Kampf dem Patriarchat

23. Februar 2023

In keinem anderen europäischen Land werden so viele Frauen getötet wie in Österreich. Die Zahl steigt immer weiter an und das Gefühl der Fassungslosigkeit und Ohnmacht bleibt. Seit Generationen leben wir in Strukturen, die diese Gewalt zulassen. Doch damit ist jetzt Schluss: Kann die jüngere Generation das Bild toxischer Geschlechterrollen brechen? Atilla, Adam, Ewa und Jasmin machen den Anfang und sagen: Wir dürfen nicht mehr schweigend zusehen.

Von Emilija Ilić, Fotos: Atila Vadoc

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Foto: Atila Vadoc

Wenn ein Mann eine Frau schlägt, ist er in meinen Augen kein Mann.“ Atilla nimmt seine Sturmhaube ab und setzt sich auf einen heruntergekommenen Schreibtischsessel im Jugendzentrum. Er ist 17 Jahre alt und hat türkischen Migrationshintergrund. Er erzählt von Situationen, in denen er sich gegen gewalttätige Personen in seinem Umfeld, auch gegen ihm fremde, gestellt hat. Dabei ging es immer um eines: Gewalt an Frauen.

Österreich macht dem Namen „Land der Femizide“ mittlerweile alle Ehre. Im Jahr 2022 wurden allein 29 Frauen von Männern getötet. Damit liegt Österreich im Vergleich zu den Einwohner:innen-Zahlen innerhalb der EU an einer traurigen Spitze.

Atilla ist einer von acht Jugendlichen, die sich bei „Bro & Kontra“, einem Online-Filmprojekt, das jungen Männern Alternativen zu toxischen Männlichkeitskonstruktionen zeigen soll, engagieren. Im Wiener Jugendtreff JUVIVO.21 sind sie groß geworden und auch mit dessen Unterstützung wollen sie in ihrer fiktiven Geschichte auf Gewalt an Frauen aufmerksam machen.

Als Atilla und Adam kürzlich unterwegs waren, bekamen sie einen Angriff mit, der zu eskalieren drohte. „Ich habe einen Mann gesehen, der zwei kopftuchtragende Frauen mit Kindern angreifen wollte“, erinnert sich Atilla zurück. „Wenn man so etwas sieht, muss man immer eingreifen. Für mich hat es keine Rolle gespielt, dass es eine Muslima oder eine Frau meiner Herkunft ist. Das ist egal – es ist eine Frau, die Hilfe braucht. Wir haben den Mann zur Rede gestellt, bis die Polizei gekommen ist.“

Der 17-jährige Adam schüttelt bei dieser Geschichte den Kopf. Er versteht nicht, wie Männer so gewalttätig werden können. „Väter müssen ihren Söhnen beibringen, dass man Frauen mit Respekt behandelt. Und vor allem, dass man sie nicht schlägt. Streiten gehört in einer Beziehung dazu, aber Schlagen geht einfach zu weit“, erzählt er. Er hat schon live miterlebt, dass ein guter Freund von ihm gegenüber seiner Partnerin gewalttätig wurde. Nachdem Adam eingriff und die Polizei verständigte, stellte sich das Mädchen schützend vor ihren Partner. Dieser wies jegliche Schuld von sich und die Beamten kümmerten sich nicht weiter darum.

Seit diesem Ereignis beschäftigt er sich noch intensiver mit der Sicherheit von Frauen. „Es ist wirklich traurig. Normalerweise sollten Frauen von Männern erwarten können, dass sie von ihnen beschützt und unterstützt werden. So habe ich das jedenfalls beigebracht bekommen. Dass sie von Männern im nächsten Umfeld Gewalt und sogar noch Schlimmeres erleben müssen, ist einfach nicht normal.“

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Das "Bro & Contra" - Team. Foto: Atila Vadoc

Spielt das Geschlecht eine Rolle?

