Gegen die Wand

05. September 2012

Schulabbrecher: Politiker bezeichnen sie gerne als „sozialen Sprengstoff“. Doch dahinter stecken leise Leben voll Hoffnung, Resignation, und Wut. Drei Schulabbrecher erzählen ihre Geschichte.

Schulabbrecher machen Politiker nervös. Steigt ihre Zahl, ist gleich von einer „Gefahr für die Gesellschaft“ die Rede. Jeder zwölfte Jugendliche verlässt die Schule, zwei Drittel davon haben Migrationshintergrund. Kaum jemand kennt die Menschen hinter der Statistik. Schulabbrecher sprechen nicht gerne über sich. Und wenn sie doch einwilligen, überlegen sie es sich ganz schnell wieder, rufen nicht mehr zurück und gehen auf Tauchstation. Besonders in den Communities schämen sich viele Jugendliche für ihren Misserfolg. Niemand will ein Loser sein. Nur wenige erzählen, wie sie die Schule geschmissen haben, weil ihre Eltern depressiv oder gewalttätig waren, wie sie wegen ihrer fremden Muttersprache nicht benotet wurden, wie sie lieber auf der Parkbank, als auf der Schulbank abhingen. Für biber haben drei Jugendliche ihre Wut und ihre Scham überwunden und gewähren einen Blick in das Seelenleben eines Schulabbrechers.

                                                                                          

Jasmin B., 21

„Ich bin seit 2005 in Österreich. Ich war damals 14 Jahre alt und musste in die Schule. Die Lust am Lernen wurde mir aber gleich am Anfang geraubt, als sie mir erklärten, sie würden mich gar nicht benoten. Ich sei nur da, um Deutsch zu lernen. In meiner Heimat Mazedonien habe ich gerne Geschichte, Geographie und Biologie gelernt, aber hier war ich dann nicht mehr so motiviert. Deutsch habe ich auch nicht wirklich gelernt, da die meisten Schulkollegen Migranten aus Ex-Jugoslawien oder der Türkei waren. In den Schulferien habe ich immer wieder am Bau gehackelt, um etwas zu verdienen. Dass ich nicht benotet wurde, hat mich gekränkt, also habe ich das Poly abgebrochen. Hätte ich weitergemacht, hätte ich trotzdem keinen echten Abschluss bekommen. Ich war damals 16 Jahre alt. Danach habe ich gesponserte Deutschkurse besucht. Einen Jahr lang saß ich in den vollen Klassen bis ich die B1-Stufe erreichte. Acht Monate lang besuchte ich die Schule in der Myrthengasse in Neubau und hatte dann meinen Hauptschulabschluss. Ich hatte weder Lust mit der Ausbildung weiterzumachen, noch wollte ich arbeiten gehen. Vom AMS habe ich dann auch nichts mehr bezogen. Irgendwann fing ich an beim Merkur zu arbeiten. Das hielt aber nicht lange. Danach fing ich bei einer Firma als Installateur an und mache diese Arbeit noch immer.

Jetzt bereue ich meine Entscheidung, mit dem Jobben anzufangen. Es wäre besser gewesen, mich weiterzubilden. So könnte ich dann einen Job finden, bei dem ich nicht Schwerarbeit bei jeder denkbaren Wetterlage verrichten muss. Meine Eltern versuchen mich immer noch davon zu überzeugen, mit einer Ausbildung anzufangen, aber ich weiß nicht so recht. Ich bin 21 Jahre alt und möchte nicht weiterhin von den Eltern finanziell abhängig sein. Ich möchte aber auch nicht ewig am Bau hackeln. Ich bin in einer Zwickmühle. Am liebsten würde ich Geographie oder Geschichte an der Uni Wien inskribieren. Ich würde gerne Feldforschungen durchführen. Oder die Sterne erkunden. Aber ich glaube, es ist zu spät dafür.“

 

