Herr Inspektor, Bitte!

15. September 2017

Zwei Jahre war Marek auf Streife im 1. Bezirk unterwegs – im Körper einer Frau und in weiblicher Polizei-Uniform. Er wurde als Frau geboren, doch fühlte sich nie wie eine. Marek änderte vor einem Jahr sein Geschlecht. Nun ist die ehemalige Polizistin offiziell Polizist.
Von Steven Meyer und Marko Mestrović (Fotos)

Foto: Marko Mestrovic
Foto: Marko Mestrovic

 

Marek absolvierte die Polizeischule als Frau – zumindest auf offiziellen Papieren. Danach arbeitete er zwei Jahre als Polizistin in Wien, bis der heute 26-Jährige es nicht mehr aushielt und sich outete: Sein weibliches Geburtsgeschlecht passte einfach nicht. Heute lebt er offen als Mann, engagiert sich im Verein Gay Cops und arbeitet beim Landeskriminalamt im Erkennungsdienst. Wie in allen Berufsgruppen arbeiten natürlich auch bei der Polizei schwule, lesbische, bisexuelle und transidente Menschen. Ein Outing – vor allem in einem von Männern dominierten Berufsfeld wie der Polizei – ist meistens mit Ängsten vor Diskriminierung oder Karrierebrüchen verbunden. Aus diesem Grund sprechen viele nicht offen über ihre sexuelle Orientierung oder Identität – im Gegensatz zu Marek. Wir haben uns mit ihm getroffen.

iber: Marek, du kennst beide Seiten. Du warst Polizistin, bist nun Polizist - was ist der größte Unterschied?
Marek: Als Frau wurde ich immer gefragt: „Was? Ist der Beruf nicht viel zu gefährlich?“ – was aber eigentlich gemeint war, ist: Ist der Beruf nicht zu gefährlich für eine Frau? Mittlerweile kommen eher Fragen wie „Was hast du schon erlebt?“ und es wird als cooler Beruf wahrgenommen – allerdings nicht von meiner Community.

Foto: Marko Mestrovic
Foto: Marko Mestrovic

Warum?
Innerhalb der LGBTIQ* (Lesbian, Gay, Bi, Trans, Inter, Queer)-Community wollten einige nichts mit mir zu tun haben, weil mein Beruf als rechts angesehen wird, da ich für den „unterdrückenden Staat“ arbeite. Mir wird vorgeworfen, einen Job zu haben, der Gewalt ausübt. Ich habe mehr Probleme, wenn ich mich in der Community als Polizist oute, als wenn ich mich als trans bei der Polizei oute. Das fand ich sehr erstaunlich und traurig, da die Community schließlich tolerant sein sollte.

War dir eigentlich schon immer bewusst, dass du ein Mann bist?
Anfangs war es eher die Ablehnung des Weiblichen. Ich wusste, dass Frau 100% nicht passt. Das mit dem Männlichen kam nach und nach. Da es in Österreich nur zwei Geschlechter gibt, fiel die Wahl dann nicht so schwer.

Wie verlief der Wandel bei dir?
Angefangen hat der Prozess mit 16 Jahren. Damals war trans noch kein Begriff für mich. Ich habe in der Tourismusbranche gearbeitet und wurde dauernd als Fräulein angesprochen. Das passte nicht, ich wusste, dass ich das nicht bin. Das wirkliche Eingestehen hat aber sehr lange gedauert. Mit 23, 24 Jahren war es mir klar, habe es aber noch verheimlicht. Erst als ich dann nach der Polizeischule eine Therapiestelle gefunden hatte, kam alles langsam ins Rollen.

Wie verlief dein Outing bei der Polizei? Wie haben deine KollegInnen reagiert?
Damals war ich im Streifendienst in Wien 1010 und habe noch Uniform getragen. Ich habe mich zuerst bei meiner Funkfahrtpartnerin geoutet, weil ich wusste, dass sie positiv reagieren würde. Dann habe ich mich bei meinem Dienstvorgesetzten geoutet und habe ihn gefragt, ob er zu den anderen Outings als Unterstützung mitgehen würde. Er hat sofort ja gesagt. Einige haben Fragen gestellt, andere haben nicht viel gesagt.

Hast du keine Diskriminierungen erfahren?
Ich hatte natürlich viele Sorgen und Ängste diesbezüglich, aber sie wurden nicht bestätigt. Anfangs war allerdings nicht sicher, ob die Chefs mir den Männerspind zugestehen können. Zuerst sollte ich einen eigenen bekommen, was aber aus Platzmangel nicht funktionierte. Zu dieser Zeit habe ich aber meine Geburtsurkunde ändern lassen, die ich innerhalb von drei Tagen hatte und somit auch in die Männerumkleide konnte. Es gab nur einen Kollegen, der alles dran gesetzt hat, den Spind neben mir nicht zu bekommen. Der hat mir auch nicht mehr die Hand gegeben.

