Meine Tochter Fatima

18. Juli 2018

"Geduld, wir sehen uns bald, Schätzchen.", verspricht Muhaned fast täglich seiner Tochter über Skype. Er wünschte, er würde seine eigenen Worte glauben. 


Es waren die schlimmsten Stunden meines Lebens. Meine geliebte Frau Hadil und unsere gemeinsame Tochter, mein ganzer Stolz, Fatima, waren verschwunden. Irgendwo in Griechenland verlor sich ihre Spur. Im Mai 2018 sind sie mit einem legalen türkischen Visum nach Istanbul gereist. Von dort aus ging es weiter nach Edirne in Griechenland. “Sind sie gestorben?” oder “”Wurden Sie Opfer von Organhändlern?” waren die Fragen, die mir durch den Kopf schwirrten. Von Wien aus waren mir die Hände gebunden. Es blieb mir nur die Hoffnung.

Mein Name ist Muhaned Albideri. Ich bin im Februar 2015 nach Österreich gekommen. Ich habe die Qualen der dreimonatigen Flucht nur für meine Familie in Kauf genommen. Ich denke gerne nachts vor dem Einschlafen an die Zeit zusammen mit ihnen. Als wir zu dritt in den Norden des Irak fuhren, um uns am Fluss abzukühlen. Oder als ich mit meiner Tochter Fatima zur Kirmes fuhr und ihr in die glücklichen Augen blickte, während sie im Karussell ihre Runden drehte. Ich arbeitete als Beamter im Justizministerium und nebenbei als Kameramann für Hochzeiten und Geburtstagsfeste. Meine Frau lernte ich über einen gemeinsamen Bekannten kennen. Wir schmiedeten schon früh Pläne, nach Europa zu flüchten, um unserer Tochter ein Leben in Frieden zu ermöglichen. Diese Idee schlummerte lange in uns. Erst eine Schießerei, die neben meinem Kamerageschäft stattfand und bei der ich am Bein verwundet wurde, räumte die letzten Zweifel aus. Wir müssen was ändern!

Muhaned, Tochter, Fatima, Irak

Kibbeh auf Kirchenfesten

In Österreich angekommen, blieb ich in ständigem Kontakt zu meinen Liebsten. Mindestens dreimal am Tag telefonierten wir über WhatsApp. Wenn mich meine Tochter fragte, wann ich endlich nach Hause komme, sagte ich immer: “Du musst Geduld haben. Zuerst machst du den Kindergarten fertig und dann kommt Baba.“ Ich weiß, das ist nicht pädagogisch wertvoll, aber was hätte ich sonst machen sollen? In meiner neuen Heimat versuchte ich möglichst viel zu arbeiten, um mich abzulenken. Ich arbeite als Bürogehilfe bei einem arabischen Anwalt und als Kameramann für den Community-Sender “Okto”. Bevor ich nach Wien kam, war ich in der Gemeinde Scharnstein, Oberösterreich, für arabische Leckereien wie Kibbeh (Fleischbällchen) oder Biryani (Reisfleisch) bei Kirchenfesten zuständig.  

In der Zwischenzeit ereilte mich die frohe Nachricht. Meiner Familie geht es gut. Sie wurden in Griechenland in Handschellen abgeführt und in den Irak zurückgeschickt. Ich bin glücklich, dass sie leben, aber auch traurig, dass ich sie nicht bald sehen werde. Ich möchte sie umarmen, küssen, mit ihnen weinen. Ich bitte den Staat Österreich mir zu helfen. Ich werde alles dafür tun, um meine Frau und unsere Tochter wiederzusehen. Als sie mich nach der gescheiterten Flucht vor einigen Nächten fragte, wann wir uns wiedersehen, sagte ich ihr: “Bald, mein Schatz. Bald.” Ich will sie nicht schon wieder anlügen.

Muhaned Albideri, 37, arbeitete als Kameramann in seiner Heimatstadt Bagdad, bevor er vor drei Jahren nach Österreich flüchtete.

Muhaned, Tochter, Fatima, Irak

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