Ihr könnt uns alle mal…!

20. Oktober 2022

Immer mehr junge Menschen können die Politik in Österreich nicht mitgestalten. Die Arbeiterkammer Wien möchte mit dem Projekt AKLockdownstories elf Jugendliche zu Wort kommen lassen, die sonst keine Stimme haben. Wie es ist, jung zu sein und sich von Politik und Gesellschaft nicht gehört zu fühlen, erzählen sie in dem Film „Ihr könnt uns alle mal…!“. 

Von Emilija Ilić, Fotos: Zoe Opratko
 

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Die Teilnehmer:innen von AKLockdownstories

 

Immer mehr Jugendliche können mit der österreichischen Politik nichts anfangen. Eine SORA-Studie bestätigt: Nur sechs Prozent aller 16- bis 26-Jährigen fühlen sich von ihr gut vertreten. Die elf TeilnehmerInnen von AKLockdownstories wollen in ihrem neuen Film zeigen, wie wichtig politische Beteiligung für sie ist. Von Ideenfindung, Drehbuch-Sessions bis hin zum Schauspielcoaching – die Jugendlichen werden mit Unterstützung der Arbeiterkammer Wien einen eigenen Film verwirklichen, in dem sie ihre persönlichen Sorgen und Vorstellungen zum Thema Ausgeschlossen-Sein aufzeigen.

 

Für Projektleiter Alper Eroğlu ist die Zusammenarbeit mit den Jugendlichen ein Herzensprojekt. Als Jugendkoordinator der Arbeiterkammer Wien in der Abteilung für Lehrausbildung und Bildungspolitik initiierte er bereits 2021 das Projekt AKLockdownstories. Der Anstoß dafür waren Ergebnisse einer Studie der österreichischen Gewerkschaftsjugend (ÖGJ), der MedUni Wien und der Donau-Uni Krems über den psychischen Gesundheitszustand Jugendlicher während der Coronapandemie. „Die Jugendlichen sind komplett untergegangen und ihre psychische Gesundheit hat darunter gelitten. Der erste Film wurde zwischen den Lockdowns gedreht, deshalb auch der Name AKLockdownstories. Das Projekt hat aber so gut funktioniert, dass wir jetzt in die zweite Runde gehen“, so Alper.

 

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Projektleiter Alper Eroğlu


Er suchte sich eine Gruppe von Jugendlichen, die motiviert waren, ihre Geschichten selbst zu verfilmen. Auf die insgesamt elf TeilnehmerInnen ist er durch vorherige Projekte und die Bildungseinrichtung Interface gestoßen. „Mir war es wichtig, dass die Teilnehmenden Lust auf das Projekt haben. Wichtig war auch, dass wir Jugendlichen aus marginalisierten Gruppen eine Stimme geben, die sonst selten zu Wort kommen.“

 

Zukunft ohne Mitbestimmung?



Bei den verganenen Bundespräsidentschaftswahlen durften 1,4 Millionen Menschen nicht wählen, da sie die österreichische Staatsbürgerschaft nicht besitzen. Tendenz steigend. Auch die Mehrheit der AKLockdownstories-Gruppe besitzt keine österreichische Staatsbürgerschaft. „Von der halben Million wahlberechtigten WienerInnen, die nicht die österreichische Staatsbürgerschaft haben, sind 72.000 zwischen 16 und 24 Jahren alt. Dazu zählen Jugendliche, die zum Großteil hier geboren und in die Schule gegangen sind. Ihnen fehlt schon im jungen Alter das Vertrauen in das politische System. Sie haben das Gefühl, weder beteiligt zu sein, noch gehört zu werden. Das führt dazu, dass die Demokratie insgesamt geschwächt wird. Hier will die Arbeiterkammer Wien entgegenwirken“, so Projektleiter Alper im Gespräch. 

Bereits seit Juli trifft sich das Team mit Regisseur Mahir Yıldız fast jedes Wochenende. In Brainstorming-Sessions, Workshops mit ExpertInnen und auch beim gemeinsamen Mittagessen diskutierten sie, wie man ihre Lebensrealitäten in einem Film zeigen kann. Die Teambuilding-Aufgaben waren für die Gruppe besonders wichtig, da sie auch im Film eine Freundesgruppe spielen und ihre persönlichen, realen Geschichten teilen. Sie stellten sich gegenseitig intime Frage, schrieben fiktive Geschichten zusammen und wurden eine kleine AKLockdownstories-Familie.

Regisseur Mahir war von Anfang an dabei und nahm in der Entstehungsphase eine begleitende Rolle ein. „Ich wollte und will, dass so viel wie möglich von den Jugendlichen selbst kommt. Es sind ihre Geschichten und sie sollen sich damit identifizieren können.“ Nach intensiven Gesprächen mit Projektleiter Alper begann er das Konzept für die Film-Workshops zu erstellen. „Die Politik, die gern die Floskel ‚Die Zukunft gehört den Jugendlichen‘ schreit, vergisst, dass die Gegenwart den Jugendlichen genauso gehört und lässt junge Menschen in gesellschaftsrelevanten Fragen oft nicht mitbestimmen“, kritisiert der Regisseur.