Besonders das weibliche Geschlecht ist überproportional oft von Gewalt betroffen. Dabei gibt es unterschiedliche Gewaltformen, unter denen Frauen leiden müssen. Laut Statistik Austria hat jede dritte Frau zwischen 18 und 74 Jahren bereits körperliche und/oder sexuelle Gewalt erlebt. Auch psychischer Druck, sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz oder Stalking sind Gewaltformen, von denen Frauen besonders häufig betroffen sind. Oft erfahren sie von denjenigen Männern Gewalt, die ihnen am nächsten stehen – ihren (Ex-)Partnern.

Expert:innen sprechen immer wieder von hohen Dunkelziffern, wenn es um Gewalt an Frauen geht. Dies lässt sich in Österreich vor allem auf schlecht erhobene staatliche Statistiken zurückführen. Auch der Umgang mit betroffenen Frauen innerhalb von Behörden, könnte dazu beitragen. Von Betroffenen erfordert es viel Kraft, gewaltsame Vorfälle polizeilich zu melden. Oft fühlen sie sich nicht ernst genommen und werden dadurch entmutigt, sich an öffentliche Institutionen zu wenden. Ein in sich nicht funktionierendes System, das im schlimmsten Fall zu einem Femizid führt. Dieser beschreibt den Mord an einer Frau aufgrund ihres Geschlechtes. Obwohl die Mordkriminalität weltweit zurückgeht, bleiben die Morde an Frauen in vielen Ländern gleich – oder steigen sogar.

Die fünfzehnjährigen Mädchen Ewa und Jasmin zeigen sich schockiert über die grausamen Vorfälle und die immer weiter steigenden Zahlen. Die beiden Mädchen setzen sich wie Atilla und Adam bei dem Online-Filmprojekt ein. „Uns ist es wichtig, dass Gewalt an Frauen endlich aufhört. Ich bin überzeugt davon, dass sich in unserer Generation gerade etwas ändert. Wir Jüngeren sprechen viel offener über das Thema und auch durch unser Filmprojekt hoffen wir, vor allem Jungs zu erreichen, damit sie vielleicht ihre Denkweise ändern“, erzählt Jasmin. Sie ist der Meinung, dass alle Frauen dieselbe Ansicht teilen: Frauen verdienen keine Gewalt. Es liege an den Männern, ihre Denkweise zu ändern.

 

Geschlechterrollen, toxische Männlichkeit und TikTok

Auch Ewa ist aufgebracht über die traditionellen Rollenbilder von Mann und Frau, die sie selbst noch immer miterlebt. „Wenn ich später Kinder habe, werden beide Geschlechter die gleichen Rechte haben. Ich finde, kein Mensch hat mehr vom Leben verdient, nur weil er ein Mann ist. Eine Frau kann genauso stark sein."

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Jasmin und Ewa setzen sich für mehr Aufklärung von Gewalt gegenüber Frauen ein. Foto: Atila Vadoc

Das klischeehafte Bild des „starken“ Mannes, der über der „schwachen“ Frau steht, ist gesellschaftlich noch immer fest verankert. Viele Männer sehen Frauen und Mädchen als ihren Besitz an. Durch traditionelle Rollenbilder werden Frauen aufgrund ihres Geschlechtes in vielen Aspekten vernachlässigt. Seinen Privilegien als Mann ist sich Atilla bewusst: „Wir leben in einer Welt, in der Männer stärker als Frauen gezeigt werden. Dadurch habe ich als Mann keine Angst. Ich wurde so sozialisiert, dass Männer immer stärker sein müssen. Aber es macht mich wütend. Wenn ich als Türke mitbekomme, dass ein anderer Türke seine Frau schlägt, finde ich das einfach nur scheiße. Sobald ich dazwischen gehe, reagiert mein Umfeld oft mit Unverständnis. Sie verstehen nicht, warum ich mich für sie einsetze, weil es „ja eh nur“ eine Frau ist. In meiner Kultur wird es oft noch normal gesehen, dass ein Mann über der Frau steht. Dahinter stehen wir als junge Generation gar nicht mehr.“ Atilla und Adam haben es satt, in eine Schublade gesteckt zu werden. Sie erzählen betroffen von rassistischen Lehrkräften und Arbeitskollegen, die ihnen wegen ihrer Herkunft unterstellten, Frauenschläger und -mörder zu sein. Dabei gab es in der Türkei, ihrem Herkunftsland, letztes Jahr über 300 Femizide. „Mir wurde von klein auf beigebracht, dass ich respektvoll zu Frauen sein soll. Und dann kommt mein Lehrer und sagt mir, dass meine Herkunft mich zu einem Frauenschläger mache“, sieht Adam frustriert zu Boden.