Adrian A., 25

„Als ich 16 Jahre alt war, erkrankte meine Mutter an Hepatitis C und verfiel in Depressionen, die mehr oder weniger an mir ausgelassen wurden. Nach einiger Zeit wurde mir das zu viel und ich zog aus. Mein Vater hat uns verlassen, als ich noch ein Säugling war, also war mit seiner Unterstützung nicht zu rechnen. Zu der Zeit besuchte ich das Gymnasium in der Rahlgasse. Meine Lebensumstände wurden mir alsbald zu viel und ich fiel in der achten Klasse durch. Ich versuchte zu wiederholen, aber die Lehrer, bei denen ich durchgefallen bin, also gerade die, die Unterstützung oder zumindest Verständnis zeigen sollten, empfanden mich als Last. Ich brach dann die Schule ab und fasste den Entschluss, meinen Grundwehrdienst zu machen. Meine Mutter, zu der ich zu dem Zeitpunkt kein gutes Verhältnis hatte, versuchte mich davon abzuhalten, aber das war mir recht egal, schließlich war das meine Entscheidung. Die Krankheit meiner Mutter, das Alleinwohnen und die Schulprobleme haben eine Bombe gebildet, die in meinem Kopf zerplatzt ist. Nachdem ich meine Dienstzeit abgeleistet hatte, versuchte das Bundesheer mich zu einem Auslandseinsatz im Kosovo zu überreden, aber ich wollte auf jeden Fall meiner Bildung den Vorrang geben. Ich beschloss die achte zu wiederholen. Mit 21 noch auf einer öffentlichen Schule zu sitzen war auch eine Erfahrung. Die Schule war sehr einfach, dennoch hat mein Fehlen in der Schule ab und zu für Probleme gesorgt. Im Endeffekt kann man wohl sagen, dass man irgendwann anfangen muss, sich selbst um seine Sachen zu kümmern – auch wenn dir das niemand beibringt. Das Ganze war mir definitiv eine Lehre.“

 

Laila W., 25

„Für mich war schon im Gymnasium klar, dass ich keinen Bock auf Schule habe. Ich habe da einfach nicht reingepasst und die Lehrer waren überfordert mit mir. Ich wollte ja nicht Anwältin werden oder so. Ich bin in der zweiten und in der vierten Klasse durchgefallen und hatte sehr schlechte Noten. So richtig beschließen, mit der Schule aufzuhören, durfte ich ja nicht, weil ich Eltern hatte. Aber mit 16 Jahren wollte mich keine einzige Schule mehr aufnehmen. Ich bin dann in so ein ‚berufsbildendes Maßnahmenprogramm‘ gekommen und habe ein Jahr lang Lockenwickler auf Plastikköpfe gedreht. Dort bin ich rausgeflogen, weil ich einer Lehrerin einen Blumentopf vor die Füße geworfen habe. Meine Mutter ist mir dauernd in den Ohren gelegen, aber ich habe mich viel lieber herumgetrieben. Ich habe immer gemacht, was ich wollte. Ich hatte eine super Schulzeit! Obwohl ich nie in der Schule war. Ich bereue gar nichts: Ich habe mich mit 15 in Parks herumgetrieben, habe geraucht, tolle Leute kennengelernt und echt viel Spaß gehabt. Die anderen hatten sicher nicht so eine tolle Zeit wie ich, die sind in der Schule gesessen. Nur zu Hause war es stressig, aber da war ich ja fast nie. Dieses Jahr habe ich dann doch mein Abi nachgeholt und fange im Oktober ein Studium an. Jetzt kann ich mir das ja selbst aussuchen und werde zu nichts gezwungen.“

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Schulfeind Migrationshintergrund

