"Jeder Penner ist ein Islamkenner."

16. Januar 2017

Der ehemalige Präsident der Islamischen Glaubensgemeinschaft (IGGIÖ) Fuat Sanac kritisiert scharf religiöse Analphabeten, möchte in Österreich begraben werden und erklärt, warum Muslime immer noch auf die Hilfe von außen angewiesen sind.

von Amar Rajkovic, Emina Suta (Mitarbeit) und Marko Mestrovic (Fotos)


 

biber: Herr Sanac, Sie waren mal Boxer. Steigen Sie noch in den Ring?

Fuat Sanac: Nein, ich bin 63 Jahre alt.

George Foreman (Anm.: ehemaliger Schwergewichts-Weltmeister) hat mit über 50 noch gekämpft.

Ich habe jetzt Asthma.

Deswegen dürfen Sie nicht mehr trainieren. Sie würden damit Ihrem Körper schaden, was „haram“ wäre.

Richtig, sonst bin ich kaputt.

Sanac, IGGIÖ, Fuat, Islam
Marko Mestrovic

Bleiben wir beim „haram“-Begriff. Unsere Cover-Geschichte im Dezember-Heft hat landesweit die Wogen hochgehen lassen. Darin schreibt eine biber-Redakteurin über ihren Alltag in Wiener Schulen und pseudoreligiöse Jugendliche, die ihren Mitschülerinnen diktieren, was verboten und erlaubt ist. Kennen Sie als Schulinspektor dieses Phänomen?

Natürlich. Das sind scheinreligiöse Menschen. Davon hören wir immer wieder. Heutzutage ist jeder ein Islamexperte. Es gibt jetzt einen Spruch: „Jeder Penner ist ein Islamkenner.“

Als Theologe können Sie uns weiterhelfen. Was bedeutet „haram“?

Haram bedeutet grundsätzlich: „Was schädlich ist, ist verboten.“ Theologisch gesehen: Was Allah im Koran verboten hat und wie der Gesandte Muhammed, Friede sei mit ihm, es vorgetragen hat. Das ist im Koran klar und deutlich niedergeschrieben worden und alles andere sind Erfindungen. Was im Koran nicht verboten ist, dürfen sie nicht verbieten oder aus helal (Erlaubtem) haram (Verbotenes) machen.

Aber zu viel Zucker wäre auch nicht gesund.

Was deinem Körper schadet, ist haram. Das ist die allgemeine Regel. Dafür können wir viele Beispiele geben: Wenn ich weiß, dass so viel Zucker – das kann auch ein anderes Nahrungsmittel sein - für mich tödlich sein kann, dann darf ich es nicht essen. Jeder weiß, dass Wasser nicht haram ist, aber wenn das Wasser unrein, vergiftet oder verdorben ist, ist es haram. Das gilt auch für alle Suchtmittel. Die einzige erlaubte Sucht ist die Sucht nach dem Gebet.

Was halten Sie von dem Vorschlag des Integrationsministers Kurz, das Kopftuch aus dem öffentlichen Dienst zu verbannen?

Es wäre fatal, wollte man Unsicherheit und Ängste nun ausgerechnet auf dem Rücken von muslimischen Frauen austragen. Will man gerade die emanzipierten und gebildeten Frauen vor den Kopf stoßen und sie in die Küche zurück drängen? Bedienstete des öffentlichen Dienstes haben eine positive Grundeinstellung zum Staat nicht nur verinnerlicht, sondern sind Multiplikatorinnen der Rechtsstaatlichkeit und Loyalität zu Österreich. Kopftuchtragenden Musliminnen will man die Eignung für genau diesen äußerst positiven Beitrag prinzipiell absprechen? Das ist ein Signal in die völlig falsche Richtung! „Religion nicht als Teil des Problems, sondern als Teil der Lösung zur Integrationsfrage“ war immer Motto von unserem Minister Sebastian Kurz, und jetzt das Kopftuch als ein Problem zu sehen ist leider sehr enttäuschend. Ich hoffe, dass so ein Verbot nicht kommen wird.

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Marko Mestrovic

Sie haben uns vorher gesagt, dass Sie an einem Buch schreiben. Können Sie uns mehr verraten.

Ich schreibe eigentlich zwei Bücher: das eine handelt vom Islam in Österreich, insbesondere in den letzten 35 Jahren, und das zweite von Islam – Lehre und Kunst – Ethik und Ästhetik.

Was hat sich in den letzten 35 verändert?

Ich bin seit 1982 in Österreich und von Anfang an in der Islamischen Glaubensgemeinschaft tätig. Egal ob als Lehrer, Mitglied des Ausschusses der islamischen Religionsgemeinde in Wien oder als Präsident. Es hat sich kaum etwas verändert. Die Menschen, die gegen den Islam und seine Glaubensgemeinschaft hetzen, gibt es bis heute. Kopftuch-Debatte seit 35 Jahren ist ein simples Beispiel dafür.

Was machen diese Personen und wer sind sie?