Dein Outing verlief insgesamt gut. Woran lag das?
Es kommt immer auf die Leute an, mit denen man arbeitet. Vor allem auf die Vorgesetzten. Es kann auch ganz anders ablaufen – ich kenne jemanden, der die Polizeiinspektion aufgrund eines Outings wechseln musste. Man kann sich allerdings auch über die Gleichbehandlungsstelle gegen Mobbing wehren.

Du bist Mitglied der „Gay Cops“. Wie kam das?
Ich wusste schon immer, dass ich Polizist werden will. Allerdings habe ich auch geahnt, dass ich trans bin, und dachte damals, ich müsste mir einen anderen Traumberuf suchen. Dann habe ich zufällig von den Gay Cops und über eine Transfrau beim Bundesheer gelesen – da dachte ich mir, wenn es die Gay Cops bei der Polizei gibt und eine Transfrau beim Heer, dann muss es auch als Transmann bei der Polizei gehen. Nach der Polizeischule habe ich mich gleich bei den Gay Cops angemeldet. Ich möchte, dass es andere LGBTIQ-Personen leichter haben als ich und nicht Zweifel an ihrem Traumjob haben, nur weil sie sind wie sie sind.

Gab es schon Trans-PolizistInnen vor dir?
Ja, es gibt ungefähr sechs oder sieben in Österreich, von denen habe ich erst nach dem Outing erfahren. Ich dachte ich sei der Erste.

Hat sich dein beruflicher Alltag verändert?
Teilweise war es sehr schwer. In der Uniform wurde ich viel schneller als weiblich angesehen als in Privatkleidung. Da war es dann heftig zurückzustecken und wieder „Frau Inspektor“ zu hören. Mit meinen Chefs habe ich auch besprochen, dass ich keine Personendurchsuchungen mache, solange mein Geschlecht äußerlich unklar ist. Ich selbst wollte keine weiblichen Personen mehr durchsuchen, weil ich per Gesetz seit der Geburtsurkundenänderung männlich war. Für die Männer war ich aber noch nicht erkenntlich Mann. Aus diesem Grund haben wir beschlossen, dass ich niemanden durchsuche. So konnte ich auch dummen Kommentaren der Durchsuchten entgehen.

Wie verlief der Wandel allgemein für dich? Du hast dich auch Operationen unterzogen, richtig?

Insgesamt lief meine gesamte Transition gut. Die erste Psychiaterin hätte ich mir sparen können, da sie sehr unangenehme Fragen gestellt hat. Da man aber auf ein Gutachten angewiesen ist, beantwortet man Fragen, die man nicht beantworten möchte. Außerdem hätte ich nicht erwartet, dass man nach den Operationen so lange braucht, bis man körperlich wieder fit ist. Bei mir hat es sechs Monate nach den OPs gedauert, bis ich wieder so leistungsfähig wie davor war. Ich habe mir die Brüste abnehmen und auch Eierstöcke und Gebärmutter entfernen lassen.

Weil du beide Seiten kennst: Wie unterscheiden sich die Anforderungen an Männer und Frauen bei der Polizei?
Beim Sporttest gibt es zwischen Männern und Frauen noch Unterschiede – da ist es für Frauen einfacher. Durch meine Hormontherapie spüre ich die Unterschiede zwischen einem männlichen und einem weiblichen Körper. Durch Testosteron konnte ich innerhalb eines Monats das Doppelte leisten, weshalb ich den Unterschied verstehe und gut finde.

Hast du einen Vorteil bei der Arbeit als Transpolizist?
Man ist feinfühliger hinsichtlich Minderheiten, weil man auch in der Community eingebunden ist. Man kennt etwa ihre Bedenken, eine Anzeige zu machen und man versteht, dass oft keine Anzeige erstattet wird. Ansonsten unterscheidet es sich nicht wirklich.

Gab es dann aufgrund der unterschiedlichen Anforderungen Anmerkungen nach dem Outing?
Nein, ich habe den Sporttest damals als Frau absolviert. Jetzt mache ich den
Dienstführendenkurs und hab den Sporttest als Mann absolviert. Ich habe alle Limits erfüllt.

Mittlerweile wirst du als männlich angesehen. Wie ist das für dich?
Ich bin immer wieder überrascht, wenn mich Menschen sofort als männlich wahrnehmen. Nach wie vor bin ich in der Gewöhnungsphase, da ich 25 Jahre als weiblich wahrgenommen wurde. Jetzt, innerhalb eines halben Jahres, werde ich
als männlich angesehen. Da freue ich mich noch jedes Mal drüber.

