Jovan Divjak: "Ich bereue gar nichts"

07. Juli 2011

Für die Bosnier ist Jovan Divjak ihr Held, der Sarajevo vor den Serben gerettet hat. Für die Serben ist er ein Kriegsverbrecher, deswegen verlangen sie seine Auslieferung. biber traf den bosnischen Ex-General im Wiener Exil und sprach mit ihm exklusiv über seinen härtesten Widersacher im Bosnien-Krieg, Ratko Mladić, Spaziergänge in Wien und sein online-Tagebuch.

Von Amar Rajković und Philipp Tomsich (Fotos)

 


Wie erlebten Sie die Festnahme am Schwechater Flughafen?

Ich war überrascht, obwohl ich schon gewarnt wurde, Bosnien zu verlassen.

Haben Sie Angst, nach Serbien überliefert zu werden?
Ich habe, lange bevor Ratko Mladić verhaftet wurde, angeboten, mich als „Tauschware“ für ihn anzubieten. Ich habe mir nichts vorzuwerfen, deswegen würde ich Belgrad auch überleben. Die österreichische Justiz muss entscheiden, ob ich nach Belgrad oder Sarajevo geschickt werde. Es ist mir aber unerklärlich, warum ich nun schon mehr als 100 Tage in Österreich sitze. Nach österreichischem Recht ist es verpflichtend, den Angeklagten in das Land zurückzuschicken, in welchem die ihm zu Last gelegten Verbrechen begangen wurden. In meinem Fall also Bosnien.


Die Serben beklagen, als die einzigen Täter des Balkankriegs dargestellt zu werden.

Es hat niemand behauptet, dass die Bosnier keine Verbrechen verübt haben. Viele von ihnen waren in Den Haag auf der Anklagebank. Rasim Delić, der mittlerweile verstorben ist, wurde zu drei Jahren verurteilt. Schon 1994 wurden die ersten Kriegsverbrecher auf bosnischer Seite mit einer Gefängnisstrafe belegt.


Bereuen Sie etwas?

Ich bereue gar nichts von dem, was ich bis jetzt gemacht habe. Und ich werde auch in den restlichen 13 Jahren nichts bereuen.

13 Jahre?
Vor zehn Jahren waren wir mit einer bosnischen Delegation in Washington. Am Abend gingen wir spazieren und trafen auf eine Handleserin. Sie enthüllte mir das Geheimnis meiner Lebensdauer: 87 Jahre!

Wie war Ihre Reaktion auf die Verhaftung Ratko Mladićs?
Das freut mich für seine unzähligen Opfer und deren Angehörigen. Die Verhaftung kommt aber eindeutig zu spät. Es geht den Serben darum, eigene Interessen durchzusetzen und nicht darum, Kriegsverbrecher zu bestrafen. Der serbische Präsident Boris Tadić hat kein einziges Mal öffentlich deklariert, Mladić sei ein Verbrecher. Ganz zu schweigen von Milorad Dodik (Präsident der Republika Srpska).

Die serbische Regierung wusste also die ganze Zeit vom Versteck Mladićs?
Natürlich, Tadić war damals Verteidigungsminister und wusste ganz genau, wo sich Mladić aufhält.

Wie hatten Sie mit Mladić zu tun?
1993 führten wir am Flughafen von Sarajevo Verhandlungen. Seine Grundbedingung war, dass er mit keinen Muslimen vom bosnischen Heer Gespräche führen würde. Deswegen fiel die Wahl auf mich. (Divjak ist in Belgrad geboren und war der einzige serbische General in der bosnischen Armee). Eine weitere Begegnung hatten wir beim Unterschreiben des Entwaffnungsvertrages von Srebrenica im April 1993. Er kündigte mir gegenüber provokant an: „In einem Monat siehst du mich in Sarajevo“, worauf ich ihm die Antwort gab: „Du hast doch keine Ahnung, wie man sich in einer Stadt bewegt. Du hast gelernt, wie es auf den Bergen ist und dort bleibst du auch.“ Er gab sich sehr präpotent und kam zu Verhandlungen mit fix fertigen Vertragspapieren, dieser Umstand zeigt wie mächtig und sicher er sich fühlte.


Ist damit die Kriegsschuld beglichen? Schließlich hat Ratko Mladić „nur“ den Befehl gegeben. Geschossen haben andere.

In Bosnien und Herzegowina gibt es noch rund 15.000 Anzeigen gegen Einzelpersonen. Die Aufarbeitung der Kriegsverbrechen ist noch lange nicht vorbei. Am Balkan wird das ähnlich lang dauern wie die Aufarbeitung des Holocaust nach dem Zweiten Weltkrieg.


