Meine Hebamme und der Arzt werden Masken tragen.

10. April 2020

Sajeh Tavasolie ist Organisatorin des Wiener Hip Hop Balls, Captain bei den adidas Runners Vienna und erwartet noch im April ihr erstes Kind. Ein Gespräch über Online- Geburtsvorbereitung, die Wege zur Selbstbestimmung, und das Influencer-Dasein.

Interview: Nada El-Azar, Fotos: Sophie Kirchner

Sajeh Tavasolie, Interview, Schwangerschaft
Foto: Sophie Kirchner

BIBER: Sei ehrlich: Wie ist es, in der Zeit der Corona-Pandemie schwanger zu sein?

SAJEH TAVASOLIE: Ich bin wirklich ein starker Mensch, weiß, was ich meinem Körper zutrauen kann und habe keine Angst vor Schmerzen bei der Geburt. Aber dieser Umstand ist jeden Tag aufs Neue überwältigend. Mir wurden alle möglichen Geburtsvorbereitungskurse und Untersuchungen abgesagt. Ich war so panisch, dass ich sogar über eine Einleitung nachgedacht habe, von der mir meine Gynäkologin aber abriet.

Wie wird deine Geburt in wenigen Wochen ablaufen?

Der derzeitige Stand ist, dass meine Schwester Nasim bei der Geburt dabei sein darf, aber kein Besuchsrecht am Wochenbett haben wird. Meine Hebamme und der Arzt werden Masken tragen. Ich hoffe, dass ich keine während der Wehen tragen muss.* Derzeit wird auch zu einer ambulanten Geburt geraten, was bedeutet, dass man nach der Geburt einige Stunden ruhen kann und dann wieder nach Hause geht. Normalerweise dürfte man drei Tage im Krankenhaus bleiben und Besuch empfangen. Momentan ist alles ein Ausnahmezustand, meine Angst ist, dass der angekündigte Peak der Infektionen Mitte April alles nochmals beeinflusst.

Wie bereitet man sich in der Quarantäne auf die Geburt seines ersten Kindes vor?

Bewegung gehört für mich so sehr zu meinem Leben, derzeit ist diese leider sehr eingeschränkt. Glücklicherweise habe ich – natürlich kostenpflichtig – eine Hebamme gefunden, die mit mir einen Onlinekurs zu Geburtspositionen, Atmung, Kaiserschnitt und Nabelschnur gemacht hat. Die Hebamme hat mir genau erklärt, wie die Wehen auszusehen haben, damit ich nicht durch einem Fehlalarm ins Krankenhaus gehe. Es gibt zwar viele Videos auf YouTube, aber natürlich nicht in dieser Intensität. Außerdem soll ich nicht mit dem Krankenwagen fahren, sondern möglichst ein Taxi nehmen.

Du konntest dich also doch einigermaßen auf die Geburt vorbereiten. Welche anderen Sorgen hast du noch?

Die Geburt ist eine Sache, aber die andere ist die ärztliche Nachkontrolle meines Sohnes nach dem Mutter-Kind-Pass. Versuche einmal einen Kinderarzt heute zu erreichen - man kommt nirgendwo durch! Keine Ordination interessierte sich für eine Geburt, die erst in ein paar Wochen stattfindet. Jeglicher Kontakt zu anderen Menschen soll auf ein Minimum reduziert werden. Da bin ich einmal schwanger, und dann sowas. (lacht) Es ist echt nicht einfach. Wir versuchen es uns so lustig wie möglich zu machen, TikTok hilft uns sehr dabei!

Sajeh Tavasolie, Interview, Schwangerschaft
Foto: Sophie Kirchner

Die Corona-Krise hat dafür gesorgt, dass der dritte Wiener Hip Hop Ball nicht wie geplant im Mai stattfindet, sondern erst im Jänner 2021. Warum hast du dich dazu entschlossen, Wien einen Hip Hop Ball zu geben?

Seit ich klein war, faszinierten mich Veranstaltungen wie die MTV Music Awards und die Oscar-Verleihung. Mit Anfang 20 hatte ich begonnen, in der Säulenhalle Events zu organisieren – also waren Konzeption und Veranstalten schon Teil meines Berufslebens. Als ich später bei Radio Energy gearbeitet habe, hat mich mein damaliger Chef auf alle möglichen Bälle geschickt. Für mich war das so toll, an solche Orte zu gehen und zu sehen, wie verschiedenste Konzepte von den Räumlichkeiten bis zur Tischdeko umgesetzt wurden! Andererseits fand ich es so schade, dass ich mich mit klassischer Musik und der Kultur nie identifizieren konnte. Heute gibt es für alle möglichen Zielgruppen Balle – auch etwa einen Techno Ball. Eines Tages kam mir beim Trainieren auf dem Laufband die Idee: Es muss einen Hip Hop Ball geben!