Aber selbst die junge, scheinbar so aufgeklärte Generation, entflieht den alten Rollenbildern nicht. Toxische und gewalttätige Beziehungen werden in ihrer Generation vor allem auf TikTok verherrlicht und propagiert. Diverse Trends und unkontrollierbare Inhalte beeinflussen die Denkweise vieler Jugendlicher. „Durch TikTok werden solche Werte stark verbreitet. Auf der Plattform sind Jungs, die Tipps geben, wie „schlecht“ man seine Freundin behandeln müsse. Sie behaupten dann, dass sie einem niemals von der Seite weichen würde. Es gibt natürlich auch Frauen, die eine toxische Art von Beziehung und krankhafte Eifersucht verherrlichen. Man bekommt das Gefühl, Frauen geht es nur noch um Geld und Status“, behauptet Adam. Sozialarbeiterin Pamina Gutschelhofer bestätigt, dass es an Aufklärung fehle und Jugendliche oft nicht wüssten, wohin sie sich wenden können. Aus diesem Grund möchten Atilla, Adam, Ewa und Jasmin ihr Online-Filmprojekt in den sozialen Medien verbreiten und ein Gegenpol zu toxischen Bewegungen bieten. ●

 

 

Über das Projekt:
Was ist Bro & Kontra?
Bei dem Online-Filmprojekt beteiligen sich Jugendliche mit unterschiedlicher Herkunft, Religion und Geschlecht. Bereits 2020 behandelte das Team in Kurzvideos die Ausschreitungen der „Grauen Wölfe“ auf eine kurdische Demonstration in Wien Favoriten. Aufgrund der hohen Gewaltrate an Frauen und der zahlreichen Femizide in Österreich, möchten sie in ihrer neuen Staffel #KeineEinzigeSchwesterMehr auf patriarchale Strukturen und toxische Männlichkeitsvorstellungen aufmerksam machen.
Wer ist beteiligt?
Mit Unterstützung des Jugendtreffs JUVIVO.21 und der bOJA (Bundesweites Netzwerk Offene Jugendarbeit) setzen die Jugendlichen ihre fiktive Geschichte um. Mit Hilfe eines Creative Art Directors (Calimaat) lassen sie die Story in Kurzvideos aufleben und sind auch selbst Protagonist:innen. Um das Projekt umsetzen zu können, wird es vom „Zukunftsfonds Österreich“ gefördert.
Was ist das Ziel?
Die zahlreichen Workshops während des Projektes und das digitale Endprodukt sollen jungen Männern Alternativen zu toxischen Männlichkeitskonstruktionen bieten, mit denen sie sich auch identifizieren können. Jugendliche, die sonst schwer zu erreichen sind, sollen von den Online-Inhalten abgeholt werden und sich mit dem Thema „Gewalt an Frauen und Mädchen und Femizide“ auseinandersetzen. Die Jugendlichen betonen, dass es ihnen besonders wichtig ist, dass betroffene Frauen und Mädchen wissen, wohin sie sich bei Bedarf wenden können. Ihr großes Ziel ist es, dass toxische Denkweisen und traditionelle Männerbilder hinterfragt werden.

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