Neues Leben als singender Augustin

21. November 2017

Text und Foto: Lisa Kiesenhofer

Warme Stimme, selbstsicherer Blick und immer ein breites Grinsen im Gesicht. Der „Augustin“-Verkäufer Christian Esimoneze Udoka stimmt mit seinem Gesang täglich viele Menschen fröhlich. Auch wenn sein Leben bisher nicht gerade heiter verlief.


Der morgendliche Weg zur Arbeit – lästige Routine. Für viele Berufstätige bedeutet das: überfüllte Straßenbahnen, Gedränge und schlechte Laune. Gerade am Morgen wirkt die Station Landstraße im Zentrum Wiens kühl und trist. In Richtung Schnellbahn hört man eine vertraute Stimme. Menschen laufen hastig hin und her. Mitten im Getümmel sieht man Christian, wie er mit Leidenschaft seine Lieder singt. Der 37-jährige Nigerianer steht hier seit Jahren tagein, tagaus und verkauft den „Augustin“.

Mit dem Singen habe ich eigentlich nur angefangen, weil mir langweilig war“, erklärt der mittlerweile leidenschaftliche Musiker. Heute ist er für seine Lieder bekannt. Besonders wichtig sei ihm, dass er mit seiner Stimme anderen positive Energie gibt. Dabei würde man nicht vermuten, dass er den Job nach ein paar Tagen eigentlich wieder aufgeben wollte, hätte er das Geld nicht so dringend gebraucht. „Ich kannte niemanden, konnte die Sprache nicht, und wusste nicht, wie man Zeitungen verkauft“, erzählt Christian. Mittlerweile gefalle es ihm, auf Menschen zuzugehen und mit ihnen zu plaudern.

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Der „Augustin“ ist eine Wiener Straßenzeitung. Menschen, die am herkömmlichen Arbeitsmarkt keinen Platz finden, können sich als Zeitungsverkäufer bewerben. Pro verkaufter Zeitung dürfen sie die Hälfte des Geldes behalten.

Viele Begegnungen bleiben Christian in Erinnerung. Fasziniert von seinem Gesang kam er eines Tages mit einer Frau ins Gespräch. Sie sagte, sie fände es schade, dass er nur auf Englisch und Igbo, seiner Muttersprache, singe. Sie legte ihm ein Lied ans Herz: „Oh du lieber Augustin“. „Allein konnte ich es nicht, also kam sie jeden Tag vorbei, um mit mir zu üben“, berichtet der Nigerianer strahlend.

Viel zu lachen hatte Christian in seiner Heimat jedoch nicht. Das politische System in Nigeria sei sehr instabil. Dadurch sei die Polizei korrupt und halte sich nicht an Gesetze. Willkürlich würden Menschen verhaftet und sogar erschossen, doch er überlebte. „Ich bin buchstäblich um mein Leben gerannt“, erzählt der Zeitungsverkäufer mit starrem Blick. .So blieb ihm nichts anderes übrig, als zu fliehen. Vater, Mutter und Geschwister sind immer noch in Nigeria.

Mittlerweile hat sich Christian in Österreich gut eingelebt und will sein Deutsch verbessern. Diskriminiert fühlt sich der Nigerianer selten: „Auch wenn die Polizei drei Mal am Tag meinen Ausweis kontrolliert, nehme ich ihr das nicht übel. Sie arbeitet ja für unsere Sicherheit“, findet Christian.

Nach einem Jahr in diversen Asylunterkünften ging der 37-Jährige ohne anerkannten Asylstatus nach Wien, um Arbeit zu finden. Durch einen „Augustin“-Verkäufer erhielt er schließlich seinen Job. Eine Wohnung hatte er nicht. Einige Zeit schlief Christian in einer Kirche, einmal in der Woche ging er zu einem Bekannten duschen. „In so schwierigen Zeigen gibt mir mein Glaube besonders viel Kraft“, sagt der Protestant.

Zwischen grellem Neonlicht und kühlen Fliesen trifft Christian bei seiner Arbeit unzählige Menschen. „Es machte mich am Beginn traurig, wenn jemand an mir vorbeiging ohne mich anzusehen“, sagt der ohne jemanden anklagen zu wollen. Er akzeptiert es, wenn Menschen in Eile sind oder einfach keine Lust auf ein Gespräch haben. Er nimmt es nicht mehr persönlich, wenn er ignoriert wird, erzählt Christian. So versucht er, jeder Situation etwas Positives abzugewinnen. „Ich glaube, dass Sorgen und Ärger einen jung sterben lassen. Deshalb bevorzuge ich es, so glücklich wie möglich zu sein“, erklärt Christian.

Zurück nach Nigeria zu gehen, ist für den „Augustin“-Verkäufer keine Option. Dort hat er mit dem Reparieren technischer Geräte sein Geld verdient, in Zukunft will er aber in Österreich arbeiten. Jetzt, da er einen positiven Asylbescheid hat, will Christian einen „richtigen Job“, am liebsten als Installateur. Seiner Leidenschaft, den „Augustin“ zu verkaufen, will er trotzdem weiter nachgehen: „Die Gespräche mit den Menschen geben mir eine positive Energie, auf die ich nicht verzichten kann“, sagt Christian, bevor er seine schwarze Kappe aufsetzt und wieder singend an die Arbeit geht.

 

 

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