In Österreich haben 8,3 Prozent der Jugendlichen zwischen 15 und 24 Jahren ihre Ausbildung nach Beendigung der Pflichtschule abgebrochen. Allein im Vorjahr haben laut dem Institut für höhere Studien (IHS) 8.000 Jugendliche die Schule vor der Matura oder dem Lehrabschluss geschmissen. Mobbing, arme Eltern und kein Bock auf Erfolg – Jugendliche haben viele Gründe, um  die Schule zu verlassen. Ganz oben auf der Liste: der Migrationshintergrund. Laut Mario Steiner vom IHS, Leiter der Studie „Early School Leaving & Drop-out“, sind zwei Drittel der Schulabbrecher Migranten der ersten und zweiten Generation. „Das österreichische Bildungssystem schafft es weniger gut mit migrantischen Schülern umzugehen als andere Systeme in Europa“, meint Steiner. Das Bildungsministerium widerspricht: „Wir kennen Studien, die zeigen, dass der Migrationshintergrund nur eine untergeordnete Rolle spielt“, meint ein Sprecher.

„Das liegt nicht daran, dass die Kinder dümmer sind“, betont Steiner. Aufgrund unzureichender Deutschkenntnisse würden Kinder mit einer fremden Muttersprache oft fälschlicherweise in die Hauptschule oder in Sonderschulen geschickt, obwohl sie eigentlich fit für das Gymnasium wären. Viele Eltern können ihren Kindern nicht mit der Hausübung helfen, da sie zu schlecht Deutsch sprechen, um die Aufgaben zu verstehen. Oft reicht auch das Geld für Nachhilfe nicht. Laut Steiner entscheiden der Bildungsgrad und das Einkommen der Eltern über Erfolg oder Misserfolg der Kinder. Schüler, deren Eltern beispielsweise nur einen Pflichtschulabschluss haben, brechen fünf Mal häufiger die Schule ab als Kinder von Akademikern.

Keine Bildung, Kein Job

In Österreich hat etwa die Hälfte der 227.869 arbeitslos Gemeldeten nicht mehr als einen Pflichtschulabschluss. „Die Jobs für Hilfsarbeiter werden immer weniger“, sagt Beate Spenger vom AMS. Das Land braucht hochqualifizierte Arbeitskräfte und einfache Hilfsjobs sind rar. „Jeder fünfte ohne oder mit nur einem Pflichtschulabschluss ist bei uns arbeitslos“, sagt Christian Paulick vom AMS-Wien. Zum Vergleich: Nur sechs Prozent jener, die einen Lehrabschluss haben, und drei Prozent der Akademiker, sind auf Jobsuche.

 

Kampf den Schulschwänzern
Das Unterrichts- und das Familienministerium sowie das Staatssekretariat für Integration haben sich im Juni dieses Jahres auf einen Vier-Stufen-Plan gegen Schulschwänzer geeinigt. Darin enthalten sind Gespräche mit Eltern und Kindern, die Einschaltung eines Schulpsychologen und der Schulverwaltung. Hilft das alles nichts, greift im vierten Schritt die Jugendwohlfahrt ein und Eltern müssen im Extremfall bis zu 440 Euro Strafe zahlen. „Wenn ein Schüler entweder drei Tage hintereinander oder fünf Tage im Semester oder insgesamt 30 Stunden unentschuldigt fehlt, wird der Vier-Stufen-Plan eingeschaltet“, sagt Markus Benesch vom Staatssekretariat für Integration. Das Sozialministerium schickt nun Jugendcoaches, welche Jugendliche direkt in der Schule, noch vor dem Schulabgang, beraten und betreuen sollen.
 

 

Von Marina Delcheva, Muhamed Beganović, Philipp Tomsich (Fotos), Ari Kardelen (Fotos)

 

Liebe User, wir schätzen eure Kommentare und freuen uns über jedes Posting. Wir bitten euch jedoch unsere Schulabbrecher nicht zu beleidigen oder zu beschimpfen. Es hat jeden von ihnen viel Überwindung gekostet hierbei mitzumachen und ihre Geschichte zu offen und ehrlich zu erzählen. Dafür verdienen sie unseren und euren Respekt. Danke!

