Ivanas Welt: Das tolle Leben der Anderen

07. November 2014

Familie und Freunde glaubten, sie sei in Thailand. Geiler Urlaub, schöne Fotos – genau das Richtige für Facebook, damit den unzähligen Fakefreunden der Mund offen bleibt. Was für ein tolles Leben, was für Abenteuer, was für Kohle, die sie dafür haben muss. Zum Beneiden? Nichts davon ist wahr. Es war ein Photoshopexperiment einer holländischen Grafikstudentin. Sie hat sich in die Landschaft von Thailand hineinkopiert. Alle glaubten ihr. Was sie getan hat, bringt einen dazu über sich selbst nachzudenken. Über den Druck sich beweisen zu müssen, durch tolle Urlaube, Restaurantbesuche und den eigenen Erfolg, anderen zu beweisen, man hätte ein besseres Leben, als das stille Publikum.

 

Als dieses Thema durch die Medien ging, sah ich Reportagen über Italiener, die sich im Urlaub in den eigenen vier Wänden verstecken, damit die Nachbarn glaubten, sie seien im Urlaub. Über Postkartenfirmen wurde berichtet, deren Spezialgebiet es ist, den Freunden Postkarten aus fremden Ländern zu schicken. Ist das nicht schräg?

 

APPLAUS ODER NEID?

Das Ganze war ein Fingerzeig, auch auf mich. Ok, ich photoshoppe mich nicht auf die Malediven und tue nicht so, als würde ich neben einem tibetischen Mönch stehen. Aber ich renne zum Handy, wenn ich auf Reisen bin und lasse meine Mitmenschen wissen, dass ich in Paris, Rom und was weiß ich wo bin. Als ich meinen Abschluss machte, postete ich mein Zeugnis, freute mich über Likes und bestätigende Kommentare. Ab und zu gab es auch food porn, wo ich „Facebook“ zeigte, wie toll ich in Prag gegessen habe. Mann, bin ich armselig. Wozu das Ganze? Brauche ich wirklich den Applaus der anderen, wenn mir doch kein einziger von denen im realen Leben auf die Schulter klopft? Und ist das tatsächlich Applaus oder Neid, den ich bei anderen herauskitzle? Wenn wir schon bei Neid sind. Auf der anderen Seite bin ich das Publikum. Ich sehe berufliche Erfolge, Familienzuwachs, unbeschwerte Urlaube, Liebesbeweise bla bla bla.

 

Wobei ich mich erwische? Im Vergleich! Dieses ganze social networks-Zeugs drückt auch bei mir den Knopf, zumindest bei diesem kurzen Augenblick der Spannerei, mich mit ihnen zu vergleichen. Ab und zu entspringt auch ein Wunsch, beeinflusst durch den Konsum der glücklichen Statusmeldungen, auch dort hinzureisen, Kinder haben zu wollen oder nach neuen beruflichen Herausforderungen zu suchen. Bis es mich wachrüttelt und ich zu mir ehrlich sein muss. – Das ist nicht mein Leben!

 

KEIN UNGLÜCK

Vor allem der Tatsache wird man sich bewusst, dass doch vieles inszeniert ist. Schließlich posten wir Momente des Glücks und nicht des Unglücks. Welche frischgebackene Mutter postet schon, heimlich vor lauter Stress geheult zu haben? Wer postet schon nach den glücklichen Urlaubsfotos, sich getrennt zu haben, weil es am Strand Zoff gab? Wer gibt schon zu, dass der Stresspegel im neuen Job einem schlaflose Nächte bereitet? Von Scheidungen etc. hört man dann, wie früher auch üblich, über Mundpropaganda der Verwandtschaft. Was ist nur aus uns geworden, dass wir uns virtuell beweisen müssen und dabei vergessen, uns selbst zu fragen, welche Träume und Ziele wir haben? Der eigene Weg, Erfolgserlebnisse, Niederlagen – das ist real.

 

Eine Statusmeldung, ein Bild, ein Like sind Inszenierungen für den Augenblick, die einen dazu bringen, mehr über das scheinbar tolle Leben der anderen nachzudenken, als über das eigene Leben selbst. Vor allem ist es eine Ablenkung darüber nachzudenken, was man eigentlich selbst will.

 

martinovic@dasbiber.at

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