Mein Körper, der Beat, und ich
Auf der langen Suche nach der richtigen Leidenschaft probierte Autorin Amina Reifenauer-Ben Hassen (20) schon vieles aus. Die beiden Tanzstile House Dance und Voguing befreiten schon die junge POC-Queer-Szene in den USA der 70er und 80er Jahre. Wie Amina in diesen Tänzen ein neues Zuhause fand – trotz geschlossener Clubs.
Von Amina Reifenauer-Ben Hassen, Fotos: Zoe Opratko
Manche Kinder wollen AstronautInnen werden, andere LehrerInnen oder KünstlerInnen. Wenn man die kleine Amina fragte, was sie werden wollte, wenn sie groß ist, war meine Antwort stets: „Ich will frei sein.“ Wie wird man in dieser Welt jedoch frei? Das galt es herauszufinden. Von Theater bis Bogenschießen hatte ich so ziemlich alles ausprobiert. Die meisten großen Hobbys hing ich aber meistens nach ein paar Monaten schon wieder an den Nagel. Lange Zeit fehlte mir der Mut zum Tanzen. Mein erster Schritt in eine Tanzklasse fühlte sich an wie einer in eine völlig neue Welt. Ich war sofort hingerissen von der Energie. Zwischen schwitzenden Körpern, stickiger Luft und lauter Musik fühlte ich mich zum ersten Mal so richtig angekommen. Ich probierte ein paar unterschiedliche Stile aus. Schnell war aber klar, dass mir die Stile „House“ und „Voguing“ am meisten gefielen.
Voguing und House: Queere Outlets mit Tradition
Beide Tanzstile entstanden in den 1970er und 1980er Jahren und sind unter anderem darin verwandt, dass sie dieselbe Musik teilen. Beeinflusst von unterschiedlichen lateinamerikanischen und (west-)afrikanischen Tanzstilen hat sich in den Underground-Clubs von New York City und Chicago ein bestimmtes Bewegungsvokabular entwickelt. House Dance war geboren. In der so genannten Ballroom-Community, die von der jungen afroamerikanischen und lateinamerikanischen LGBTQ+ -Bewegung in New York geprägt wurde, war Voguing ein Stil, der vor allem ein Ventil für Menschen mit Diskriminierungserfahrungen wie Homo- und Transphobie und Rassismus war. Und aus den Lautsprechern tönt bei beiden Tanzstilen: House Musik. Diese war es auch, die mich an beiden Stilen sofort fasziniert hat. Wenn ich heute an Freiheit denke, assoziiere ich sie sofort mit House Musik.
Die Clubs sind zu, ich tanze weiter
Wenn ich die unterschiedlichen House Dance Szenen in Europa beobachte, fällt mir auf, dass TänzerInnen bei Battles, JurorInnen und TanzlehrerInnen meistens Männer sind. In Wien jedoch ist die House Dance Community hingegen sehr weiblich geprägt. Jeder Mensch, welcher mich bisher im House Dance unterrichtet hat, war eine Frau. Auch unter den SchülerInnen überwiegen die Mädchen. So befinde ich mich in einer Community, die auf gewisse Art von Frauen geleitet, gehalten und gegründet ist. In einer patriarchalen Gesellschaft schenkt mir so ein Raum unglaubliche Geborgenheit. Außerdem habe ich durch das Tanzen wundervolle, emanzipierte Freundinnen gefunden. Über die Zeit sind sie wie eine zweite Familie geworden, wir haben alle gemeinsam mit „House Dance“ begonnen, und uns so angefreundet. Wir fingen an, regelmäßig gemeinsam zu trainieren und auf Partys zu gehen. In der allgemeinen Depression und Hoffnungslosigkeit der Lockdowns gründete ich mit drei anderen Tanzkolleginnen gemeinsam letztes Jahr das „HOUSEFRAUEN“-Kollektiv. Dort forschen wir weiter an unserer Liebe zu Housemusik, lernen gemeinsam mit Platten aufzulegen und arbeiten an Performanceprojekten.
Nach zwei Jahren Pandemie fehlt uns allen das Fortgehen schon. Die Sorglosigkeit, die man empfindet, wenn man sich um vier Uhr morgens verschwitzt zu lauten Bässen im Club bewegt. In meinem Leben ist das Tanzen aber weiterhin präsent. Tanzen hilft mir, durch mein chaotisches Leben zu navigieren, und es hat mir ein Zuhause ermöglicht, obwohl ich immer das Gefühl hatte, nirgendwo so recht hineinzupassen. Das Tanzen hat mir endlich jene unbegrenzte Freiheit geschenkt, nach der ich so lange auf der Suche war. Es ist eine Freiheit, für die ich nur zwei Dinge brauche: meinen Körper und einen Beat. ●
Bereich: