New Kids on the Ostblock

17. Oktober 2017

Der Kleidungsstil der aussichtslosen post-sowjetischen Jugend feiert sein Comeback: Über Adidas, Hardbass und darüber, woher eigentlich dieser „Slav Squat“ stammt.

Von Aleksandra Tulej & Jelena Pantić, Fotos: Marko Mestrović. 

Goldkette, Drei Streifen und Glatze: Jugo Ürdens (22) erfüllt alle Ostblock-Style-Voraussetzungen. 

Foto: Marko Mestrovic
Foto: Marko Mestrovic

Jacke: Adidas (Model's own), Jogginghose: Adidas (59,95 €), Rollkragenpulli: Weekday (18 €), Kette: Stylist's own, Schuhe: Vans (ca 70 €) 

Er hat eine Glatze, trägt einen ausgewaschenen Adidas-Jogginganzug, eine Schiebermütze und eine Goldkette. Zwischen seinen Zähnen pafft er eine Marlboro, und knackt gleichzeitig mit der anderen Kieferhälfte Sonnenblumenkerne. Im Hintergrund ragt eine Hochhaussiedlung empor, die irgendwie Trostlosigkeit und Gleichgültigkeit ausstrahlt. Er hockt mit beiden Beinen fest am Boden, neben seinen blankpolierten spitzen Lederschuhen steht eine Flasche billiger Vodka, aus den kaputten Lautsprechern seines Nokia-Handys dröhnt repetitiver Hardbass. Irgendwo in seiner Hose hat er wahrscheinlich ein rostiges Klappmesser versteckt: Meet the Gopnik. Der Begriff „Gopnik“ kommt aus dem Russischen und ist eine abwertende Bezeichnung für einen kleinkriminellen Jugendlichen aus einem sozial schwachen Milieu, der in den Randbezirken Russischer Großstädte sein Unwesen treibt. Handys klauen, schwächere Menschen ausrauben, aber eigentlich den ganzen Tag nur herumlungern und dabei billiges Bier trinken, weil man keine Ausbildung oder Arbeit in Aussicht hat– so sieht der Tagesablauf eines Gopniks aus. Aber was bedeutet „Gopnik“ nun wirklich? Im Zarenreich gab es eine staatliche Fürsorgegesellschaft für Waisenkinder, die abgekürzt „GOP“ hieß. Möglicherweise geht der Name aber auch auf das russische Wort „gop-stop“ – auf Deutsch: „Straßenraub“ zurück. Die Gopniki entwickelten sich zu einer eigenen Subkultur, die in den 90ern ihre Blütezeit erlebte. Aber warum erzählen wir euch heute davon? Weil das Internet, Modedesigner und Jugendliche in Osteuropa gerade gleichermaßen gerade auf den Gopnik-Style auszucken. Im Leben verloren, im Style gewonnen. 

Riesen-Logos als Statussymbol von Ware „aus dem Westen“

Packt eure FILA-Pullis und Jogginghosen mit drei Streifen aus, wir reisen zurück in eine Zeit, in der der eiserne Vorhang noch nicht aufgegangen ist. Zeit für eine kleine Geschichtsstunde: Vor dem Zerfall der Sowjetunion gab es in Osteuropa kaum Ware „aus dem Westen“. Deshalb waren Kleidungsstücke mit riesigen Logos, wie denen von Adidas, Fila oder Nike, schwer zu bekommen und galten als Statussymbol. Die in Socken hineingesteckten Jogginghosen, die irgendwie lächerlich aussehen? Russische Gangster haben diesen „Trick“ dafür entwickelt, damit ihnen die Waffe, die sie in ihre Hose gesteckt hatten, nicht beim Hosenbein hinunterrutscht – sollten sie einmal schnell weglaufen müssen. Und was hat es eigentlich mit diesem „Slav Squat“ zu tun, der jetzt alle Internetmemes dominiert? Reddit-User aus postsowjetischen Ländern schwören darauf, dass der Ursprung des Squattens das einfache Fehlen an Sitzmöglichkeiten vor den Hochhaussiedlungen war. Man hat als jugendlicher Gopnik mit seinen Eltern in einer Zweizimmerwohnung gewohnt – wenn man dann Trinken oder Rauchen wollte, musste man eben raus. Und draußen gab es nur die Straße oder den kalten Betonboden. Da es in Ländern wie Russland, Ukraine und Polen – also Ländern des ehemaligen Ostblocks, wo die Gopniki ihr Unwesen trieben - bekanntermaßen sehr kalt ist, war die Hocke die einzige Position, in der man es länger ausgehalten hat.  

Der Ostblock lebt am Catwalk weiter 

Nun sind aber schon 25 Jahre seit dem Zerfall der Sowjetunion vergangen, osteuropäische Länder werden zunehmend verwestlicht, der Wirtschaft geht es besser, die Leute kleiden sich zunehmend wie in Berlin oder London. Und die Hochhaussiedlungen haben ziemlich sicher mittlerweile Bänke bekommen. Und dann holen Designer wie Gosha Rubchinskiy die trostlose Jugend im Ostblock wieder zurück. Oder zumindest holen sie sie in unsere Garderobe. Pullis mit riesigen Logos, Goldketten und Bauchtaschen werden plötzlich wieder in. Ein Style, der bis heute nur unseren Onkeln aus osteuropäischen Dörfern vorbehalten war, dominiert auf einmal alle Hipster-Läden des Landes. Und woher kommt der Hype? In Russland steigt das Nationalitäts-Bewusstsein, Stichwort Vladimir Putin. Die Mode steigt drauf ein. Und es funktioniert. Auch wenn das für uns politisch vielleicht nicht so von Nutzen ist, und wir auch nicht neidisch auf den Lebensstil der Gopniki zu sein brauchen: Ihr müsst zugeben, unsere Biber-Gopnik-Gang wäre in jeder sibirischen Hochhaussiedlung gefürchtet. 

 

Ware aus dem Westen: Valerija (24) trägt Adidas, Bling und Zöpfe. Je dicker aufgetragen, desto besser.

Foto: Marko Mestrovic
Foto: Marko Mestrovic

Rote Jacke: Adidas (109,95€), T-Shirt: Adidas (Model's own), Hose: Monki (19,95 €), Netzstrumpfhose: H&M (10€), Schuhe: Adidas (Model's own), Schmuck: Model's own

Die berühmteste Gopnik-Pose: Den Slav Squat hat  EINFACHSO  (19) drauf wie kein anderer. 

Foto: Marko Mestrovic
Foto: Marko Mestrovic

T-Shirt: Vero Moda (24,95 €), Jogginghose: Adidas (54,95€), Brudi Schlapfen: Model's own, Bauchtasche: Eastpak: 15 € 

Zum Sportoutfit ein Folklore-Schal, falls der Winter im Osten wiedermal kalt wird: Martina (18) macht sich wunderbar als Slav-Girl.

Foto: Marko Mestrovic
Foto: Marko Mestrovic

Top: Adidas (39,95€), Folklore Tuch: Stylist's own ,Kette: Stylist's own, Kreolen: H&M (10€) ,Uhr: Fossil (Model's own) ,Leggings: Adidas (Model's own) 

Foto: Marko Mestrovic
Foto: Marko Mestrovic

Pulli: Urban Outfitters (50 €), Schmuck: Model's own 

Foto: Marko Mestrovic
Foto: Marko Mestrovic

Jacke: Adidas (Model's own), Jogginghose: Adidas (59,95 €), Rollkragenpulli: Weekday (18 €), Kette: Stylist's own 

Produktion: Aleksandra Tulej und Jelena Pantic, Fotos: Marko Mestrovic, Models: Jugo Ürdens , EINFACHSO, Valerija, Martina. 

Vielen Dank an den Adidas Store Wien. 

 

                                                      GOPNIK-STYLE-STARTERPACKS 

Hier ein paar kreative Ideen, falls ihr unseren Gopnik-Style nachmachen wollt: 

Polyvore
Polyvore
Polyvore
Polyvore

Und hier etwas zur musikalischen Einstimmung: 

Bereich: 

Das könnte dich auch interessieren

Foto: Zoe Opratko
Das Ende von biber ist auch das Ende...
Foto: Moritz Schell
Kein Geld, keine Redaktion, aber eine...
Screenshot: Stadt Wien
Die Stadt Wien und der Bezirk Neubau...

Anmelden & Mitreden

7 + 10 =
Bitte löse die Rechnung