 

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Regisseur Mahir Yıldız


Authentische Geschichten

 

Stundenlang setzten sich die TeilnehmerInnen von AKLockdownstories mit DrehbuchautorInnen Felicia Schätzer und Ibrahim Amir zusammen, die sie dabei unterstützten, ihre Geschichte professionell zu erzählen. Erst als alle Beteiligten mit dem Drehbuch zufrieden waren, gingen die Schauspielcoachings los. Da die Teilnehmenden wenig Erfahrung mit Schauspiel hatten, wurden die zwei Schauspielerinnen Anna Kramer und May Garzon ins Team geholt. In Gruppen- und Einzelübungen wurden die Jugendlichen herausgefordert, sich in eine Rolle hineinzuversetzen. Die Rollen wurden so zugeteilt, dass sich jede Person mit ihrer Figur identifizieren und die jeweiligen Charakterzüge authentisch verkörpern konnte. Auch einen Teil der Requisiten fertigten die Jugendlichen für den Film selbst an.

 

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Mahir Yıldız möchte, dass die Zukunft möglichst von allen mitbestimmt wird.

 

Der Inhalt des Films spiegelt nicht nur die Realität der Gruppe wider, sondern auch die Schicksale etlicher Jugendlicher mit Migrationshintergrund. Projektleiter Alper war es besonders wichtig, dass Jugendliche, die keine Profischauspieler sind, beim Film mitwirkten. „Denn genau sie sind diejenigen, die von diesen Missständen betroffen sind, und somit auch am ehrlichsten darüber berichten können.“

Der Film ist sowohl für alle, die von politischer Beteiligung ausgeschlossen sind, als auch für jene, die etwas daran ändern könnten. Für Alper ist die Message des Projekts, „dass Jugendliche nicht so politikverdrossen sind wie viele gerne behaupten, sondern ihnen oft nur die Möglichkeiten zur Mitbestimmung und Beteiligung fehlen. Die Arbeiterkammer Wien wird Jugendlichen immer als starke Partnerin und Verbündete zur Seite stehen.“

 

 

 STATEMENT

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Ilkim Erdost. ©Christopher Glanzl
„Österreich hat ein veraltetes, unfaires Staatsbürgerschaftsgesetz. Die vielen Hürden führen dazu, dass viele den österreichischen Pass nicht bekommen. Gerade auch Frauen und junge Menschen, die weniger verdienen, haben keine Chance. Deshalb hat Österreich insgesamt eine viel zu geringe Einbürgerungsquote und es steigt jährlich der Anteil jener, die nicht wahlberechtigt sind. Diese ungerechte Situation schwächt nicht nur unsere Demokratie, sondern sie schwächt auch die Interessen von uns ArbeitnehmerInnen und die Aufstiegschancen von MigrantInnen und junger Menschen. Mittlerweile sind es schon 100.000 WienerInnen, die hier geboren wurden, hier aufwachsen und unsere Stadt prägen – die aber nicht wählen dürfen, weil sie nicht den Pass haben. Das ist ungerecht, zukunftsfeindlich und schadet dem Zusammenleben.“

 

ILKIM ERDOST, Bereichsleiterin Bildung & KonsumentInnen bei der Arbeiterkammer Wien

 

 

Wieso ist dir politische Beteiligung wichtig? 

 

„Hätte meine Mutter die Staatsbürgerschaft damals nicht mühselig beantragt, hätte ich heute keine Chance, mich am politischen Diskurs zu beteiligen.“ 

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Emilija, 20, Wien, serbischer Migrationshintergrund, Wahlrecht

 

 

„Ich bin genauso Teil dieser Gesellschaft wie Personen, die die Staatsbürgerschaft haben.“

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Maria, 18, Wien, rumänischer Migrationshintergrund, kein Wahlrecht

 

„Alle, die in Österreich geboren wurden, sollten dieselben Rechte haben und die Möglichkeit, mitzubestimmen.“

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Moria, 18, Wien, Wahlrecht

 

"Ich darf hier arbeiten und Steuern zahlen, ohne ein Mitspracherecht bei politischen Entscheidungen zu haben."

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Zeynep, 23, Türkei, kein Wahlrecht

 

„Politik ist ein wichtiger Teil meines Lebens und darum möchte ich auch mitbestimmen dürfen.“

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Sufian, 21, Syrien, kein Wahlrecht

 

„Ich bin vor drei Jahren nach Österreich gekommen und möchte hierbleiben. Dafür brauche ich die Staatsbürgerschaft.“ 

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Nabil, 18, Syrien, kein Wahlrecht

 

„Politik wirkt sich auf das Leben jeder einzelnen Person aus – auch auf jene, die von politischer Beteiligung ausgeschlossen werden.“ 

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Asja, 21, Wien, bosnischer Migrationshintergrund, Wahlrecht

 

„Ich will mich nicht nur mit der Sprache und der Arbeit integrieren, sondern ich will auch die Staatsbürgerschaft haben.“

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Rokhash, 23, Syrien​, kein Wahlrecht

 

„Politische Entscheidungen betreffen jeden Tag unser Leben, deshalb müssen alle gehört werden.“ 

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Jana, 19, Klosterneuburg, Wahlrecht

 

„Ich bin direkt von politischen Entscheidungen betroffen, ohne mitentscheiden zu dürfen, obwohl ich hier geboren bin.“ 

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Melike, 21, Wien, türkischer Migrationshintergrund, kein Wahlrecht

 

„Ich bin seit sechs Jahren hier, darf nicht wählen gehen und habe keinen Anspruch auf die Staatsbürgerschaft.

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Samim, 20, Afghanistan, kein Wahlrecht

 

 

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