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Kommentare

 

das blöde ist, wenn man mal beginnt in das loch zu fallen aus "ich schaffs nicht und keiner hilft mir" dann wird es erst richtig mies

Ich hoffe, dass den Jungs jemand hilft und sie vorran komme, das Mädchen tut mir irgendwie nicht leid.

 

die einstellung von dem mädchen find ich unglaublich respektlos.

das sie sich ein schei* drum kümmert wie es ihren eltern damals ging und wie schwer es ihnen gefallen ist..

 

"Ich habe mich mit 15 in Parks herumgetrieben, habe geraucht, tolle Leute kennengelernt und echt viel Spaß gehabt. Die anderen hatten sicher nicht so eine tolle Zeit wie ich, die sind in der Schule gesessen."

 

nicht dein ernst oder? ich hoffe du bist stolz auf dich dass du geraucht has, ich hoffe das diese "tollen leute" im oktober auch anfangen zu studieren. und die anderen die in der schule gesessen sind, oh glaub mir...die hatten auch spaß weil dass was du nicht kennst ist was eine klassengemeinschaft ist, und so eine schulzeit, wie deine, wünsch ich mir nicht.

 

dennoch alles gute und viel glück an der uni!

 

Jeka des Grauens! Deine verdrossenen Kommentare gegenüber der heißen Blondine sind nicht nur exorbitant sondern in hohem maße impertinent und Fremdscham hervorrufend. Wahrscheinlich hast du damals deinen Lehrern die Taschen hinterhergetragen und heimlich deine Mitschüler verrpetzt. Sonst würdest du nicht so deplaziert großmäulig von einer vermeintlichen Klassengemeinschaft sprechen und so vehement für deine super Schulzeit eintreten. Schüler, die behaupten, ihre Schulzeit sei ein einziger open air Rave gewesen, sind entweder hochbegabt oder unbeliebte Streber, die nie etwas zu melden hatten und nun endlich ihre Chance ergreifen, sich zu profilieren. Leider an der falschen Stelle. Da Ersteres auf dich offensichtlich nicht zutrifft, muss ich dich wohl an dieser Stelle darüber aufklären, dass die Menschen mit denen du deine spannende Schulzeit verbracht hast entweder aus ähnlich kleinkariertem Holz geschnitzt sind wie du oder dich schlicht und einfach immer schon unsympatisch fanden. Besonders weit denken tust du leider auch nicht, denn offensichtlich hatte Laila W., die nicht nur extrem gutaussehend sondern auch noch offensichtlich ziemlich clever ist (wie sonst das plötzliche Abi und die darauf folgende Immatrikulation trotz verpasster Schulzeit inkl. Klassengemeinschaft?), ziemlich gute Gründe für ihren abweichenden Lebensstil. Natürlich ist es typisch für schmalspurige Spießer wie dich, nicht über ihren Tellerrand hinauszublicken.

 

In omnia paratus!

 

Laila, bist du's? ;) Andere so übertrieben anzugreifen, finde ich ein bissl übertrieben...

 

lol, ich werde jetzt nicht weiter auf deine bemerkungen eingehen, es ist meine meinung und aus. wenn du denkst dass ich "Lehrern die Taschen hinterhergetragen habe" dann ist das dein kaffee. ich weis was ich gemacht habe und was nicht...

 

LG :)

 

Respektlos? Laila beweist wenigstens eine gewissen Sinn Humor, was ihre Anti-Schulzeit angeht und sagt, wie es ist: mit 15 macht nun mal Rauchen mehr Spaß als Physik. Bitte, lieber Rebell als Streber - und wer sagt, dass es nicht auch eine Parkgemeinschaft gab? Und wahrscheinlich hat ihr diese Einstellung geholfen, dass sie jetzt studiert. 

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