Foto: Marko Mestrovic
Foto: Marko Mestrovic

 

Und deine Familie, dein Freundeskreis – welche Reaktionen hast du erfahren?
In der Familie hat es bei einigen länger gedauert. Meine Oma hat es beispielsweise nicht verstanden. Nach einigen Monaten hat sie sich dann aber bemüht. Bei meinem Vater hat es auch länger gedauert. Nachdem ich ihm einen Outing-Brief geschrieben habe, hat er sich bemüht und nennt mich jetzt in den meisten Fällen bei meinem neuen, richtigen Namen. Mir war wichtig zu wissen, dass die Personen versuchen meinen neuen männlichen Namen zu sagen. Meinen alten Namen möchte ich nicht mehr hören oder benutzen.
(Anm. der Redaktion: Aus diesem Grund nennt er den Namen auch im Interview nicht)

Wie ist der Umgang mit Transpersonen?
Ich werde oft – vor allem von Schwulen – gefragt, was ich denn eigentlich in der Hose habe, obwohl das einfach nur relevant ist, wenn man in einer Beziehung ist. Außerdem kommt es in der Community oft vor, dass Transfrauen bei Lesbentreffen explizit ausgeschlossen werden. Umgekehrt werden jedoch Transmänner eingeladen, da sie ja „doch irgendwie noch Frauen sind“. Es fehlt einfach noch das Bewusstsein, dass Transmänner Männer sind und Transfrauen Frauen sind.

Bist du eigentlich homosexuell, heterosexuell oder bisexuell?
Nein, ich bin pansexuell.

Was heißt das?
Mir kommt es nicht auf das Geschlecht an. Eine der ersten Fragen lautet immer „Auf was stehst du jetzt?“. Das fand ich komisch, weil es vorher auch niemanden interessiert hat und mit trans ja absolut nichts zu tun hat. Ich habe dann entweder ausweichend geantwortet, mittlerweile sage ich aber offen, dass mir der Körper egal ist. Ich weiß nämlich selbst, dass der Körper nicht immer das aussagt, was innen dann steckt. Mir kommt es auf den Menschen an.

Gay-Cops:
Die Gay Cops sind ein Verein, den es mittlerweile seit 10 Jahren in Österreich gibt und der Teil eines europaweiten Netzwerkes von LGBTIQ+ Polizistinnen und Polizisten ist. Der Verein mit etwas mehr als 60 aktiven Polizist*innen setzt sich für Sichtbarkeit und ein Bewusstsein der Probleme von queeren Minderheiten innerhalb der Polizei ein. Außerdem möchten sie, dass ein Vortrag zur polizeiinternen Sensibilisierung für LGBTIQ+ Themen in den Lehrplan der Polizeiausbildung aufgenommen wird.

Für alle LeserInnen, die wie wir eine Enzyklopädie zum Verständnis brauchten:

Cis-Personen: bezeichnet jene Menschen, die sich mit ihrem Geburtsgeschlecht identifizieren (Übersetzung: „diesseits“ im Gegensatz zu trans (jenseits))

LGBTIQ*: Abkürzung für Lesbian-Gay-Bi-Trans-Inter-Queer-Community

Pansexuell: sind Personen, die in ihrem Begehren keine Vorauswahl nach Geschlecht bzw. Geschlechtsidentität treffen

Trans/transident: sind Personen, die sich mit ihrem zugewiesenen Geschlecht nicht (ganz) identifizieren

Transition: ist der Überbegriff für jegliche Änderung (Name, Personenstand), Geschlechtsangleichung (Hormone, Operationen) und Prozesse (Selbstfindung, Outing)
Um das Geschlecht in der Geburtsurkunde in Österreich anzupassen, ist auch noch immer eine fachärztliche Diagnose der Transidentität notwendig. Außerdem muss bestätigt werden, dass sich das äußere Erscheinungsbild an das angepasste Geschlecht annähert. Was auch immer das heißen soll.


+ No-Go „Was hast du in der Hose?“
Transpersonen haben selbst nach einem Outing oft damit zu kämpfen, nicht als Mann oder Frau anerkannt zu werden. Die Frage danach, „was sie denn nun in der Hose haben“ – obwohl diese Information sehr privat und irrelevant für die Geschlechtsidentität ist – oder die Benutzung des falschen Personalpronomens sind Probleme mit denen Transpersonen täglich konfrontiert sind.

10FACHES RISIKO:


Die Gay Cops veröffentlichten 2015 zusammen mit der IG Soziologie eine Studie, deren Ergebnisse polizeiintern ignoriert wurden. Es ging um Hassverbrechen gegenüber LGBTIQ* in Österreich, in der herauskam, dass LGBTIQ* Personen ein zehnfach höheres Risiko als die restliche Bevölkerung haben, Opfer von Gewaltverbrechen zu werden und dass die wenigsten dieser Verbrechen eine Anzeige zur Folge haben. Mangelndes Vertrauen in die Polizei ist der Grund dafür. Sollte es dennoch zu einer Anzeige nach einem Hassverbrechen kommen, führt diese selten zur Verurteilung. Einen Tatbestand „Hassverbrechen“ gibt es in Österreich nämlich nicht, sondern lediglich die Möglichkeit zu einer Straferhöhung bei besonderen Umständen der Tat. Beispielsweise bei rassistischen oder homophoben Motiven. Dieser Erhöhungstatbestand kommt allerdings nur zum Tragen, wenn es verschiedene Instanzen durchläuft – und das passiert selten.

 

 

Anmelden & Mitreden

3 + 17 =
Bitte löse die Rechnung