Wie kann man sich einen Hip Hop Ball vorstellen? Ist die Musik nicht eher was für Randgruppen, statt der high society?

Hip Hop war für mich immer schon revolutionär und versuchte, vorgegebene Barrieren zu sprengen. Er ist schon lange weg von der „Straße“ und im Mainstream angekommen. Kaum eine Musikrichtung gibt so viel Kultur her wie der Hip Hop. Man kann so viel aus den Elementen Rap, Graffiti, DJing und Breakdance machen, und sie mit den klassischen Balltraditionen wie Eröffnungstanz und Tombola verbinden. Der Dresscode spiegelt das wider: Ballkleid und Sneakers für die Damen, Smoking und Sneakers für die Herren.

Stieß das Konzept auch auf Kritik?

Kritik kam eher vom Wiener Hip Hop Untergrund, der ein bisschen konservativer ist und wo häufig Leute dabei sind, die zehn Jahre älter sind als ich und einen anderen Hip Hop kennen. Das waren die Herausforderungen des ersten Balls im Jahr 2016, wo ich einige Urgesteine des österreichischen Hip Hops nicht kannte. Es gab aus verschiedenen ausländischen Communities Kritik am Preis von 70 Euro für die Balltickets. Da fehlte es an Aufklärung, was es bedeutet, ein 200.000 Euro teures Event zu organisieren, mit 150 Kunstlern am Start. Das muss den Leuten die Kultur wert sein.

Deine Eltern flüchteten Mitte der Neunziger Jahre aus dem Iran nach Österreich. Wie war es für dich, sich an das Leben in Europa anzupassen?

Eine sehr lange Zeit habe ich nicht zugegeben, dass meine Eltern Flüchtlinge waren und wir in Traiskirchen gelebt haben. Ich schämte mich. Wenn ich heute Kinder mit Schultuten sehe, bekomme ich Tränen in den Augen, weil ich monatelang mit dem Billasackerl in die Schule gegangen bin und das nie hatte. Mein Vater war im Iran im Militär und ein großer Patriarch. Der Culture Clash zwischen dem Iran und Europa war sehr schwierig für ihn und er hat mir und meiner Schwester von A bis Z einfach alles verboten. Wir durften immer nur zur Schule, und dann wieder nach Hause. Sogar Fernsehen war verboten. Es gibt ein Sprichwort auf Farsi, dass wir es als Mädchen nicht mal wert waren, unter der Erde zu liegen. Mein Vater hatte sich lieber zwei Steine als zwei Tochter gewünscht. Als ich 13 war, bin ich zu einer Freundin gezogen und habe von der Kinderbeihilfe gelebt. Mit 16 begann ich zu arbeiten, suchte mir eine eigene Wohnung, und habe die Schule weitergemacht.

Wie schafft man es, mit gerade einmal 16 Jahren arbeiten zu gehen und nebenher den Schulabschluss zu machen?

Eigentlich war das ein Wahnsinn und rückblickend denke ich mir, dass das doch gar nicht mein Leben gewesen sein kann. Ich weiß nicht, wo ich heute wäre, wenn mein damaliger Schuldirektor mich nicht vom Unterricht freigestellt hatte. Ich musste nicht anwesend sein, konnte aber Prüfungen ablegen. Der Direktor wollte nicht, dass ich auf die Abendschule wechsle, weil er überzeugt war, dass ich dort nie meinen Abschluss machen wurde. Tagsüber habe ich im Verkauf gearbeitet, später auch nachts im Coffee Shop in der Millennium City.

Was hast du aus diesen Erfahrungen gelernt?

Man kann sich zu 100 Prozent nur auf sich selbst verlassen. Ich denke, dass mich das auch sehr hart gemacht hat. Ich lasse wenig Ausreden bei mir durchgehen.

Sajeh Tavasolie, Interview, Schwangerschaft
Foto: Sophie Kirchner

Was hat dir in der Pubertät am meisten gefehlt?

Mit 16 hatte ich ja angefangen, bei adidas zu arbeiten und je älter ich wurde, desto mehr tat sich der Wunsch auf, zu reisen. Aber das konnte ich ewig nicht, weil ich keine Dokumente hatte. Meinen Reisepass habe ich erst mit 27 Jahren bekommen! Es war schwierig zu sehen, was andere mit Unterstützung von ihren Eltern tun konnten. Aber ich hatte das große Glück, dass meine Schwester zu mir gezogen ist, als sie 16 Jahre alt war, und wir von zwei Gehältern besser leben konnten.

Wie kommt man so jung an eine Wohnung? Es gibt sicherlich viele Mädchen mit ähnlichen Hintergründen, die mit den Vorstellungen der Eltern nicht klarkommen und sich das sehr wünschen würden.

