrvati (Wir sind Kroaten)!“ Plötzlich war ich bosnische Kroatin, weil ich katholisch bin. Mein alter Jugo-Pass wurde weggeschmissen und ich bekam mit Stolz meine neue Nationalität, die durch meinen neuen blauen Pass mit Schachbrett belegt wurde. Und so fuhr ich jedes Jahr als „Kroatin“ in meine „bosnische“ Heimat. So auch an diesem Abend, als mir der Grenzbeamte an der bosnischen Grenze sagte, dass ich mit einem ungültigen Dokument einreise. Er ließ mich ins Land, aber für die Ausreise müsste ich einen neuen Pass in Bosnien beantragen, sagte er.

 

Der Turbo-Antrag

Der Zirkus mit dem Antrag begann gleich am nächsten Tag. Für Kroaten gibt es natürlich kroatische Konsulate in Bosnien. Zuerst brauchte ich eine bosnische Geburtsurkunde, damit ich einen bosnischen Personalausweis bekomme. Die Urkunde bekam ich in einem Büro in meiner Geburtsstadt Brčko. Das Büro sah von außen wie ein Schuppen aus. Es war mit Einschusslöchern durchbohrt. Mit dem bosnischen Personalausweis, der als Nachweis meiner bosnisch-kroatischen Herkunft diente, konnte ich nun den Pass beantragen. Wegen der Hetzerei von einem Amt zum nächsten sah ich am Passfoto dementsprechend beschissen aus. Dafür hatte ich jetzt nicht nur ein bosnisches Dokument, sondern auch eine Stimme in Bosnien. Dem abgelaufenen Reisepass sei Dank. Und dem bosnischen Personalausweis, der mich wahlberechtigt macht.

 

Die Wahlen in Bosnien

Am 3. Oktober 2010 finden in Bosnien kantonale Wahlen, Parlamentswahlen, Präsidentschaftswahlen in der Republika Srpska und in der Föderation Bosnien-Herzegowina statt. Ich habe die Komplexität des Vielvölkerstaates gebüffelt, um mich zumindest etwas auszukennen und nicht blind zu wählen. Die Homepage www.razglasaj.ba war dabei ziemlich hilfreich. Ganze 32 Parteien stehen zur Wahl. Oft ist aber die Volkszugehörigkeit wichtiger als die politischen Grundsätze. Von Korruption ist auch die Rede. Viele erzählten mir, dass Parteien die Wählerstimmen kaufen und dafür das Blaue vom Himmel versprechen.

 

Meine Wahlmüdigkeit habe ich jetzt abgelegt. Jede Stimme zählt, um das Land in eine bessere Zukunft zu bringen. Also Leute, wählen gehen! Mit dem bosnischen Personalausweis bist du in deiner Heimatstadt als Wähler registriert. Nutze dein Wahlrecht. Ich tue es ab jetzt auch. Aber bitte keine Radikalen wählen. Die sind nur goschert und hetzen gegen eure Landsleute mit einer anderen Religion.

 

 

Die skurrulisten Parteinamen:

 

  • Bosanskohercegovačka patriotska stranka – Sefer Halilović
    ( bosnisch-herzegowinische patriotische Partei – Sefer Halilović)

 

  • Srpska radikalna stranka Republike Srpske
    (serbische radikale Partei der Republika Srpska)

 

  • BOSS – Mirnes Ajanović

 

  • Partija pravog puta
    (Partei des richtigen Weges)

 

  • Demokratska stranka invalida

(demokratische Partei der Invaliden)

 

mehr Infos auf www.razglasaj.ba

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Kommentare

 

als ösi kann man sich das gar nicht vorstellen was da wirklich abgegangen ist...

hast recht ivana!

lg
da fred

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