Wie vertreiben Sie sich in Wien die Zeit?

Ich spaziere fast jeden Tag durch die Stadt. Am Wochenende haben wir uns auf der Donauinsel getroffen. Ehe ich mich versah, wuchs die Gruppe auf 25 Landsleute an. Das Wochenende davor war ich in einer Therme, nahe der tschechischen Grenze.
Das Warten zehrt schon am Nervenkostüm. Aber es hat mir immerhin die Möglichkeit gegeben, mich mit neuen Kommunikationstechnologien zu befassen. Ich habe davor niemals eine SMS, geschweige denn eine eMail verfasst. Jetzt skype ich sogar mit meiner Frau in Sarajevo.

Divjak bekommt einen Apfelstrudel serviert

Ich sehe, Sie haben sich kulinarisch eingelebt.
Als alter Mann mit Zuckerkrankheit sollte ich nicht viel Süßes essen. Der Apfelstrudel ist aber nicht so problematisch wie die Sachertorte.

Wird es nach „Sarajevo, mon amour“ ein zweites Buch von Ihnen geben?
Das gibt es schon, in elektronischer Form. Auf der Online-Plattform www.slobodnaevropa.org wird jede Woche ein Teil meiner Memoiren, Notizen, Gedankengänge während des Kriegs in Sarajevo veröffentlicht. Die Reihe trägt den Namen „Ne Pucaj!“ (dt. „Nicht schießen!“)

Zu Bosnien: Als gebürtiger Serbe auf bosnischer Seite verkörpern Sie den scheinbar ausgestorbenen Traum des multiethischen Bosniens.
Die Debatte um meine serbischen Wurzeln ist total übertrieben. Mein Vater kommt aus der bosnischen Krajina (Westbosnien) und war damals Soldat, der viel unterwegs war. Wie es der Zufall wollte, kam ich in Belgrad auf die Welt. Das war’s auch schon. Ich lebe seit 45 Jahren in Sarajevo, klar, dass ich mich als Bosnier fühle!


Es gibt viele Menschen mit orthodoxem Glauben in Bosnien, die sich trotzdem ganz klar als Serben deklarieren.

Diese ganze Identitätsdebatte „Ich bin der und du bist jemand anderer“ ist total überholt und nicht mehr zeitgemäß. Meine Identität sagt mir, wer ich bin.  In Europa setzt sich langsam der gemeinsame Geist durch und wir streiten uns unten, welcher Religion unsere Eltern zugehörig waren.

Ist Bosnien noch immer multinational?
In Sarajevo leben 90% Moslems, in Banja Luka genauso viele Serben. Bosnien hat nicht mal das „M“ von multinational.

Wohin führt der Weg von Bosnien und Herzegowina?
Momentan erleben wir eine Phase des Stillstands. Die drei Volksgruppen behindern und blockieren einander. Dodik spielt mit dem Gedanken eher heute als morgen mit der Republika Srpska sich an den serbischen Staat anzugliedern. Die Wirtschaft liegt am Boden. 40% der Menschen haben keinen Job, das Durchschnittsgehalt liegt bei knapp 400 Euro, Pensionen bei knapp 150 Euro. Die Posten werden nicht nach den Fähigkeiten der Menschen besetzt, sondern nach ihrer nationalen Angehörigkeit.

Das klingt alles sehr pessimistisch.
Das hat nichts mit Pessimismus zu tun. Das ist die Realität. Wichtig ist, das zu erkennen und die Schlüsse für die Zukunft zu ziehen. Auch im Hinblick auf die EU. Ein Land kann nicht der EU beitreten, wenn es in der Hauptstadt Sarajevo 20% Analphabeten gibt. Von den Dörfern wollen wir gar nicht reden.

Welche Rolle spielt der Islam dabei?
Der Islam ist ein Gespenst in vielen Köpfen. Ich habe in Wien mehr Burka-tragende Frauen als in Bosnien gesehen. Trotzdem gehört er für noch immer viele Menschen nicht nach Europa. Frankreich und Deutschland bekennen sich zu Kroatien, Russland hat zwar die „Republika Srpska“ geplündert, steht trotzdem zu ihren orthodoxen Brüdern. Der größte Fehler vom ehemaligen Staatspräsidenten Alija Izetbegović war, dass er sich zu sehr auf die Hilfe der arabischen Staaten verlassen hat. Aber wie soll dir jemand helfen, der erstens niemals untereinander einig war und zweitens selbst Hilfe braucht?