Ich habe neben der Schule bis zu 60 Stunden in der Woche gearbeitet und konnte eine Maklerprovision bezahlen – zusammen mit meiner Aufenthaltsgenehmigungskarte war es dann relativ egal, dass ich keinen Pass hatte. Das Lernen füllte dann mein Wochenende und auch meinen Urlaub plante ich so, dass ich mich auf Tests vorbereiten konnte. So war es dann auch während meines Studiums der Internationalen Entwicklung. Ich weiß nicht, wie ich das geschafft habe.

Hat sich das Verhältnis zu deinem Vater verändert, seit du dir dein Leben aufgebaut hast?

Über die Jahre habe ich aufrichtig versucht, immer wieder Kontakt zu meinem Vater zu suchen, obwohl er doch auch eine große Last auf meinen Schultern gelassen hat. Er hat mich sehr stark geprägt, was Beziehungen mit Männern angeht, aber auch zu Gutem beigetragen, wie meiner Einstellung zu Arbeitsmoral und zu Sport. Ich glaube, er wusste nicht, wie er Liebe und Wertschätzung kommunizieren kann. Mit der Schwangerschaft habe ich aber realisiert, dass ich mich von Menschen trennen muss, die Negativität in mein Leben bringen – vor allem Männern. Deshalb trennte ich mich auch von meinem Freund, als ich schwanger wurde.

Wie kam es zu der Entscheidung, Single-Mutter zu werden?

Als klar wurde, dass ich schwanger war, ist mein Freund drei Monate in die Dominikanische Republik abgehauen. Er hat nichts dazu beigetragen, eine gesunde und positive Schwangerschaft zu haben und sich der Verantwortung entzogen. Alle meine Freunde sagen, dass das Kind alleine zu bekommen die richtige Entscheidung ist. Vor Kurzem hat sich mein Ex doch gemeldet, ob er nicht bei der Geburt dabei sein dürfe – nein, ganz sicher nicht! Ich stehe die ganze Schwangerschaft mit meiner Schwester durch.

Deinem Instagramaccount @sajehtava folgen an die 40.000 Menschen. Auf welche Themen konzentrierst du dich am meisten?

Ein großer Hauptpunkt auf meinem Account, den ich vor allem Frauen vermitteln will, ist: Bleibt aktiv und treibt Sport! Sei es Kraftsport oder das Laufen. Auch gesunde Ernährung und Motivation spielen eine große Rolle. Und jetzt eben auch mein Leben als frischgebackene Mama.

Sajeh Tavasolie, Interview, Schwangerschaft
Foto: Sophie Kirchner

Viele junge Mädchen wären gerne Profi- Influencer wie du. Was wissen sie nicht über die Schattenseiten dieses Berufs?

Influencer zu sein bedeutet, von Social Media unter Druck gesetzt zu werden, auch wenn man manchmal keine Lust hat zu posten. Tut man nichts, drohen Reichweite und Impressionen flöten zu gehen. Der Wettkampf gegen den Algorithmus auf Instagram ist brutal. Als ich meine Schwangerschaft bekanntgab, habe ich so viele Follower verloren. Ich habe mich für sie damit als Person verändert. In meiner Welt habe ich schon viele Communities gehabt, aber die Mama-Community ist wirklich die tollste. Der Druck, auf Social Media zu performen, ist immens hoch, aber der Support bei den Mamis ist wirklich ehrlich und ich bin sehr glücklich darüber.

Sport gehört zu deinem Beruf als Influencerin. Eine Schwangerschaft bringt große körperliche Veränderungen mit sich. Machst du dir Sorgen, nicht zu deiner alten Figur zu kommen?

Ich weiß, dass ich extrem diszipliniert bin und habe keine Angst, dass ich nie wieder meinen Körper von vor der Schwangerschaft zurückbekommen konnte. Sport gibt einem so viel Selbstvertrauen, und ich werde auch versuchen, meinem Sohn das mitzugeben. Ich habe schon einen Kinderwagen, der zum Joggen geeignet ist und bemühe mich, meinen Sport um das Kind herum zu organisieren.

 

* Sajeh bekam ihren Sohn kurz bevor diese Ausgabe erschien. Ihre Befürchtung wurde wahr: Am Eingang des Krankenhauses wurden bei ihr und ihrer Schwester Nasim Fieber gemessen, und die Hände desinfiziert. Sajeh musste eine Maske tragen, wie die Ärzte und Hebammen auf der Geburtstation auch. Nach einiger Zeit aber legte sie ihre Maske ab. "Ich habe irgendwann wirklich keine Luft mehr bekommen", erzählt sie. Mittlerweile sind sie und ihr kleiner Sohn wohlauf zuhause. Wir gratulieren herzlich zur Geburt!

 

Steckbrief:
Sajeh Tavasolie ist 31 Jahre alt und wurde im Iran geboren. Sie ist Projektleiterin bei den adidas Runners Austria, Profi-Influencerin und Organisatorin des Wiener Hip Hop Balls, der am 30. Jänner 2021 im Kursalon Hübner stattfinden wird.

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