Links stehen einzelne Personen, die mit dem Islam Geld verdienen. Sie werden österreichweit von Medien hofiert und zu Sendungen eingeladen. Sie leben von der Islamfeindlichkeit. Dann gibt es rechts die Hassprediger und Extremisten. Wir von der IGGIÖ stehen in der Mitte und werden von beiden Seiten attackiert.

Wie wehren Sie sich?

Ich habe zwei, drei Personen daran gehindert, einen Moscheeverein in Wien zu gründen und von dort aus Menschen zu radikalisieren und nach Syrien zu schicken. Dafür bin ich Gott und dem österreichischen Staat dankbar. Jetzt sind alle islamischen Vereine unter dem Dach der IGGIÖ. Ebenso habe ich Auftritte von prominenten Hasspredigern aus dem Ausland verwehrt.

Sie sprechen das neue Islamgesetz an, das letztes Jahr beschlossen wurde. Dabei ging es auch um den Einfluss aus dem Ausland. Fließt noch Geld?

Es geht um die fließende Auslandsfinanzierung. Die ist verboten. Auf der anderen Seite gibt es viele Hilfsorganisationen in Österreich, die Geld aus dem Ausland bekommen. Ein Beispiel: Wie sollen Muslime einen islamischen Friedhof bauen lassen? Das ist unmöglich ohne ausländische Hilfe. Das kostete uns 1,5 Millionen Euro und dieser Betrag wurde von verschiedenen Staaten aus dem Ausland getragen, z.B. Kuwait und dem Opec Fund.

Und wie sieht es mit religiösen Bildungsvereinen wie „ATIB“ aus, die als verlängerter Arm von Erdogan gelten? Ihr Nachfolger Ibrahim Olgun gilt als ATIB-nah.

Alle Vereine sind für mich nur Namen. Alle sind ein Teil der muslimischen Community und ein Teil der IGGÖ. Einer von ihnen heißt ATIB. Der Verein beruft sich auf das österreichische Gesetz und hat einen Verein und ein Gebetshaus gegründet. Wenn man etwas sucht, wird man immer was finden. Bei mir war es die Behauptung immer „Milli Görüş“ (eine länderübergreifende konservative, islamische Bewegung). Beim neuen Präsidenten ATIB. Bei einem anderem wird etwas anderes sein. Was man vergisst, ist, dass die IGGÖ aus mehreren Organisationen besteht. Das gilt für alle Religionsgesellschaften. Jeder kommt von einer Organisation und jede Organisation hat einen Namen.

Welche Gefühle haben Sie, wenn Sie in Ihr Heimatland sehen?

Meine Wurzeln sind dort, meine Geschwister, Verwandten. Ich bin seit 40 Jahren in Europa und ich habe nicht einmal in der Türkei gewählt. Ich bin Österreicher und ich habe Österreich als einen Ort gewählt, wo ich meine letzte Ruhe finden will. Als wir zum Beispiel in Vorarlberg mit Herrn Kurz den islamischen Friedhof eröffnet haben, ist mir eingefallen, dass es bei uns in der türkischen Sprache einen Spruch gibt: Heimat ist nicht dort, wo man geboren ist, sondern dort, wo man satt geworden ist. Und ich sage: Wo man seine letzte Ruhe finden will.

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Marko Mestrovic

Fast alle Parlamentsparteien haben gemahnt, den Türkeikonflikt nicht nach Österreich zu importieren. Viele türkischstämmige Menschen sind in der Nacht des Putsches auf die Straße gegangen. Ihr gutes Recht?

Die europäische Politik hat versagt. Es hat einen Monat gedauert, bis sich die europäischen Politiker mit der Türkei solidarisiert haben. Es war eine spontane Aktion, was man auch verstehen kann. Wobei man eines anmerken muss: Die Veranstalter der Demo hätten die Polizei informieren müssen. Jeder muss die Gesetze dieses Landes akzeptieren, denn wir brauchen sie alle.

Und der Import von Konflikten aus dem Ausland?

Ich habe viele Veranstaltungen besucht, organisiert, um mit muslimischen Verbänden und Vereinen zu kommunizieren. Ich habe oft wiederholt, man dürfe keine Probleme aus dem Ausland nach Österreich holen. Die Türkei kann ihre Probleme selbst lösen und braucht unsere Hilfe nicht, weil es dort um die 78 Millionen Menschen gibt. Aber es geht hier um die Solidarität.

Wer braucht Hilfe?

Ich habe in 30 Schulen unterrichtet. Wie in manchen Schulen mit Jugendlichen umgegangen wird, schockt mich immer wieder aufs Neue. Selbst, wenn es nur ein Spaß sein sollte: Mit „Du Taliban“ oder „Du Türke“ werden wir diese Jugendlichen nicht für uns gewinnen können. Wir müssen ihnen das Gefühl geben, dazuzugehören und dass sie stolz darauf sein können, Muslime und Österreicher zu sein.

 

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Marko Mestrovic

Wer ist er

Name: Fuat Sanac

Beruf: Theologe, Religionslehrer, Autor, ehemaliger Präsident der Islamischen Glaubensgemeinschaft

Hobbies: Boxen

Alter: 63

Familie: Verheiratet, vier Kinder

 

 

 

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