Was geschah mit dem Geld von den Arabern?
Ich erzähle zu diesem Thema gerne die folgende Anekdote: Ich organisiere öfters für Journalisten Führungen durch Sarajevo. Dann sage ich an einem bestimmten Ort: „Sie stehen gerade vor der größten Fabrik des Landes, können Sie diese erkennen?“. Die Journalisten nicken ungläubig. „Diese Moschee mit ihren zwei Minaretten.“, rufe ich ihnen zu. Eine riesige Investition, die kaum besucht wird.

Radikale Wahhabiten haben in letzten Jahren selbst bei gläubigen Moslems für Unmut gesorgt.
Diese kleine Gruppierung von extremen Muslimen fällt immer wieder durch unschöne Szenen auf, zuletzt vor zwei Jahren bei der Gay-Parade in Sarajevo. Das hat in Bosnien und Herzegowina nichts verloren. Islam in Bosnien geht so: Die älteren Muslime gehen in die Moschee, machen aber kein Politikum daraus. Die jüngeren gehen nur zu den wichtigen Feiertagen hin – und nachher gibt es Bier.

Werden Sie eigentlich in Wien auf der Straße erkannt?
Das überrascht mich immer wieder, wie viele Menschen mich hier wiedererkennen. Manchmal fühlt es sich so an, als wäre ich in Bosnien.

 

 
Jovan Divljak wurde am 4. März am Wiener Flughafen festgenommen. Grund: Ein internationaler Haftbefehl, von Serbien in Auftrag gegeben. Divjak, der als einziger serbischer General in der neu gegründeten Bosnischen Armee (Armija BiH) eine Führungsposition inne hatte, wird die Mitverantwortung für Kriegsverbrechen in Sarajevo im Mai 1993, angelastet. Da er von Den Haag für nicht schuldig befunden wurde, löste seine Festnahme eine Protestwelle aus. In Sarajevo gingen 10.000 Menschen auf die Straße, in Wien versammelten sich rund 800 Bosniaken vor dem Außenministerium. Mittlerweile hat auch der bosnische Staat einen Auslieferungsantrag gestellt. Über die Frage, wohin die Reise des Generals führt, entschidet nun das Landesgericht Korneuburg.

 



NACHGEFRAGT BEIM
SERBISCHEN BOTSCHAFTER,
MILOVAN BOZINOVIC:

Warum verlangt Serbien die Auslieferung Divjaks?

Die Beweise sind stichhaltig. wir sind unzufrieden über die langsamen Bemühungen der
bosnischen Gerichte, die den Fall gar nicht oder nur äußerst schleppend aufrollen.
(In Sarajevo im März 1992 soll Divjak bei einem Gefangenenaustausch den Befehl zur Tötung von mehr als 40 Soldaten der damaligen jugoslawischen Volksarmee ausgegeben haben. Bosnien bestreitet die Vorwürfe.)

Den Haag hat Divjak nicht vor Gericht gestellt.

Das heißt noch lange nicht, dass nicht auf nationaler Ebene ein Prozess geführt werden kann.

Was, wenn die österreichische Justiz dem Auslieferungsansuchen nicht stattgibt?

Dann würden wir das akzeptieren, genauso würden wir dem Angeklagten im Falle einer Auslieferung nach Serbien einen fairen, transparenten Prozess anbieten.

Bereich: 

Kommentare

 

ich habs nicht gelesen.. ich habs verschlungen.
er ist ein mensch, mit dem ich mal auf einen kaffee gehen und ihm einfach nur beim reden zu hören würde

 

ich finde, man sieht dem mann schon in seinen augen an, wie viel er erlebt hat... super interview!

 

In the End, we will remember not the words of our enemies, but the silence of our friends. - Dr. Martin Luther King

 

wie meinst du das, in diesem kontext? meinst du mit friends divjak, der eigentlich zu "seinen leuten" stehen hätte sollen? ich hoffe nicht, denn ich hasse es, wenn weise zitate, so missbraucht werden.

 

Dnevni Avaz und das Internetportal sarajevo-x.com berichten über die Zurückweisung des serbischen Antrags seitens Korneuburger-Gerichts!

 

ich bin zufällig letzten freitag an der skenderija in sarajevo vorbeigefahren alles er empfangen wurde. trotz strömenden regen waren echt viele leute dort

Das könnte dich auch interessieren

Empowerment Special, Helin Kara, Zieh dich mal an wie eine richtige Fau
Oversized Klamotten sind voll im Trend...
Empowerment Special, Luna Al-Mousli, Sei netter zu den Österreichern
  Von Luna Al-Mousli, Fotos: Zoe...
Empowerment Special, Banan Sakbani, Wenn Blicke stärken
Banan Sakbani kennt das Gefühl, für ihr...

Anmelden & Mitreden

6 + 6 =
Bitte löse die Rechnung